Der Untersuchungsausschuss „Polizeieinsatz Schlossgarten“ nimmt die Arbeit auf - ein Protokoll

23.11.2010 
Redaktion
 
Demonstranten, die Schilder gegen das Projekt Stuttgart 21 in die Höhe halten, stehen einzelnen Polizisten gegenüber. Foto: ddp

Stuttgart. Insgesamt acht Termine sind festgesetzt: Während der Sitzungen soll ein Untersuchungsausschuss des Landtags Ablauf und Zuständigkeiten für den umstrittenen Polizeieinsatz am 30. September dieses Jahres im Schlossgarten Stuttgart klären. Die Opposition möchte vor allem wissen, ob die Landesregierung Einfluss genommen hat. Ein Protokoll aus der ersten öffentlichen Sitzung des Ausschusses.

9.00 Uhr: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss „Polizeieinsatz Schlossgarten“ nimmt seine Ermittlungsarbeit zu den Vorgängen im Vorfeld der ersten Baumfällarbeiten für das Projekt Stuttgart 21 auf. Des großen Andrangs wegen findet die Sitzung im Plenarsaal des Landtags statt. Im Mittelpunkt stehen Bild- und Tonaufzeichnungen, Lichtbilder und Abbildungen, die die Planung, die Durchführung und den Verlauf des Einsatzes am 30.September 2010 betreffen. Das Material stammt von den Dokumentationsteams der Polizei und vom Südwest-Rundfunk.

Erst Bilder der Polizei, dann des SWR

9.04 Uhr: Der Ausschussvorsitzende Winfried Scheuermann (CDU) erläutert den Ablauf. „Dieses ist die erste Sitzung der Beweisaufnahme“, sagt Scheuermann und begrüßt ausdrücklich die Zuschauer auf der Tribüne. Zuerst würden Sequenzen der Polizei vorgeführt, in die Polizeipräsident Siegfried Stumpf einführt. Danach gibt es die Möglichkeit, zu fragen. Als zweites gebe es eine Filmsequenz des SWR.

9.07 Uhr: Uli Sckerl (Grüne) schlägt eine Vorführung in Abschnitten vor, um sofort fragen zu können. Scheuermann bleibt beim vorgesehen Ablauf.

Im Landtag von Baden-Württemberg sind seit Gründung des Landes im Jahr 1952 insgesamt 23 Untersuchungsausschüsse eingesetzt worden. Immer dann, wenn die Opposition glaubte, Skandale oder größere Verfehlungen der Regierung aufdecken zu können, kam die schärfste parlamentarische Waffe zum Einsatz.

9.09 Uhr: Polizeipräsident Siegfried Stumpf stellt  „der Fairness und der Offenheit halber" voran, wie der Einsatz geplant war. Und er geht auf die Auswahl der Videos ein, die die Geschehnisse in ein Licht rücken sollen, „in dem beide Seiten gesehen werden können". Außerdem will die Polizeiführung demonstrieren, warum sie wie gehandelt hat.

9.14 Uhr: Stumpf sagt: „Unsere Absicht war es, in den Schlossgarten hineinzukommen, Bereiche abzusperren und gegebenfalls Personen aus diesen Bereichen heraus zu tragen.“ Der Polizeipräsident von Stuttgart erklärt: „Die Wasserwerfer waren vorgesehen, falls es in den Abend- oder Nachtstunden zu Ausschreitungen kommen sollte, die Kollegen und Kolleginnen im Sinne der Eigensicherung zu unterstützen."

Ein Wasserwerfer wiegt 26 Tonnen

9.18 Uhr: Der Polizeipräsident erläutert, warum die Polizisten bloß über den Schlossgarten anfahren konnten. Ein Wasserwerfer wiegt 26 Tonnen - damit blieb lediglich die Möglichkeit, die gewählt wurde. Der Konvoi bestand aus insgesamt elf Wagen, darunter zwei Wasserwerfern. An der Spitze fuhren drei Gitterfahrzeuge.

