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Der Eckensee war oval – und was man sonst aus alten Karten lernt

Staatsanzeiger: Ausgabe 36/2018
Von: Baur, Tilman 

Projekt 1: Stuttgart

Wer verstehen will, wie die Landeshauptstadt wurde, was sie ist, braucht nur noch ein I-Pad und Zeit. Ein digitales Stadtlexikon macht es möglich. Es zeigt Stuttgart in unterschiedlichen Epochen und lädt zu Spaziergängen durch die Geschichte ein. Der Input kommt vom Stadtarchiv, das Stadtmessungsamt bearbeitet die Karten. Stuttgart. Der Transparenzregler ist der Hit. Katharina Ernst und Katharina Beiergrößlein stehen auf dem Stuttgarter Schillerplatz und halten ein I-Pad in der Hand. Auf der Website des digitalen Stadtlexikons haben die Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs zwei Karten aufgeschlagen: Eine zeigt die Innenstadt um 1832/33, die andere 1855. Heute ist hier unter anderem ein Eiscafé. Ernst schiebt den Regel langsam nach rechts. Straßenzüge verändern sich, Gebäude werden deutlicher sichtbar, andere verschwinden. „1832 zum Beispiel ist das Feld hinter der Bolzstraße noch frei. 1855 steht schon die alte Bahnhofshalle da“, erläutert die Historikerin. Andere Straßen – die Gymnasiumstraße etwa – sind historisch gewachsen, verlaufen schon seit Jahrhunderten fast genau wie heute. Der Vergleich historischer Karten miteinander mache Stuttgarts digitales Stadtlexikon besonders, da sind sich die beiden sicher. „Normalerweise bilden Karten nur einen Zustand ab. So kann man auch Entwicklungen nachvollziehen“, sagt Beiergrößlein. Für Stuttgarter und Besucher der Stadt ergeben sich verblüffende Erkenntnisse. So stellt man etwa fest, dass der Eckensee vor der Oper einst oval war. Die Besonderheit des Lexikons besteht darin, dass es Einträge im Stadtraum verortet. Durch das für mobile Endgeräte optimierte Programm entsteht so ein „Stadtlexikon to go“, ein völlig neuer Ansatz also. Nutzer geben einen Begriff in die Suchmaske ein, daraufhin erscheinen Punkte im Stadtgebiet, die mit ihm verknüpft sind – das können Orte, Ereignisse oder Personen sein. Wer zum Beispiel den Begriff „Hauptbahnhof“ eingibt, den macht das System unter anderem auf den Besuch der Queen aufmerksam, die am 24. Mai 1965 mit einem Sonderzug auf Gleis 1 in der Landeshauptstadt eintraf. Mit den fortwährend neu entstehenden Texten hat das Stadtlexikon auch das lexikalische Kerngeschäft im Angebot. Rund 100 Autoren haben die Artikel – bislang sind es 144 – exklusiv für das Stadtlexikon verfasst. „Teils hat sie unser Team selbst geschrieben, teils haben wir Autoren angefragt“, sagt Ernst.
Bildergalerien sollen Appetit aufs Archiv machen
Die bis zu 10 000 Zeichen langen Texte haben stets den gleichen Aufbau. Alle Einträge sind mit Quellenangaben und Publikationsdatum versehen und sind für wissenschaftliche Zwecke zitierfähig. Ein besonderes Feature sind die Bildergalerien. „Wir haben sie mit Bildern aus den Beständen gefüllt, um den Nutzern Appetit auf das Archiv zu machen“, so Ernst. Darunter historische Leckerbissen.
Wo heute Bücher verkauft werden, stand früher das Lottersche Haus
So findet man am Standort des traditionsreichen, im Zweiten Weltkrieg zerstörten Lotterschen Hauses am Marktplatz (später Haufler, heute Osiander) den handgeschriebenen Original-Kaufvertrag mitsamt einer Transkription, die die geschnörkelte Schrift entziffert. Die Arbeit am Lexikon, das Teil der Digitalisierungsstrategie von Verwaltungsbürgermeister Fabian Mayer (CDU) ist, sei intensiv gewesen, sagen die Frauen. 18 Monate habe man gebraucht, 76 000 Euro hat sich die Stadt das digitale Aushängeschild kosten lassen. Sechs Mitarbeiter des Stadtarchivs redigierten die Texte der Autoren und pflegten sie ins System ein. Fünf Mitarbeiter des Stadtmessungsamts arbeiteten die historischen Karten ein. Dazu kam die Stuttgarter Software-Firma Spicetech, die die Nutzeroberfläche programmiert hat. Die Arbeit hat sich gelohnt, das Lexikon dürfte eins der modernsten weltweit sein. „Wir kennen nichts Vergleichbares“, so Beiergrößlein.
Mehr Zum Thema
Das Stadtlexikon von Stuttgart: www.stadtlexikon-stuttgart.de

     

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