Momente im Gespräch mit den Kuratoren der Ausstellung „Christoph – Ein Renaissancefürst im Zeitalter der Reformation“ des Landesmuseums Württemberg: Dr. Matthias Ohm und Delia Scheffer. Das Gespräch wurde im Dezember 2014 aufgezeichnet.
Momente: Warum eine Reformationsausstellung über den braven Herzog Christoph (1515 – 1568) und nicht über seinen Vater Ulrich, dessen Potenzial an „blood, sex & crime“-Geschichten ja wesentlich höher ist?
Ohm: Ulrich war 2014 mit dem Armen Konrad und dem Tübinger Vertrag sehr präsent; Christoph ist 1515 geboren und feiert 2015 seinen 500. Geburtstag. Er ist sehr wichtig für Württemberg, weil er Institutionen und Regelungen schafft, die das Land zweieinhalb Jahrhunderte lang prägen. Allerdings gibt es bei ihm keine Mordgeschichten. Er ist ein Reformationsfürst der zweiten Generation, der das Begonnene institutionalisiert und festigt.
Scheffer: Ich finde an Christoph spannend, dass er immer als Lichtgestalt dargestellt wird. Das zieht sich bis ins späte 19. Jahrhundert und fängt mit seiner Vita an, die ein Jahr nach seinem Tod von seinem Beichtvater veröffentlicht wird.
Wie bitte? Sein Beichtvater veröffentlicht Christophs Biografie?
Scheffer: (lacht) – ja, offensichtlich endete die Schweigepflicht mit dem Tod! Wahrscheinlich hat der Autor aber alles rausgelassen, was das Image gestört hätte, das er vermitteln wollte! Diese Vita war so bedeutend, dass sie im 17. Jahrhundert zwei Mal neu aufgelegt wurde, 1629 und 1660. Und das, obwohl es nach ihm ja andere Herrscher gab, deren Viten man hätte auflegen können. Aus dem 18. Jahrhundert gibt es eine Biografie und dann natürlich viel aus dem 19. Jahrhundert. Das Thema „Christoph“ ist tatsächlich immer präsent und er wird in jedem Fall als idealer Herrscher dargestellt.
Was ist denn überhaupt mit der Reformation? Wie mobilisiert man mit diesem Thema die Leute?
Ohm: Wir halten die Reformation für so wichtig und für – zumindest Altwürttemberg – so prägend, dass wir dazu etwas machen wollten. 2017 ist jedoch für den Südwesten kein Jubiläumsdatum, da sollen die Leute ruhig alle nach Sachsen-Anhalt zu den Stätten der Reformation fahren. Für eine Ausstellung ist das Thema eine Herausforderung: Die Bedeutung der Epoche spiegelt sich nicht in einem Objekt. Wir haben drei Cranach-Gemälde mit spezifisch protestantischen Motiven, auch Konfessionsbilder, auf denen die neuen liturgischen Formen thematisiert werden, aber es gibt nicht das eine Bild, das all das erläutert. Wie Hermann Ehmer vor einigen Jahren sagte: „Die Reformation fand auf dem Papier statt!“
Wie kann man diese konfessionellen Auseinandersetzungen ausstellen?
Ohm: Die Auseinandersetzung zwischen den Konfessionen findet in verschiedenen Medien statt, zwei davon sind damals relativ neu: Medaillen und Holzschnitte. Es gibt Spottmedaillen auf den Papst und natürlich jede Menge gedruckte Flugblätter.
Kommt auch die innerevangelische Auseinandersetzung zwischen Lutherischen und Reformierten in der Ausstellung vor?
Ohm: Ja, ganz kurz. Wir müssen das Thema anspielen, weil es Christoph sehr bewegt hat. Als die Pfalz – als südwestdeutsches Kurfürstentum eine wichtige Bezugsgröße – von der lutherischen zur reformierten Richtung übergeht, ist er persönlich getroffen. Er schreibt dann Briefe dorthin mit dem Tenor „wir müssen doch einig sein, es bringt doch nichts“, man merkt, dass ihm das ein inneres Anliegen war.
Ein großes Problem ist ja, dass der 30-jährige Krieg hierzulande ziemlich für tabula rasa gesorgt hat, was Kunstschätze betrifft. Haben Sie besondere Sachen gefunden, die Sie trotzdem zeigen können?
Ohm: Eine schöne Leihgabe, die wir bekommen werden, ist eine Rüstung von Herzog Christoph. Erzherzog Ferdinand II. von Tirol trug damals auf Schloss Ambras bei Innsbruck die Rüstungen von allen möglichen berühmten Potentaten und Feldherrn seiner Zeit zusammen. Er bat Christophs Sohn und Nachfolger Ludwig, je eine Rüstung von Christoph und dessen Vater Ulrich für seine Sammlung zu stiften.
War diese Rüstung ein echter Gebrauchsgegenstand?