9.23 Uhr: Laut Einsatzplanung sollte eine Polizeikette gestellt werden, um anschließend die Gitter aufbauen zu können. Stumpf sagt: „Wenn es nach Plan und zügig läuft, können Sie eine Kette in etwa zehn Minuten stehen haben und die Gitter in einer dreiviertel Stunde hinstellen." Der Grünen-Abgeordnete Sckerl mahnt das ursprüngliche Konzept an, an Bilder vom Einsatz zu zeigen.

9.28 Uhr: Bei der Polizei sind insgesamt 100 Stunden Filmmaterial gesichtet worden. Revierleiter Andreas Feß erläutert den Ablauf des Einsatzes nach der Auslösung des Parkschützer-Alarms. Er spricht von einem „sehr starken Personenaufkommen" schon zu Beginn der Einsatzmaßnahmen um halb elf Uhr.

9.30 Uhr: Jürgen Massenbach-Barth, Leiter der Einsatzableitung bei der Bereitschaftspolizei in Böblingen, erläutert, dass zu Beginn des Einsatzes auch zivile Beamte im Schlossgarten waren.

Erst wenige Polizisten, dann zwei Hundertschaften

9.32 Uhr: Die Filmübertragung beginnt. Revierleiter Feß erklärt: „Wir haben zu Beginn wenig Material, weil nur wenige Einsatzkräfte im Park waren.“  Um 10.48 Uhr seien am Einsatztag zwei Hundertschaften der Polizei in den Schlossgarten gekommen.

9.38 Uhr: In der ersten Filmsequenz, gedreht zwischen 10.30 und 11 Uhr am 30. September, ist unter anderem zu sehen, wie Polizisten versuchen, Schüler und Schülerinnen am Besteigen von Bäumen zu hindern.  Feß sagt: „Ab elf Uhr haben wir eine andere Situation.“ Der Technikkonvoi der Polizei ist in den Schlossgarten eingefahren und in Richtung eines Biergartens unterwegs. Feß erklärt: „Ab elf Uhr war es der Polizei nicht mehr möglich, sich frei im Park zu bewegen." Es sei zu ersten Blockaden gekommen. „Aus unserer Sicht stellte sich das als Nötigung dar, gegen die wir entsprechend vorgehen mussten.“ Der revierleiter fährt fort: „Um 11.53 Uhr wurde durch mich um die Freigabe weiterer Mittel des unmittelbaren Zwangs ersucht."

9.44 Uhr: Den Bildern zufolge wird ab 11.30 Uhr der Bereich des Biergartens blockiert. Es sind viele junge Beamte zu sehen, viele Demonstranten und wieder und wieder einzelne Männer und Frauen, die die Situation beruhigen wollen. Es gibt Gespräche über den Gitterzaun hinweg. Ununerbrochen ertönt ein gellendes Pfeifkonzert. Um 11.52 Uhr war der Bereich des Biergarten nach Feß' Worten völlig durch Stuttgart-21-Gegner besetzt. Eine Räumung „durch Wegtragen oder Wegdrücken war durch die Einsatzkräfte nicht mehr möglich“. Der Biergarten selbst, das hätten die Stuttgart-21-Gegner offenbar erkannt, habe einen Brennpunkt dargestellt, „durch den die Polizei durchmusste“, so Feß. Um 11.53 Uhr beantragt der Revierleiter nach eigenen Worten den Einsatz des Pfeffersprays, des Wasserwerfers und in Einzelfällen auch des Schlagstocks . Feß sagt: „Die Kräfte aus Bayern wurden von dem Personenzustrom überrannt.“

"Oben bleiben" rufen die Demonstranten

9.50 Uhr: Es sind wieder Bilder zusehen, viele Menschen sind im Park, „Oben-bleiben“-Sprechchöre sind zu hören. Viele Einsatzkräfte wirken ratlos, sie schauen sich hilfesuchend um.

