Debatte über NS-Vergangenheit, Streit mit AfD

29.01.2020 
Von: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer
 
Redaktion
 

Stuttgart. Die Baden-Württemberg-Stiftung hat 2014 ein über drei Jahre laufendes Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der badischen und württembergischen Landesministerien finanziert, das unter Leitung von Wolfram Pyta (Universität Stuttgart) und Edgar Wolfrum (Universität Heidelberg) bearbeitet wurde. Der Landtag hat am Mittwoch über ihre zentralen Ergebnisse debattiert.

Dies geschehe mit einiger Verspätung, wie Brigitte Lösch (Grüne) einräumte. Der Antrag sei schon vor fast drei Jahren gestellt worden, aber heute angesichts des Gedenkens an die Befreiung des KZ Auschwitz vor 75 Jahren besonders aktuell. Die Landesregierung habe mit dem Forschungsauftrag eine Vorreiterrolle übernommen, so die frühere Landtagsvizepräsidentin, „denn aus der Vergangenheit erwächst die Verpflichtung, wachsam zu bleiben“. Die Erkenntnisse seien von „immenser Bedeutung: Das Land macht sich ehrlich vor seiner Geschichte und bekennt sich zur historischen Verantwortung“.

Entstanden seien wertvolle Materialen für die politische Bildungsarbeit, unter anderem ein Materialheft der Landeszentrale für politische Bildung für Schulen und auch für die außerschulische Bildungsarbeit. Und angestoßen sei das Nachfolgeprojekt zur „Reintegration, Schuldzuweisung und Entschädigung, Bewältigung und Nichtbewältigung der NS-Vergangenheit in den drei Vorgängerländern Baden-Württembergs“.

Mehrere Redner gingen auf das Verhältnis der AfD zum Nationalsozialismus ein. Dies sei kein "Vogelschiss", so der Reutlinger SPD-Abgeordnete Ramazan Selcuk. Das Aufarbeiten der eigenen Vergangenheit sei kein Akt der Selbstauflösung, keine dämliche Bewältigungspolitik und erst recht kein Schuldkult. „Manche Menschen, auch hier im Haus, versuchen eine neue Lesart für die Geschichte des Nationalsozialismus einzuführen, eine, die sie verharmlost oder auf wenige führende Köpfe reduziert", sagte die Ettlinger CDU-Abgeordnete Christina Neumann-Martin. „Der Nationalsozialismus hat es 1933 quasi über Nacht geschafft, die demokratischen Institutionen der Weimarer Republik zu untergraben, zu vernichten oder gleichzuschalten“, so Neumann-Martin weiter. Auch deshalb sei das Forschungsprojekt so wichtig, weil sich die Wissenschaft zum ersten Mal sehr genau mit der Rolle der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus befasst habe.

„Geschichte wiederholt sich nicht“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), erinnerte aber an den schnellen Zugriff des Regimes auf Behörden und Beamtenschaft. Dies zeigte, dass Demokratie „ständig neu gewonnen und gesichert werden muss“. Es gehe darum, „alles dafür tun, um der Verführung von simplen Lösungen entgegenzutreten“. Das gelte für das Land, für die Bundesrepublik und den Kontinent Europa, der vor nationalen Egoismen und Spaltungen nicht so sehr gefeit sei, „wie wir uns das gewünscht hätten“.  Die Bedeutung der Beamtenpolitik bei der Transformation demokratischer Ordnungen in autoritäre Systeme trete international wieder in unterschiedlichen Facetten offen zutage.  Bauer ging auch auf das Nachfolgeprojekt zurzeit bis 1952 ein, das sich, mitfinanziert durch die Baden-Württemberg-Stiftung, schon in der Abschlussphase befindet. 

Für die AfD begrüßte auch Doris Senger die Forschung ausdrücklich. „Wir sind eine Oppositionspartei, die eingetretene Pfade verlassen möchte“, sagte die Nachrückerin im Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen. Deshalb fühle sich ihre Partei auch „den Menschen verbunden, die damals nicht mitgelaufen sind, sondern kritisch hinterfragt haben“. Man könne aber die eigene Geschichte nicht losgelöst verstehen, man müsse sich mit den ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Faschismus und Kommunismus befassen, die viele Millionen Menschen das Leben gekostet hätten. Wissenschaftliche Erkenntnisse dürften nicht verkürzt werden, und "Obrigkeitshörigkeit" müsse auch heue Paroli geboten werden. Die Geschichte zeige, dass Ideologie und Parteipolitik häufig zu Machtmissbrauch führten. Da sei es nicht verwunderlich, wenn die AfD verleumderisch in die Nähe einer NS-Diktatur gerückt werde. Geschichte dürfe aber nicht für den parteipolitischen Kampf genutzt werden.  

Der Vorsitzende des FDP-Arbeitskreises Wissenschaft, Nico Weinmann, lobte die Aufarbeitung der Rolle von Landesministerien, weil sie keinem Selbstzweck folge. Dies sei gerade heute von großer Aktualität und Notwendigkeit. „Wahlen allein machen noch keine Demokratie“, zitierte der Heilbronner Abgeordnete den früheren US-Präsidenten Barack Obama. Auch die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Justiz in Baden-Württemberg, wie sie im vergangenen Jahr am Landgericht Stuttgart präsentiert wurde, und die Gedenkstätten im Land leisteten „einen essentiellen Beitrag in der Auseinandersetzung mit diesem dunklen Kapitel der Vergangenheit“. Heute sei „Rechtsstaatlichkeit ein Markenkern unserer Demokratie und lässt es absolut unvorstellbar werden“, dass sich Richter oder Beamte „zum billigen Werkzeug einer menschenverachtenden Diktatur“ machen ließen.


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