Web 2.0 ist gekommen, um zu bleiben

22.11.2010 
Redaktion
 

Karlsruhe. Die digitale Kultur verändert das Zusammenleben von Menschen in rasantem Tempo. Als Revolution will der Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Karlsruhe-Land, Axel Fischer (CDU), die Entwicklungen dann aber doch nicht bezeichnen. Der Vorsitzende der Enquete-Kommission für Internet und Digitale Wirtschaft im Deutschen Bundestag sieht Revolutionen nämlich „kommen und gehen“, was auf Web 2.0 nicht zutreffe.

Im Gegensatz dazu würden die Veränderungen, die das Internet bringt, bleiben. Und wie diese Veränderungen zuweilen aussehen, das beschrieb der Abgeordnete auf dem Demokratiekongress 2010 der Konrad-Adenauer-Stiftung am Freitag in Karlsruhe so: Das Internet sei eine „unwirtliche Umgebung“. Er werde in Foren von fremden Leuten beschimpft und beleidigt. „Das würde einem auf der Straße nicht passieren“, fügt er hinzu.

Einfach Ansprachemöglichkeit für den Bürger

Dabei werden Wissenschaftler und die so gescholtenen Politiker selbst nicht müde, den großen Wert und die Chancen aufzuzählen, die die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten à la Twitter, Facebook oder anderen sozialen Foren bereit halten. „Sie können die Distanz zwischen Staat und Bürger verringern und Abläufe besser vermitteln“, glaubt Fischer. Umgekehrt sei es eine einfache Ansprachemöglichkeit für den Bürger an die Politik. Die wird in einem Maße und in Formen genutzt, die der Politik aber Schwierigkeiten bereitet. Vor allem die Geschwindigkeit der Entwicklung ist atemberaubend.

„Facebook ist mittlerweile die drittgrößte Nation der Erde“, zitiert der Journalist Wolfgang Stock die Finanzzeitschrift „The Economist“. Der Professor für Journalistik an der Gustav-Siewerth-Akademie in Waldshut, Geschäftsführer einer Beratungsfirma und Erfinder des wöchentlichen Video-Podcasts von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt, mit solchen Größen müsse man umgehen lernen. „Aber die Politik hat große Probleme, mit der Geschwindigkeit, in der sich Facebook ausbreitet, mitzuhalten“.

In Stuttgart hat die Junge Union (JU) bewiesen, dass das geht: Ihr Facebook-Auftritt für Stuttgart 21 hat binnen kurzer Zeit 120 000 „Freunde“ gefunden – so heißen diejenigen, die sich einer Seite auf Facebook anschließen. Doch das funktioniert bloß selten in Deutschland. Während der amerikanische Präsident 16,7 Millionen Freunde hat, sind es bei Merkel lediglich 57 000. „In Relation zu Obama müsste sie eigentlich 4,2 Millionen Anhänger haben“, hat der Merkel-Biograph ausgerechnet. Den Grund für die mangelnde Bereitschaft, Anhänger zu werden, liefert er gleich mit: „Man merkt, bei Merkel schreiben Leute, die mit Facebook so gar nichts am Hut haben, das ist unecht“, stellt er fest.

Ob die vielfach gepriesenen Mitwirkungsmöglichkeiten im Web 2.0 wirklich so basisdemokratisch sind, wie es in der Theorie erscheint, stellt Stock in Abrede. Beispiel Wikipedia: Insgesamt gebe es 300 so genannte „Gatekeeper“, also Administratoren, die darüber entscheiden, ob jemand an der Erstellung oder Veränderung von Beiträgen mitwirken darf. „Von den vorhandenen Administratoren werden Sie weggebissen, der Meinungskampf läuft ohne Sie“, sagte er an die Teilnehmer des Kongresses gerichtet.

Die Evangelische Kirche habe das erfahren müssen. Ihre Kritik an der Kommerzialisierung des Reformationstages am 31. Oktober durch Halloween sei im entsprechenden Wikipedia-Eintrag so gut wie nicht mehr vorhanden. „Die Kirchen haben die Deutungshoheit über diesen Tag verloren“ bilanziert Stock angesichts der immens hohen Zahl von einer Million Abrufen des Begriffs in der deutschsprachigen Wikipedia.

Harte Nachrichten bleiben auf der Strecke

Auch der Politik droht dies zunehmend: Kaum eine Bürgerinitiative oder eine Protestbewegung, die der Politik nicht den Spiegel vorhält und auf allen Kanälen kämpft. Was dabei auf beiden Seiten zuweilen auf der Strecke bleibt, seien die Fakten, sagt Wolfgang Stock. „Die eigentliche Grundinformation und die harte Nachricht sind die Verlierer“. Auch die großen Nachrichtenmagazine der öffentlich-rechtlichen Sender wie Tagesthemen oder heute-journal bildeten lediglich noch die „Sicht eines Anchormans“ ab. Die Politik hat sich im Gegenzug mit 15-Sekunden-Statements abgefunden, in der sie „nur noch einen Fetzen transportiert“.

Wenn also nicht mehr die Politiker und deren Parteien für die politische Willensbildung zuständig sind, sondern jeder in Bruchteilen von Sekunden über das Web 2.0 viele Tausend Menschen erreichen kann – wozu also noch Politiker? „Der Online-Bürger führt zu einem imperativen Mandat, das ist die Gewalt der virtuellen Stimmabgabe“ glaubt der Journalist. Die Parteien stehen dem derzeit noch relativ hilflos gegenüber und müssen lernen, dass sich neben ihnen eine weitere meinungsbildende Partei: Das soziale Netzwerk, das um ein Vielfaches mehr Mitglieder hat, als alle deutschen Parteien zusammen.


Kontakt

Ihre Ansprechpartnerin in der Redaktion

Redaktionsassistentin Staatsanzeiger
Doris Kugel
Telefon: 07 11.6 66 01-290
E-Mail senden

Unser Team

Ihr Kontakt zu unseren Redakteurinnen und Redakteuren

Zum Team

Praktikums-Tagebuch

Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger. 

Zum aktuellen Tagebuch

Der Kommunal-Newsletter

Wissenswertes zu kommunalpolitischen Themen für Sie als Gemeinderat/Gemeinderätin mit einem wöchentlichen Newsletter direkt in Ihr E-Mail-Postfach. Abonnieren Sie jetzt den 
Kommunal-Newsletter.

Newsletter abonnieren