9.53 Uhr: Jürgen Massenbach-Barth von der Bereitschaftspolizei Böblingen kommt in den Schlossgarten, als ein Gitterwagen besetzt ist. Es ist 11.56 Uhr am Einsatztag. Die Situation sei gefährlich gewesen für die Jugendlichen, sagt Massenbach-Barth. Ein Gitter wiege 50 Kilo - „wenn man mit den Füßen dazwischen kommt, ist das gefährlich“. Die Polizisten seien „langsamer und sorgfältiger" vorgegangen als üblich. Zehn Mal hat Massenbach-Barth selber die Jugendlichen aufgefordert, den Gitterwagen zu räumen. Wieder werden die entsprechenden Bilder gezeigt.

10.00 Uhr: Jürgen Massenbach-Barth erläutert einen Schlagstock-Einsatz um 12.09 Uhr am Einsatztag und fordert die Anwesenden auf, sich ein Bild davon zu machen. Das Video läuft. Eine Stimme ist zu hören: „Bitte verlassen Sie das Fahrzeug, Sie gefährden sich selber.“ Die Polizei fordert Erwachsene auf, die Jugendlichen ebenfalls aufzufordern, den Gitterwagen zu verlassen. (Die von Massenbach-Barth erwähnte Szene um 12.09 Uhr ist allerdings nicht zu sehen.) Die Polizei versucht, Jugendliche abzudrängen. Viele skandieren: „Wir sind friedlich, was seid Ihr?" Der Zeitangabe auf dem Video zufolge ist es 12.16 Uhr, als eine Stimme sagt: „Erste Gegenstände fliegen aus der Menge.“ Massenbach-Barth unterbricht die Vorführung im Plenarsaal. Er weist darauf hin, dass „die zivilen Einsatzkräfte inzwischen als Einsatzkräfte der geschlossenen Einheit im Park sind“. Die Beamten hätten aus Eigensicherungsgründen Helme aufgesetzt. Der Film läuft weiter. Es sind Sitzblockaden dokumentiert. Um 12.31 Uhr gibt es wieder Sprechchöre: „Wir sind friedlich, was seid Ihr?“ Auf dem Video wird die Uhrzeit 12.37 Uhr angezeigt, als Rangeleien zwischen Polizisten und Demonstranten zu sehen sind. Es ist eng und laut. Das italienische Widerstandslied "Bella ciao" ist zu hören.

Zwischenrufe von der Zuschauertribüne

10.05 Uhr: Im Landtag kommen erste Zwischenrufe von der Zuschauertribüne. Es heißt, dass zu diesem Zeitpunkt bereits Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt worden seien. Massenbach-Barth von der Bereitschaftspolizei betätigt dies. Die Reihen auf der Zuschauertribüne im Plenarsaal sind dicht besetzt. Viele Schüler verfolgen die Ausschusssitzung.

10.15 Uhr: Revierleiter Feß kommt zum Thema Wasserwerfer - und bekennt sich persönlich zu dem Einsatz ab 12.45 Uhr. Unmut auf der Tribüne des Landtags, der jedoch vom Ausschussvorsitzenden Scheuermann unterbrochen wird.  Er nennt es guten Brauch, dass sich die Zuschauer im Landtag Meinungsäußerungen enthalten. Wieder läuft das Video an. Um 12.45 Uhr am Einsatztag wird der Einsatz von Wasser angekündigt. Die Polizei fordert Blockierer auf, die Straße frei zu machen. „Dies war die letzte und dritte Aufforderung, 12.48 Uhr", sagt die Stimme im Video. Um 12.48 Uhr kommt das Kommando „Wasser marsch". Es gibt laut Feß drei Stufen: Wasser wird noch oben gerichtet - die Personen werden nass; mit einem stärkeren Strahl wird eine Wassersperre errichtet; Wasser wird in Stößen eingesetzt, „unmittelbar auch gegen Einzelpersonen“. Ab 13.00 Uhr versucht die Polizei erneut, Demonstranten zum Aufstehen zu bewegen, darunter auch eine Mutter mit einem Kleinkind im Arm.