Ohm: Es ist eine Repräsentativrüstung, die schon so aussieht, dass er da reingepasst hat. Da es ein diplomatisches Geschenk an die Habsburger war, wird Ludwig jedoch nicht das allerzerkratzteste Stück genommen haben, man wollte sich ja nicht blamieren …
Sie beschäftigen sich intensiv mit der Person Christoph – da entsteht eine gewisse Nähe. Gibt es Dinge, die Sie an ihm besonders mögen?
Ohm: Uns gefällt, dass er ein Friedensfürst ist. Er führt keinen Krieg, keine Schlacht. Am Anfang seiner Regierungszeit hing Württemberg noch an den Habsburgern und diese Abhängigkeit – dass Württemberg beim Aussterben einer Linie des Hauses an Habsburg gefallen wäre – hat er dann losgekauft und sehr geschickt seine Handlungsmöglichkeiten erweitert. Er hat es dann geschafft, sich bei allen Auseinandersetzungen in diesen sehr angespannten Jahren so herauszuhalten, dass nichts passiert. Sagen zu können, er war ein Friedensfürst, das finde ich schon groß.
Hatten Sie im Laufe der Ausstellungsvorbereitung ein „Aha-Erlebnis“?
Ohm: Ich persönlich finde die Auseinandersetzung im jungen Königreich Württemberg Anfang des 19. Jahrhunderts faszinierend. Die Könige Friedrich und Wilhelm I. streiten sich mit den Ständen über eine Verfassung. Die Vertreter der Stände verweisen dann auf Christoph als idealen Herrscher, weil er immer versucht hat, Konflikte mit den Ständen im Konsens zu lösen. Deren Anhänger nehmen also sein Porträt als Knopf, als Anstecknadel oder als Fingerring und zeigen damit dem König, wie sie es gerne hätten. Und dann kommt eine Anordnung vom Innenministerium: Jeder, der solche Sachen verkauft hat, muss auflisten, wie viel und an wen. Und es wird gefragt: „Ist das nur Schmuck, oder steht da eine bislang unbekannte politische Vereinigung im Hintergrund?“ Das ist der reine Überwachungsstaat! Man denkt immer, das System Metternich und die Restauration waren hier im liberalen Südwesten nicht so ausgeprägt, aber man muss sich das vorstellen: Der württembergische König kontrolliert die Leute, die ein Bild seines Vorgängers am Finger tragen!
Wird dieses Nachleben von Herzog Christoph in der Ausstellung auch eine Rolle spielen?
Ohm: Das Nachleben ist einer von unseren drei Themenblöcken, die beiden anderen sind Reformation und Repräsentation. Bei der Reformation zeigen wir am Anfang diese religiöse Komponente mit Cranach-Gemälden und den Bildern, auf denen die evangelischen Glaubensinhalte transportiert werden, auch die Kirchen- und Klosterordnungen. Dann geht es um die Repräsentation an einem Renaissancehof, und hier auch um Christophs Heiratspolitik, mit der er ein konfessionelles Netzwerk zu den evangelischen Fürsten im ganzen Reich knüpft. Zur Repräsentation gehören natürlich auch seine beachtliche Bautätigkeit, die Feste mit Turnieren und der Bergbau im Christophstal. Der letzte Teil der Ausstellung wird dann sein Nachleben und seine Denkmäler thematisieren, bis hin zur Weinserie „Herzog Christoph“ der Winzergenossenschaft Cleebronn-Güglingen.
Konnten Sie besondere Objekte auffinden?
Scheffer: Objekttechnisch fanden wir spannend, dass sich Parallelen zwischen dem DFG-geförderten Kunstkammerprojekt am Landesmuseum und unserer Ausstellung auftaten. So stellte sich heraus, dass man einen Elfenbeinbecher der Kunstkammer tatsächlich in ein Nachlassinventar Christophs aus dem Jahr 1569 zurückverfolgen kann. Was ganz unmittelbar mit ihm in Verbindung stand, ist leider sehr, sehr wenig, weil im Dreißigjährigen Krieg so viel verloren ging.
Ohm: Was kaum aufgearbeitet ist, ist eine Serie von kleinen Porträts seiner Familienmitglieder. Die sind künstlerisch nicht besonderes herausragend, aber in die 1560er-Jahre datiert und dienten wohl als Andenken. Da sind seine Kinder dargestellt, seine Schwiegersöhne und noch einige Vorfahren. Sehr anrührend ist das Bild eines früh verstorbenen Sohnes, der im Alter von 14 Wochen starb und eben auch ein kleines Porträt erhielt.
Christoph hatte eine große Familie. Wie viele dieser Porträts gibt es?
Scheffer: Ich schätze, dass eine Serie von 20 Porträts erhalten ist, aber nicht vollständig, einige Personen fehlen. Aber weil es kein Porträt von der ganzen Familie gibt und von manchen seiner Kinder sonst gar kein eigenständiges Porträt überliefert ist, sind sie trotzdem wichtig.
Ohm: Christoph hatte 12 Kinder von denen 10 erwachsen geworden sind – davon acht Töchter. Er beschwert sich immer, dass das so teuer ist, weil er die ganzen Hochzeiten ausrichten muss.
