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„Wir haben uns über die Musik verständigt“

Staatsanzeiger: Ausgabe 35/2016
Von: Kuhnert, Hannes 

Projekt 19: Dornstetten-Aach Kategorie 2

Bei Volksliedern, Schlagern und Nationalhymnen bekommen Flüchtlinge ein Gefühl für Rhythmus und Sprache. Beim Singen mit Sängern, die Deutsch als Muttersprache erlernt haben, finden sie in Aach Gemeinschaft und ansteckende Fröhlichkeit. Dornstetten-Aach. Hermann Friedrich ist Ortsvorsteher in Aach, einem Stadtteil von Dornstetten (Kreis Freudenstadt). Er ist 68 Jahre alt, pensionierter Schulleiter, begeisterter Sänger seit seiner Kindheit und Vorsitzender des Chorverbands Kniebis-Nagold. Er gehört dem Leitungsteam des Freundeskreises Asyl an. In seinem Stadtteil leben Migranten aus verschiedensten Kulturkreisen friedlich mit den schon länger hier heimischen Bürgern zusammen, seit 2014 etwa 75 Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkunft und Wohnungen. Unter ihnen sind Eritreer, Gambier, Syrer, Iraker und Afghanen. Ortsvorsteher Friedrich organisiert und leitet Deutschkurse. Er ist überzeugt davon, die Integration mit der ansteckenden Fröhlichkeit und der Gemeinsamkeit bei Musik und Gesang zu erleichtern. Migranten treten mit deutschen Sängern auf, lernen europäische Traditionen und Denkweisen, begegnen sich, finden neue Gemeinsamkeiten und Kontakte, so sein Plan. Der Anfang war zäh. Trotz langer Anmeldeliste kam nur ein halbes Dutzend Männer. Das Vorhaben, einen Frauenchor zu gründen, wurde daher schnell ad acta gelegt. „Wir haben viel gelernt über das Frauenbild in anderen Kulturkreisen“, sagt Friedrich. Mit Thomas Müller, dem Dirigenten des Liederkranzes, und den Sängern Horst Müller und Fritz Weinmann bildet Friedrich die Stützen des Chors. „Wir haben uns mit Händ’ und Füß’ und über die Musik verständigt“, lächelt er. Für die Migranten war es zunächst schwer, deutsche Liedtexte und Harmonien zu lernen: „Es klappert die Mühle“, „Der Mond ist aufgegangen“ oder im fortgeschrittenen Stadium der Ohrwurm vom brechenden Marmor, Stein und Eisen.
Höhepunkt war die Teilnahme beim deutschen Chorfest in Stuttgart
Europäische Nationalhymnen oder „Freude schöner Götterfunke“ sind besonders beliebt. Der Chor ist mal größer, mal kleiner und wird immer besser. Auch wenn der geschulte Sänger Friedrich zuweilen Qualen leidet, „wenn sie wieder mal kreuz und quer singen“. Gemeinsame Auftritte sind ganz wichtig. Dazu stoßen immer wieder neue Sangesbrüder. Beim Bachfest wurde gemeinsam gekocht, gebacken und gesungen. Der Migrantenchor trat beim Frühschoppen der CDU ebenso auf wie bei der Modeschau eines Puppenmuseums und wird bei Festen und Veranstaltungen stürmisch gefeiert. Gefördert wird das „Singen in der neuen Welt“ mit 10 700 Euro über den Innovationsfonds Kunst des Landes. Davon wird der Dirigent bezahlt, werden Reisen, Verpflegung, T-Shirts und anderes finanziert. Die Förderung lief zum Juli 2016 aus. Das gemeinsame Singen klang aus mit einem denkwürdigen Höhepunkt: Der Chor trat beim deutschen Chorfest in Stuttgart auf, wurde vom Präsidenten des Deutschen Chorverbandes empfangen. Ein unvergesslicher Moment.
Unterschiedliche Vorstellungen von Pünktlichkeit bestehen weiterhin
Nach anderthalb Jahren ist die Luft ein wenig raus beim Singen in der neuen Welt, die Förderung lief aus und die Fluktuation unter den Flüchtlingen wirkt sich aus. Ob Friedrich das Wagnis noch einmal eingehen würde? „Wahrscheinlich schon“, sagt er nach einigem Nachdenken: „Es hat zum Teil großen Spaß gemacht, zum Teil aber auch Bauchgrimmen.“ Letzteres rührt von der unbekümmerten Unpünktlichkeit seiner internationalen Sänger her. Mehr als einmal fuhren er und der Dirigent mit dem Auto durch den Flecken, um die jungen Herren zur Singstunde einzusammeln oder aus ihren Betten zu trommeln. „Aber“, so Friedrich, „wenn ich die Asylarbeit liebe, dann schaffe ich so etwas auch.“

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