Filmaufnahmen aus dem Fahrerhaus

10.20 Uhr: Dem Video zufolge werden ab 13.06 Uhr im Schlossgarten von Stuttgart Wasserstöße eingesetzt. „An den Polizeikräften vorbei“, kommandiert eine Stimme im Fahrerhaus des Wasserwerfers, von dem aus nach draußen gefilmt wird. Mehrere Blockierer stehen auf, sie sind bereits ziemlich nass. Die Mutter mit dem Kind will sitzenbleiben. Um 13.08 Uhr sind wieder Wasserstöße zu sehen.  Um 13.09 Uhr wird der Wasserwerfer direkt blockiert, allerdings von stehenden Demonstranten. Wieder sind Stimmen aus dem Fahrerhaus zu hören: „So ist es gut, Manfred", sagt ein Beamter, als der Wasserwerfer bedient wird. Ein Junge wringt direkt vor der Frontscheibe des Fahrzeugs seine nasse Mütze aus.

10.28 Uhr: Um 13.20 Uhr war der Polizeikonvoi nach den Worten von Revierleiter Feß wieder beisammen. Massenbach-Barth von der Bereitschaftspolizei Böblingen erläutert die Situation im Biergarten – „aus unserer Sicht eine Schlüsselstelle, weil dort der Baustellenbereich begann“, sagt er. Es habe zirka 50 Durchsagen aus den Wasserwerfern heraus gegeben. „Wir wollen keine schweigende Polizei sein, wir wollen eine sprechende Polizei sein", sagt Massenbach-Barth. Wieder werden Bilder gezeigt: Der grauhaarige Mann ist zu sehen, der später schwer an den Augen verletzt wird.  Laut Zeitangabe auf dem Video ist es 13.24 Uhr. Demonstranten, die erneut mit Wasserstößen abgedrängt werden sollen, brüllen: „Wir sind das Volk, wir sind souverän."

Nach dem Polizeieinsatz im Schlossgarten sind im Katharinenhospital und in der Charlottenklinik für Augenheilkunde in Stuttgart 16 verletzte Demonstranten behandelt worden, vier von ihnen stationär.

10.34 Uhr: Auf einer Videosequenz von 13.36 Uhr ist wieder der grauhaarige Mann vor dem Wasserwerfer zu sehen - mit erhobenen Armen. Eine Minute später stößt die Polizei das Wasser aus mehreren Rohren in die Menge. Eine weitere Minute später wird der Gitterzaun von den Demonstranten an einer Stelle durchbrochen.

10.43 Uhr: Die Polizei bekommt die Situation rund um den Biergarten nicht in den Griff. Die Zeitangabe auf dem Video zeigt 13.48 Uhr an, als Demonstrantinnen zu sehen sind, die von Pfefferspray getroffen wurden. Ab 13.49 Uhr wird versucht, eine neue Gitterlinie zu ziehen. Bierbänke liegen kreuz und quer. Wieder und wieder kommt es zu Rangeleien.

10.48 Uhr: Auf der Leinwand im Plenarsaal des Landtags ist zu sehen, wie um 13.51 Uhr am Einsatztag Beamte einer völlig durchnässten Frau vom Boden aufhelfen. Um 14.00 Uhr Uhr versucht eine Reihe von Einsätzkräften, Demonstranten abzudrängen. Massenbach-Barth von der Bereitschaftspolizei Böblingen unterbricht die Vorführung des Filmmaterials: „Hier sehen Sie, was wir meinen, wenn wir sagen, wir waren einem starken Druck ausgesetzt“, sagt er. Es entstünden Gemengesituationen. Wasserwerfer und Pfefferspray seien eingesetzt worden, um Personen aus einem bestimmten Bereich herauszubekommen.

