Im Rahmen der klösterlichen Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts stellten Frauenklöster ihre Andachtsliteratur oft selbst her. Eine bekannte Malerin war Sibylla von Bondorf (um 1450 – 1524). Über 170 Miniaturen werden ihr zugeordnet, zahlreiche Motive hat sie erfunden. Sie lebte zunächst im Freiburger und ab etwa 1480 im Straßburger Klarissenkloster. Dort schuf sie um 1490 mit der Äbtissin Magdalena Steimerin ein Buch mit der Lebensgeschichte, Briefen und Legenden der Ordensgründerin Klara von Assisi. Es ist nur 11 x 15 cm groß, rund 230 Blätter dick und niederalemannisch geschrieben. Die 34 Miniaturen der Sibylla von Bondorf stellen eine spirituelle Nähe zu den dargestellten Personen her und bieten zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten.
Alle Fotos: Badische Landesbibliothek
„Klara wird von Maria gekrönt und ihre Seele wird von Christus in Empfang genommen“ (105v). Die Miniatur bezieht sich auf die Textstelle, die vom Tod Klaras berichtet: Während die Mitschwestern weinend um das Sterbebett standen, erschien Maria mit einer Schar himmlischer Jungfrauen. Maria wendet sich der toten Klara zu und das Sterbebett wird mit einem kostbaren Mantel verhüllt. Gleichzeitig nimmt Christus als der himmlische Bräutigam die Seele Klaras – ein kleines Kind mit gefalteten Händen – in Empfang.
„Das himmlische Hochzeitsmahl“ (134v). Neben Klara sitzen Maria und Christus, neben diesem ist Franz von Assisi zu sehen. Der entsprechende Textabschnitt kombiniert zwei Klara-Legenden: Klara segnete bei einem Mahl die Brote, auf denen danach überall Kreuze erschienen. Dies wird mit dem Bericht von einer Mahlzeit verknüpft, bei der Klara und Franz die Speisen nicht anrührten, weil sie vollkommen im Gespräch über Gott versunken waren. Die Miniatur fügt diesen Geschichten noch eine dritte und vierte Bedeutungsebene hinzu: Christus tritt hier auch auf als himmlischer Bräutigam Klaras, außerdem erinnert das Bild stark an Darstellungen des Letzten Abendmahls.
„Himmlische Krönung Klaras durch Christus“ (150r). Die Miniatur hat keinen inhaltlichen Bezug zur Heiligenlegende. Sie steht jedoch am Beginn des Textteiles, der von Klaras Heiligsprechung berichtet (sie erfolgte 1255, zwei Jahre nach ihrem Tod). Zum wiederholten Mal schmückt hier eine Miniatur die Vorstellung aus, dass Christus der himmlische Bräutigam der gottgefällig lebenden Frauen ist.
„Klara verteilt Nahrung an die Armen und Bedürftigen“ (17r). Schon als sie noch Tochter reicher Eltern ist, handelte Klara wohltätig und verteilte übriggebliebene Nahrungsmittel aus dem Haus ihres Vaters. Es ist eine von zwei Miniaturen, die nicht ganzseitig sind. Darüber ist niederalemannischer Text zu lesen, der von Klaras Geburt berichtet. (Sinngemäß: „Sobald aber Klara geboren war, da war sogleich ein Glitzern und ein Leuchten um sie …“.)
„Bonaventura schreibt das Leben der Heiligen Klara“ (1v). Die Miniatur würdigt den Autor des Buches, der als Schreiber mit Feder und Messer abgebildet wird. Die hier vorliegende niederalemannische Fassung des Klarenlebens beruht jedoch mit großer Sicherheit auf der Klaralegende des Thomas von Celano, die dieser anlässlich von Klaras Heiligsprechung 1255 verfasste – von Bonaventura gibt es keine Klara-Biografie. In der Initiale rechts sind Klara und Franz von Assisi zu sehen, darüber begann Magdalena Steimerin in roter Schrift ihren Text: „Hie vohet an der p[ro]logus der legend der uszerwelten jungfröwen S[anc]te Claren, noch dem als uns beschribt der wirdig lerer Bonave[n]tura …“