Herzog Christoph wird in der württembergischen Geschichtsschreibung besonders verehrt, färbt das auf unsere heutige Wahrnehmung ab?
Scheffer: Da wurde sicher viel idealisiert. Christoph wird immer als sehr zugänglicher und sozialer Mensch beschrieben und das wirkt sympathisch – aber ob das wirklich so war, weiß man natürlich nicht.
Ohm: In den Leichenpredigten wird er immer als Asket gefeiert – und dann liest man in den Inventaren, dass es da eine silberne Schnecke gibt, die er beim Spiel einem anderen Adeligen abgenommen hat. Und natürlich hat er zum Wildschwein kein Mineralwasser getrunken! Man merkt schon, dass ihm die Reformation ein inneres Anliegen war, das hat nicht nur machtpolitische Gründe. Aber als Renaissancefürst hat er gefeiert wie seine katholischen Kollegen auch.
Haben sie zusammen gefeiert? Oder nach Konfessionen getrennt?
Scheffer: So früh in der Reformationszeit gibt es keine konfessionellen Unterschiede. Christoph war ja an einem katholischen Hof aufgewachsen und hatte zeitlebens ein gutes Verhältnis zu den bayerischen Verwandten seiner Mutter. Der katholische Kaiser Maximilian II. war der Patenonkel seines Sohnes Maximilian. Familiäre Verbindungen fanden deutlich auf einer anderen Ebene statt, als konfessionelle und politische Fragen.
Dass er auf Ausgleich bedacht war hat ihm gehörigen Nachruhm eingetragen, wir hatten schon davon gesprochen, wie prominent er im 19. Jahrhundert war.
Scheffer: Die Verehrung damals war schon sehr groß und äußert sich auch in einer Serie qualitativ nicht gerade hochwertiger Gedichte und Veröffentlichungen, die die dauernde Beschäftigung mit dem Thema „Christoph“ zeigen. Bei der Christoph-Verehrung ging es konkret darum ihn als jemanden zu würdigen, der etwas verändert hat, etwas Positives gebracht hat. Schon im 18. Jahrhundert hatte Herzog Carl Eugen überlegt, sich in Hohenheim eine Art Walhalla mit den wichtigsten deutschen Männern in den Garten zu stellen. Unter den württembergischen Männern war Herzog Christoph da an vorderster Stelle, und kein anderer seiner Vorfahren. Das war noch bevor die Walhalla in Bayern geplant wurde – wo Christoph übrigens auch steht.
Hatten Sie bei der Recherche ein besonderes Erlebnis?
Ohm: Wir waren im Rathaus in Urach und haben ein paar Glasfenster angeschaut, auf denen Christoph und seine Frau dargestellt sind. Und im Ratssaal fiel uns ein Stück auf, das wir zwar aus unserem Depot kannten, ohne es jedoch mit Christoph oder seinem Geburtsort Urach zu verbinden: das Zifferblatt der Rathausuhr innen im Ratssaal. Als die Uhr 1912 renoviert wurde, hat man das Zifferblatt erneuert und das alte kam ins Landesmuseum. Und man weiß, dass die Uhr während Christophs Regierungszeit erneuert wurde. Jetzt wird das alte Zifferblatt für die Ausstellung restauriert.
Scheffer: Wir haben in Schloss Lichtenstein die Skulpturen aus dem alten Lusthaus gesehen! Christophs Nachfolger Herzog Ludwig hat ja für das Lusthaus im Stuttgarter Schlossgarten eine ganze Serie von Porträtskulpturen erstellen lassen – neben dem Grabmal ist darunter die einzige zeitgenössische Skulptur von Herzog Christoph. Als das Lusthaus im 19. Jahrhundert abgerissen wurde, haben sich die damaligen Herzöge von Urach die Figuren wohl im Austausch gegen eine Wagenladung Schotter gesichert und sie in Schloss Lichtenstein eingebaut. Wenn man jetzt durch das Schloss und die Anlagen geht, sieht man überall diese Lusthausskulpturen stehen. Ausgerechnet unsere Helden, Herzog Christoph und seine Frau Anna Maria, Herzog Ulrich und seine Frau Sabina sind jedoch im privat genutzten Sitzungssaal fest eingebaut. Der Herzog war trotzdem so nett, uns durchzuführen.
Was sagt uns Herzog Christoph heute? Ist an ihm etwas modern?
Scheffer: Ja klar, Ordnung ist immer modern! Mit seinen vielen Ordnungen ist er schon sehr auffällig, Was es da an verschiedenen Regelungswerken gibt, die von seinen Nachfolgern immer wieder aufgelegt wurden – das geht vom Erbrecht bis hin zur Frage „darf man sich an Fasching verkleiden oder nicht“. Daneben die Fleischerordnung, das Landrecht, Regeln fürs Holzmachen, Vorschriften darüber wie die Steuer einzunehmen ist und wie Verdienste und Ausgaben abgerechnet werden sollen, und so weiter – das kommt einem alles sehr modern vor.