Pfefferspray und Wasserwerfer

10.56 Uhr: Revierleiter Feß erläutert, dass die Gitterlinie im Schlossgarten erst gegen 16.30 Uhr geschlossen werden konnte. „Die Menschen sind einfach nicht freiwillig zur Seite gegangen“, sagt er. Gezeigt wird nun der sechste Film der Polizei. Zu sehen sind Bilder, auf denen etwa ein Dutzend Polizisten Hunderten von Stuttgart-21-Gegnern gegenüber stehen. Massenbach-Barth weist ausdrücklich auf diese Situation hin: Weil von hinten gedrückt wurde oder werden konnte, seien Pfefferspray und Wasserwerfer eingesetzt worden.

11.02 Uhr: Um 14.31 Uhr ist zu sehen, wie ein Leuchtkörper in Richtung Polizei fliegt. Weiterhin stehen vergleichweise wenige Beamte vielen Demonstranten gegenüber. Aus den Reihen der Polizei hebt sich im Bildvordergrund eine Hand und versprüht  Pfefferspray. Massenbach-Barth aus Böblingen stellt fest: „Sie haben gesehen, wie Pfefferspray eingesetzt wird, damit die Polizei weiter nach vorn rücken kann.“ Nach 15 Uhr sind wiederum Wasserstöße zu sehen, um 15.36 Uhr wollen einzelne Demonstranten Polizisten zum Aufgeben bewegen. Um 15.50 Uhr wird ein Rauchkörper vor einen Wasserwerfer geworfen.

11.10 Uhr: Es läuft der siebte Film der Polizei. Auf der Leinwand sind Bilder zu sehen, wie auf dem inzwischen völlig aufgeweichten Boden des Schlossgartens eine weitere Gitterlinie zur Einrichtung des Sicherheitsbereichs für die Baumfällarbeiten gezogen wird. Um 16.14 Uhr stößt Wasser in starkem Strahl in die Menge. Etwa ein Dutzend Beamte und Hunderte von Demonstranten sind zu beobachten. Polizist Massenbach-Barth kommentiert die Szenen: „Sie sehen jetzt sehr viele Kräfte vor Ort, wir konnten sie konzentrieren.“  Um 16.29 Uhr werden Blockierer weggetragen. „Sie brauchen dazu eine größere Anzahl von Beamten“, sagt Massenbach-Barth.

Die Polizisten hinter der Gitterlinie, die Demonstranten davor

11.15 Uhr: Die Uhr auf dem Videomaterial zeigt nun 17.24 Uhr an. Es sind ununterbrochen Sprechchöre der Demonstranten zu hören: "Haut ab, haut ab." Um 18.21 Uhr schließlich zeigt das Video eine geordnete Situation: Polizisten stehen hinter der Gitterlinie, mit Pferden und Containern, die Demonstranten davor. Um 19.13 Uhr werden Bäume geräumt, um 23.00 Uhr Gegenstände geworfen. „Definitiv keine Plastikflaschen“, sagt Massenbach-Barth, der Leiter der Einsatzableitung bei der Bereitschaftspolizei Böblingen. Die Polizei habe sich darauf vorbereiten wollen, dass weitere Leuchtkörper geworfen werden. „Auch wenn da nicht viel passiert ist", so  Massenbach-Barth weiter, „ein Kollege hat eine Brandwunde erlitten." Gezeigt wird um 23 Uhr auch ein brennender Müllcontainer auf der Konrad-Adenauer-Straße.

11.20 Uhr: Polizeipräsident Siegfried Stumpf möchte die Rechtslage zu Blockaden erläutern. Die Opposition protestiert. Ulrich Müller (CDU) sagt: „In diesem Haus kann man die Rechtslage nicht schildern, ohne dass die Opposition eingreift." Auch der Ausschussvorsitzende Scheuermann möchte die Darstellung Stumpfs in die kommende Woche verschieben: „Wir befinden uns an einem Scheidepunkte. Werden Anträge gestellt?" Der Grünen-Abgeordnete Sckerl will ebenfalls weitere Einschätzungen durch die Polizei auf den kommenden Montag, den Tag der Zeugenvernehmung, verschoben wissen. Andreas Stoch von der SPD erklärt: „Das ist Teil einer rechtlichen Bewertung." Müller besteht jedoch darauf, der Polizei die Möglichkeit zu geben, ihr Handeln zu schildern – „auf der Abgrenzung zwischen Demonstrationsrecht und Straftat". Es wundere ihn, dass die Opposition so allergisch reagiere. Scheuermann unterbricht nun die Sitzung. Es wird nichtöffentlich über den weiteren Vorgang beraten.

