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„Die Leute sollen sagen, man hat sich um uns gekümmert“

Staatsanzeiger: Ausgabe 13/2017
Von: Dischinger, Marcus 

Projekt 73: Rheinstetten Kategorie 3

Einst war hier die Landesanstalt für Schweinezucht, später war es Ausweichdomizil für einen Kindergarten, dann kamen die Flüchtlinge in den Kutschenweg nach Rheinstetten. Und Elvira Mohr und ihr ehrenamtliches Team. Sie halfen beim Ankommen – funktioniert hat das auch ohne eine geordnete Struktur.

Rheinstetten. Man blickt über Wiesen und Felder, wenn man aus der Gemeinschaftsunterkunft (GU) in Rheinstetten (Kreis Karlsruhe) ins Freie tritt. Die Anlage liegt außerhalb der Großen Kreisstadt in Richtung Karlsruhe. Jetzt leben dort Flüchtlinge aus Algerien, Gambia, Kasachstan, Pakistan, Somalia, Syrien und vielen anderen Ländern. Die Zahlen schwanken: Am Anfang waren es nur wenige Dutzend, in der Spitzenzeit bis zu 310 Personen. „Plötzlich waren die Leute da“, erinnert sich Elvira Mohr von der lokalen Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“ an den Herbst 2013.

Von Hausaufgabenbetreuung über Patenschaften bis zur Arztbegleitung

Sie sei zwei Tage, nachdem die ersten Flüchtlinge angekommen waren, hier vorbeigefahren. „Ich habe im Rathaus nachgefragt und dann hatte ich das“, erzählt sie. Und meint damit, dass sie in der GU anfing, Angebote aufzubauen. Berichte im Gemeindeblatt halfen, Mitstreiter zu finden. Der Umfang ist enorm. Es gibt Deutschkurse, eine Radwerkstatt mit angeschlossenem Verkauf, Hausaufgabenbetreuung, Spielangebote für die Kinder, Patenschaften für Familien, Begleitung zu Ärzten und Behörden und einen monatlichen Stammtisch.

Zudem gibt es im Obergeschoss eine eigene Kleiderkammer. Das Angebot erinnert eher an ein Kaufhaus. Es gibt vor allem Kleider und Schuhe, aber auch vieles andere, das man im Alltag so benötigt. Einige Damen, auch ehrenamtlich aktiv, helfen beim Sortieren und Herrichten der vielen Spenden. Mehrere Stunden in der Woche können die Flüchtlinge in die Kleiderkammer kommen und mitnehmen, was sie benötigen. „Wir müssen dankbar dafür sein, dass wir in diesem Land leben dürfen, ein Dach über dem Kopf haben und etwas zu essen“, sagt Elvira Mohr. „Das könnten ja auch unsere Söhne und Töchter sein“, meint sie mit Blick auf die vielen jungen Menschen, die aus ihrer Heimat vor Krieg und Perspektivlosigkeit geflüchtet sind.

Die Hilfsstruktur der vielen Ehrenamtlichen bei „Menschen für Menschen“ erklärt sie mit einem Augenzwinkern: „Unsere Struktur ist, dass wir keine haben.“ Sie sehe, was gebraucht werde, dann suche sie eben jemanden dafür. Meistens findet sie auch den, der genau hat, was sie braucht: ein Bett, einen kleinen Tisch, ein Rucksack, einen Kinderwagen. Für sie sei auch klar, dass die Menschen hier an diesem Ort, wo sie untergebracht sind, aufgefangen werden müssten. „Für das Formale gibt es das Landratsamt.“ Und wenn die Leute hier wieder weggingen, „sollen sie sagen, man hat sich um uns gekümmert“, betont sie.

Die ehrenamtliche Arbeit macht Freude, strengt aber auch an

Einer der Ehrenamtlichen, der regelmäßig mithilft, ist Rupert Faller. Er ist zuständig für die Fahrradwerkstatt im Keller der GU. Er betreut die Reparatur und die Ausgabe der Räder. Alles wird genau notiert: Wer holt ein Fahrrad ab? Was muss repariert werden? Für ihn schließt sich ein Kreis. Denn Faller war in der Landesanstalt einst Lehrling. Jetzt ist er als Rentner wieder zurückgekehrt an seine alte Wirkungsstätte. Die Arbeit macht ihm große Freude, ist aber auch anstrengend. „Ich habe auch mal ein halbes Jahr ausgesetzt, einfach, weil es zu viel war“, sagt er. Jetzt ist er wieder dabei.

Elvira Mohr, im Ort wegen ihrer Tätigkeit als Kirchenälteste bekannt, verschweigt nicht, dass man als ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer einiges aushalten muss. Drei anonyme Briefe mit Anfeindungen hat sie in der Vergangenheit erhalten, im Internet wurden Anzeigen geschaltet, dass ihr Haus zu verkaufen und der Inhalt zu verschenken sei. Als Reaktion hängte sie ein Plakat aus, auf dem stand: „Nein, wir wandern nicht aus. Peace.“ Es ist absehbar, dass die Gemeinschaftsunterkunft geschlossen wird. Die Geflüchteten kommen dann in die Anschlussunterbringung.


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