Extra Momente 1|2012
Joannes Baptista Sproll (Foto: Diözesan Archiv Rottenburg)
Joannes Baptista Sproll (Foto: Diözesan Archiv Rottenburg)

Joannes Baptista Sproll (1870 – 1949)

Er war der einzige deutsche Bischof, der im Dritten Reich verfolgt und schließlich seiner Diözese verwiesen wurde. Seine freimütigen Predigten auf Bischofs- und Jugendtagen brachten jeweils Tausende auf die Straße, bei den nationalsozialistischen Machthabern waren seine klaren Worte gefürchtet. Als er am 10. April 1938 der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs, die zugleich eine Zustimmung zur Einheitsliste der NSDAP war, demonstrativ fernblieb, begann eine Serie gewalttätiger Demonstrationen gegen den „Volksverräter“. Der Volkszorn musste inszeniert werden; die Demonstranten wurden per Zug, Autos 

und Lastwagen nach herbeigekarrt. Am 24. August 1938 erhielt er ein Aufenthaltsverbot für den Gau Württemberg und wurde zwangsweise aus seiner Diözese abtransportiert. Nach einer Odyssee durch Süddeutschland fand er im bayerischen Benediktinerkloster St. Ottilien, später im Heilbad Krumbad, ein Asyl, regelmäßig überwacht durch die Gestapo. Erst 1945 konnte er aus seinem Exil zurückkehren.

Die Rede ist von Joannes Baptista Sproll, seit 1927 Bischof der württembergischen Katholiken. Der gebürtige Allgäuer, erstes von 14 Kindern eines Straßenwärters, durchläuft die für die katholischen Theologen Württembergs typische Laufbahn: Lateinunterricht beim Heimatpfarrer, Lateinschule und Landexamen, Konviktor (zunächst am Ehinger, dann Rottweiler Gymnasium), schließlich Universität und Wilhelmsstift in Tübingen. 1895 geht er in die Seelsorge, arbeitet nebenher an der zweiten Generation der Oberamtsbeschreibungen mit, findet dann in der Priesterausbildung Verwendung, promoviert 1898 zum Dr. phil., wird 1902 Mitglied der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte – 1937 wird ihm seine Mitgliedschaft entzogen – und 1912 ins Rottenburger Domkapitel gerufen. Als Vertreter des Bischofs in der Ersten Kammer des Württembergischen Landtags nimmt er freimütig gegen die letzten Reste des „Staatskirchentums“ Stellung und arbeitet nach 1918 als Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung auf ein gedeihliches Verhältnis zwischen Kirche und Staat hin. Sproll zeigt sich als kantiger Schwabenschädel, ausgestattet mit einer robusten Gesundheit, enormer Arbeitskraft, Unternehmungsfreude, Witz und „Bauernschläue“.

Von der Gefährlichkeit des Nationalsozialismus ist Sproll lange vor 1933 überzeugt. Er warnt 1931 vor dem Nationalsozialismus, „weil und solange er Anschauungen verfolgt und verbreitet, die mit der katholischen Lehre unvereinbar sind“. „Die Ablehnung jeglichen Konkordates, die Forderung der Simultanschule, der Radikalismus des nationalen Gedankens, der Widerstand gegen den Schutz des keimenden Lebens“ seien Christentums- und kirchenfeindlich. Ausdrücklich stellte er damals fest: „Der Seelsorger hat die Pflicht, in ruhig sachlichem Ton das Volk darüber aufzuklären“.

Nach dem Wahlsieg der NSDAP vom 5. März 1933 und der unerwartet positiven Programmrede Hitlers, den neuen Staat auf den positiven Grundlagen des Christentums aufbauen zu wollen, ermahnt Sproll seine Pfarrer, Kirche und Kanzel nicht für politische Erörterungen zu nutzen und alles zu vermeiden, „was irgendwie zu Mißverständnissen führen könnte“. Die diesem „Maulkorberlass“ beigefügte Begründung („in Anbetracht verschiedener Vorkommnisse der letzten Zeit und zur Vermeidung von Schwierigkeiten in den Gemeinden“) weist auf die pragmatischen Gründe des Politisierungsverbots hin: die Pfarrer sollen aus dem Visier von SA und Gestapo gebracht werden, der Bischof will das politische Steuer selbst in der Hand behalten. Insbesondere geht es ihm in den folgenden Wochen und Monaten darum, die kirchlichen Organisationen, Jugend und Presse, dem gleichschaltenden Zugriff von Staat und Partei zu entziehen. Sproll erkennt, dass das Grundproblem die (unbewusste oder bewusste) Vermischung von religiösem und politischem Terrain ist, woraus der Kirche der Vorwurf parteipolitischer Betätigung gemacht wird. Deshalb verordnet er dem Klerus „politische Enthaltsamkeit“ und weist die Regierung auf die Beachtung strikter Trennung zwischen politischer und religiöser Sphäre hin.