Rechtliche Bewertung von Blockaden in der nächsten Sitzung

11.34 Uhr: Winfried Scheuermann (CDU) setzt die öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses im Plenarsaal des Landtags fort. Ulrich Müller (CDU) konnte sich mit seinem Vorstoß nicht durchsetzen, Stumpf ein Rederecht zur rechtlichen Bewertung von Blockaden einzuräumen. Dazu werde es am kommenden Montag kommen, kündigt Scheuermann an.

11.37 Uhr: Weitere Filmsequenzen von etwa zehn Minuten Länge aus dem Material der Polizei werden vorgeführt. Die Uhr zeigt 13.22 Uhr an, als der später schwerverletzte Grauhaarige einen Gegenstand in Richtung Wasserwerfer wirft. 16 Minuten später steht er mit erhobenen Händen im Strahl. Ein Polizist spricht ihn an. Um 13.47 Uhr sind weitere Wasserstöße zu sehen. Die Polizei geht davon aus, dass der Mann zu diesem Zeitpunkt schwer an den Augen verletzt wird.

11.41 Uhr: Ein Mitglied der Jugendoffensive gegen Stuttgart 21 ist dem Videomaterial der Polizei zu sehen, es sind Bilder einer Pressekonferenz am 8. Oktober. „Ich würde auf jeden Fall auch unter Eid vor Gericht aussagen, dass Pfefferspray und Schlagstöcke auch ohne Gewalt von uns eingesetzt worden sind“, heißt es. Diese Aussage möchte die Polizei mit Bildern aus dem Park widerlegen:  blockierende Jugendliche, Jugendliche unter nassen Planen und noch einmal der Jugendliche, der seine nasse Mütze auswringt.

11.47 Uhr: Die Polizei zeigt eine Abschlusssequenz, um zu unterstreichen, welchen Aktivitäten die Beamten ausgesetzt waren. In der Sequenz schreit eine Frau, es ist 15.16 Uhr am Einsatztag: „Ihr Bestien, ihr Killermaschinen.“ Und weiter: „Natürlich bin ich aggressiv, wenn ich das sehe." Es sind mehrere Rangeleien zu sehen. Der Ausschussvorsitzende Scheuermann dankt danach der Polizei – und zwar unabhängig davon, „wie man zu den Bilder steht". Sckerl von den Grünen fragt nach Deeskalationsteams. Polizeipräsident Stumpf sagt, es gebe Videomaterial. Die Teams seien allerdings erst später zum Einsatz gekommen, so sei es auch vorgesehen gewesen: „Am Morgen hatten wir die Probleme noch nicht so."

11.55 Uhr: Der FDP-Landtagsabgeordnete Hagen Kluck fragt nach einer Einschätzung zur Gewaltbereitschaft der Demonstranten. Scheuermann stellt die Antwort bis Montag zurück. Thomas Blenke von der CDU erkundigt sich angesichts der Regenkleidung, die viele Demostranten tragen, nach dem Wetter am 30. Er unterstellt, sie seien auf den Einsatz vorbereitet gewesen. „Wenn das eine Frage ist, dann können wir die bis Montag klären", sagt Scheuermann. Der CDU-Abgeordnete Müller bittet Stumpf um eine Einordnung anderer Bilder, etwa von Fernsehteams. Stumpf bestätigt, dass die Polizei auch auf anderes Material zurückgreift.

