STUTTGART. Es hat Tradition in Deutschland, dass sozialpolitische Agenden in den Händen von Frauen landen. Manfred Lucha (Grüne) ist eine der Ausnahmen von der Regel. Und er führt das Ressort, das in den vergangenen Corona-Monaten die größte zusätzliche Arbeitsbelastung stemmen musste, ohne andere Themen zu vernachlässigen.
Das Haus ist besonders vielfältig organisiert mit seinen Zuständigkeiten für Gesundheit und Pflege, für Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen, für die Familien- und Frauenpolitik, für Teilhabe und die Armutsbekämpfung, für die Kinder- und die Jugendpflege. Am bereits 2013 aufgelegten und 2016 weiterentwickelten „Masterplan Jugend“ zeigt sich die Verflechtung vieler Themen. Es geht um die Konsequenzen aus Flucht und Migration junger Menschen, aber auch um Demokratie- und Medienbildung, um Partizipation, aber auch die Kombination der schulischen und der außerschulischen Bildung, etwa in Ganztagsschulen.
Der Minister, der selber Krankenpfleger ist, der Sozialarbeit und Management im Gesundheitswesen studiert hat, findet deutliche Worte zur Bedeutung der Jugendarbeit: „Wir setzen in diesen gesellschaftlich schwierigen Zeiten, in denen die Sprache verroht, Ausgrenzung und Hass zunehmen und der Populismus wieder sein schauriges Haupt erhebt, ganz bewusst notwendige neue Impulse.“
Die Landesregierung hat die finanziellen Mittel für das Jahreskrankenhausbauprogramm 2020 auf 248 Millionen Euro erhöht. 2019 waren es 222,7 Millionen Euro und 2018 waren es 235,1 Millionen. Im laufenden Jahr geht die Förderung an 21 Vorhaben, der weit überwiegende Teil aber an einen einzigen Standort: Mit knapp 210 Millionen Euro bezuschusst Grün-Schwarz den Neubau der Flugfeldklinik bei Sindelfingen. Grundsätzlich ist der Minister davon überzeugt, dass große Einheiten kleinen Krankenhäusern vorzuziehen sind.
Und er darf sich durch eine Studie der Bertelsmann Stiftung bestätigt sehen. 2019 analysierten deren Fachleute, dass mehr als jedes zweite Krankenhaus geschlossen werden müsste und Standorte „sowohl die notwendige Spezialisierung als auch die gebotene Breite des medizinischen Spektrums mit ausreichendem Personal abbilden sollten“. Da seien nun mal vor allem die größeren Krankenhäuser, so Lucha, der die Krankenhauslandschaft „in einem gewaltigen Umbruch“ sieht. Das war vor Corona.
Baden-Württemberg sei vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, findet die Landesregierung: dank des Landesgesundheitsamts und der Gesundheitsämter vor Ort, dank der Vorbereitung und der Arbeit in Praxen und Kliniken, dank der Teststrategie. Bereits erkennbar war für Lucha schon im Frühjahr, dass Europa ein gemeinsames Vorgehen braucht und eine eigenständige europäische Arzneimittel- und Medizinprodukterichtlinie.
„Wir dürfen uns nicht mehr abhängig machen von volatilen Regierungen oder von unanständigen Interessen Dritter, die aus solchen Notlagen Profit schlagen wollen, egal um was es geht“, so Lucha, der als Beispiele die Produktion von Antibiotika oder Schutzmaterialien wie Anzüge und Masken nannte.
Lucha hatte zum Amtsantritt Schwierigkeiten, der Frauenpolitik ausreichend Gewicht zu verleihen. Der Begriff „Frauen“ war zum ersten Mal seit den 1980ern sogar aus dem Ministeriumsnamen verschwunden. Im Landesfrauenrat, dem Dachverband aller einschlägigen Verbände im Land, stand sogar die Idee im Raum, sich aufzulösen, um gegen die fehlende finanzielle Unterstützung zu protestieren.
Außerdem hat der Minister seit Monaten mit persönlichen Vorwürfen zu kämpfen. Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsannahme waren gegen Lucha aufgenommen worden. Hintergrund sind zwei Abendessen mit dem Kabarettisten Christoph Sonntag, die der Kabarettist bezahlt hat. Das Land hatte Projekt Sonntags mit 180 000 Euro gefördert und die Landeszentrale für politische Bildung mit der Begleitung beauftragt. Letztere bestätigte eine ordnungsgemäße Abwicklung.
Für die oppositionelle FDP ist der Grüne dennoch ein „Minister auf Abruf“. Lediglich aufgrund der Pandemie, so Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke im Mai, in der das Land einen handlungsfähigen Sozialminister benötige, sehe die FDP von einer Rücktrittsforderung ab.
Im nächsten Teil unserer Bilanz geht es um das Justizministerium.
Was im Koalitionsvertrag steht:
Baden-Württemberg wird seiner Verantwortung für die Investitionen in die Krankenhäuser des Landes gerecht werden. Der Krankenhausstrukturfonds bietet den Ländern die Möglichkeit, insgesamt 500 Millionen Euro abzurufen. Wir werden eine Krankenhausplanung vorantreiben, die sich am tatsächlichen Versorgungsbedarf der Bevölkerung orientiert sowie ambulante und stationäre Angebote intelligent miteinander verzahnt.