Bald wird klar, dass auf diesem Wege kein „modus vivendi“ zu erreichen ist. Im Juni 1933 werden innerhalb weniger Tage neun Diözesan- und zwei Ordenspriester interniert, es kommt zur Behinderung, Unterdrückung und Auflösung katholischer Organisationen. Auch nach Abschluss des Reichskonkordats bleibt in Württemberg „der über die katholischen Vereine verhängte Ausnahmezustand“ bestehen, ein „Gefühl der Rechtlosigkeit“ und Furcht vor „einem wirklichen Kulturkampf gegen die katholische Kirche“ macht sich breit.

Sproll protestiert in zahllosen Schreiben an Regierungsstellen, weist den Vorwurf des Staatsanzeigers, die katholische Presse stelle sich „in den Dienst der Propaganda für die alten Ziele der aufgelösten Parteien“ schroff zurück, spricht von „Christenverfolgung“ und geht schließlich zum offenen Angriff über. Auf zahlreichen Jugend- und Bischofstagen predigt Sproll zwischen 1935 und 1937 Klartext: es geht um weltanschauliche Themen, um die Auseinandersetzung mit dem Rosenberg‘schen „Mythus“, um die nationalsozialistische Blut- und Rassenlehre, die Schulpolitik. Er wendet sich gegen eine der naturrechtlich begründeten Sittenlehre entgegenstehende Rechtssetzung, gegen Propaganda, Zwangsmaßnahmen, Einschüchterung durch Androhung wirtschaftlicher, beruflicher, bürgerlicher Nachteile, gegen die Überhöhung von Volk und Staat sowie den vergötzenden Kult um die Person Hitlers, verteidigt das Recht auf Glauben, das Elternrecht auf Erziehung und Schulwahl.

Ende 1937 wird ein Strafverfahren gegen ihn vorbereitet. Die Weigerung, am 10. April 1938 zur Wahl zu gehen und damit der Reichstagsliste Hitlers seine Zustimmung zu geben, wird zur Symbolhandlung, die verstanden wird. Eine Hetzjagd setzt ein, die in der Stürmung und Verwüstung des bischöflichen Palais ihren Höhepunkt findet. Nur knapp entgeht Sproll der Lynchjustiz der bestellten Demonstranten. Dass die nationalsozialistische Propaganda in der Folgezeit immer nur gegen seine Wahlenthaltung loszieht, empfindet Sproll als befremdend: „Merkwürdigerweise wird bei allen Instanzen in Stuttg. und Berlin immer nur die Nichtwahl geltend gemacht. Von meinem großen sonstigen Sündenregister ist nirgends die Rede“. Das „sonstige Sündenregister“ – das sind seine Protestschreiben an Regierungsstellen, das ist aber vor allem seine intensive Predigttätigkeit als Aufklärungs- und Mobilisierungsarbeit.

1945 wird Sproll für die Katholiken Württembergs zur Ikone des Widerstandes. Die Heimkehr des inzwischen schwer kranken, bewegungsunfähigen Bischofs, der getragen werden muss, gestaltet sich zu einer Manifestation. In der Folgezeit nutzt Sproll sein Ansehen bei den alliierten Besatzungen, am Wiederaufbau des Landes mitzuwirken. Als ihm bekannt wird, dass den Schuldigen des Jahres 1938 der Prozess gemacht werden soll, bittet er um Unterlassung, überzeugt, der Blick dürfe nicht schuldzuweisend zurück, sondern nur konstruktiv nach vorne gerichtet werden. Am 4. März 1949 stirbt Joannes Sproll in Rottenburg.

Prof. Dr. Dominik Burkard ist Kirchenhistoriker an der Universität Würzburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Römische Inquisition und Indexkongregation, das Verhältnis von Staat und Kirche sowie die Geschichte des Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert.

Joannes Baptista Sproll. Bischof im Widerstand. Von Dominik Burkard. Stuttgart: Verlag Kohlhammer 2012

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