"Film ab" für das Material des SWR

12.00 Uhr: Der Ausschussvorsitzende Scheuermann kommt nun zum Filmmaterial des SWR. Er zitiert aus einem Brief des Senders und dem Inhaltverzeichnis: Es sind mehrere Beiträge vorgelegt. „Film ab", sagt Scheuermann.

12.10 Uhr: „Der Konflikt um Stuttgart 21 hat einen neuen Höhepunkt erreicht“, heißt es in einem der Fernsehbeiträge: „Ausnahmezustand in Stuttgart.“ Verletzte sind zu sehen. Unter anderem kommt Polizeisprecher Stefan Keilbach zu Wort. Eine Posaunenorchester spielt die Nationsalhymne. Erste Rangeleien ab 11.30 Uhr werden gezeigt, aber auch die zeitgleich um 12 Uhr beginnende Pressekonferenz mit Innenminister Heribert Rech (CDU, der die „Absicherung der Baumaßnahme durch die Polizei“ verteidigt. Die Polizei gehe vor gegen jedermann, sagt er – und das ohne Ansehen der Person. Weil das vonseiten des Senders abgelehnt wurde, gibt es nach der Vorführung der Videosequenzen keine Befragung beteiligter SWR-Journalisten oder Kameraleute.

12.14 Uhr: Die meisten Abgeordneten und Mitarbeiter der Landtagsfraktionen verfolgen die gezeigten Bilder aufmerksam. Einige lesen allerdings Akten oder schreiben Mitteilungen auf dem Handy.

12.15 Uhr: Innenmininister Rech berichtet in einem der Fernsehbeiträge von „zerstochenen Reifen" durch die Demonstranten. Auch Gangolf Stocker vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, der inzwischen Teilnehmer der Schlichtung mit Heiner Geißler ist, kommt in dem Beitrag zu Wort. Er kritisiert den Polizeieinsatz. „Das ist das Ende der jetzigen Regierung", sagt ein Demonstrant.

12.20 Uhr: Erneut ist in einem Beitrag der Innenminister zu sehen. „Eltern von Schülern möchte ich sagen, dass Kinder in vorderster Linie nichts zu suchen haben“, erklärt er. Die Polizei habe das Pfefferspray vor allem zur Eigensicherung eingesetzt.

12.25 Uhr: In einem weiteren Fernsehbericht bricht der Grünen-Landtagsabgeordnete Werner Wölfle vor der Kamera in Tränen aus. Wie Gangolf Stocker sitzt auch Wölfle mittlerweile am Schlichtungstisch mit Heiner Geißler. Außerdem sind im Video die Läufer für Stuttgart 21 zu sehen. In einer Sequenz wird das Objektiv einer Fernsehkamera von einem Wasserwerfer getroffen. Von 300 verletzten Demonstranten ist die Rede, ein Arzt wird interviewt. Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) appelliert bei einer Demonstration der Stuttgart-21-Befürworter am Tag des Polizeieinsatzes im Schlossgarten, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen.

12.29 Uhr: Der Ausschussvorsitzende Scheuermann beendet die Sitzung. Die Ausschussmitglieder werden zwar weiter beraten – allerdings hinter verschlossenen Türen. Am kommenden Montag wird die parlamentarische Aufklärungsarbeit mit der Einvernahme der Polizeispitze des Landes, darunter auch Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf, der zugleich Leiter des Einsatzes vom 30. September war, fortgesetzt werden.

12.35 Uhr: Noch bevor die Ausschusssitzung ohne die Öffentlichkeit fortgesetzt wird, geben einzelne Mitglieder Interviews. Für Ulrich Müller, den CDU-Obmann im Ausschuss, hat das gezeigte Material bewiesen, dass es zu gewaltsamen Blockaden gekommen ist und diese Ausgangspunkt der Eskalation im Schlossgarten waren. Er lobt das Polizeimaterial „des realistischen und vollständigen Bildes wegen", das vermittelt wurde.


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