Der „gemeine Mann“ von heute kennt mittelalterliche Ess- und Trinkgewohnheiten nur von Ritteressen, die landauf landab zelebriert werden und eher als Event, denn als historisch zu sehen sind. Will man dem „gemeinen Mann“ im Mittelalter auf den Tisch und in den Becher gucken, ist das nur mit einigen Einschränkungen möglich: Das Mittelalter dauerte mindestens 700 Jahre, wurde geprägt durch geografische, demografische und gesellschaftliche Unterschiede. Zur Zeit der Hildegard von Bingen herrschten ganz andere Sitten als zu der des Jan Hus, an der Ostsee andere als am Bodensee, andere nach Pest- und Hungerperioden, wieder andere im Umfeld der Minnesänger oder nach technischen Verbesserungen. Schließlich beeinflusste auch die Zugehörigkeit der Menschen zu einer sozialen Schicht ihren Speisezettel.
Zu trinken gab es in Notzeiten sowie bei armen Leuten Brotwasser: Eine Roggenbrotscheibe wird in Wasser zum Gären gebracht, ähnlich wie beim russischen Kwass. Met als Honigwein war überall bekannt, aber eine teure Delikatesse, da gewürzt mit Zimt, Muskat, Nelken, Ingwer und etwas Safran.
Anders ist es mit dem Wein: Um 1400 umfasste die Rebfläche im Reich 300.000 Hektar bei einer Bevölkerung von rund 12 Millionen. Es war allerdings ein schlechter Wein, aus harten und sauren Trauben gepresst. So ist verständlich, dass ein wallfahrender
Schwabe, als er weiland in Italien einen „Lacrimae Christi“ (wörtlich: Tränen Christi) vorgesetzt bekam, ausrief: „Du lieber Gott, warum hast du nicht auch im Schwabenländle geweint?“
Überall begegnen uns noch heute Flurnamen, die auf Weinanbau hinweisen: Weingarten, Weinhalde, Sommerhalde, Großer Trauben, Himmelreich, Paradies. Aus der Not wurde der Wein gesüßt und mit Ingwer, Zimt, Nelken, Safran etc. gewürzt. Diesen typischen mittelalterlichen Würzwein kennen wir heute als Glühwein. Ein Speiseplan des Überlinger Spitals gab Ende des 15. Jahrhunderts die tägliche Weinmenge mit drei Maß an, was 4,5 Litern pro Person entsprach! Allerdings verschwinden im Laufe des 16. Jahrhunderts in Oberschwaben die Angaben für einen Weinzehnten in den Steuerbüchern. Wein wurde nicht mehr angebaut. In jenem Jahrhundert vollzog sich die Wende zum Bier. Begründet wird dies meist mit der Verschlechterung des Klimas und dem Wachstum der Bevölkerung.
Rückschlüsse auf Essgewohnheiten ermöglichen auch Steuerbücher, in denen die bäuerlichen Abgaben verzeichnet sind, hauptsächlich waren dies Vesen (Dinkel) und Hafer. Gegessen wurde folglich vor allem Getreidemus, das auf verschiedenste Art hergestellt wurde und die Grundversorgung darstellte. Dank der Gartenzinse wissen wir vom Anbau von Bohnen, Linsen, Erbsen und Rüben. Auch in Heiligenlegenden – wie zum Beispiel der der Guten Beth, einerMystikerin um 1400 in Waldsee – tauchen da und dort Speisen auf, karge natürlich, wie Gerstenmus, Bohnen und Linsen.
Das Menü einer Bauernhochzeit im selben Zeitraum aus der Bodenseegegend sah opulenter aus: „Ein Spielmann musizierte, Weißbrot, für je vier Gäste einen Kübel Hirsebrei, Rüben und Speck, Bratwürste und Bratmus“. Dabei ging es lustig zu: „Sy suffent und trunkend, dass ihnen die zung hunkend.“
Eine andere Quelle weiß zu berichten, eine alltägliche Speise sei das Hafermus gewesen: „Das erst und letzt alleweg ist Habermus als die Allgöwer, Schwaben und Turgawer, da mache sie Zwerch, Stopferbrey,
[...] mit Zwiebel oder Schüttenem, [...] etlich als dick, dass ein wohlbeschlagen Gaul darüber loff und nit hineinfiel. Etlich essen Milch dazu, oder Sauerkraut oder frisches Obst. Fürwar, wenn sie nit so grob wären, näm mich nit wunder das sie gleich zersprungen von der speiss [...]“.
Die üblichen Speisen in der städtischen Gesellschaft kennt man aus Quellenwie zum Beispiel den Spitalordnungen. Allerdings muss man davon ausgehen, dass die Grenzen zwischen Bauern und Ackerbürgern der Städte fließend waren.
Eine Besonderheit der mittelalterlichen Essgewohnheiten ist die Masse von Krebs-, Schnecken- und Pilzgerichten. Dass Fischgerichte weitgehend fehlen, liegt am Fischereirecht, das nur die herrschaftsbildenden Stände innehatten. Dagegen durfte alles, was auf dem Boden herumlag, mitgenommen werden. Die zahlreichen Krebsgerichte hielten sich im Speiseplan der Bevölkerung bis zur Krebspest im 19. Jahrhundert, die Schneckengerichte gibt es als Fastenessen am Aschermittwoch bis auf den heutigen Tag.
In den städtischen Schildwirtschaften gab es Wein, später hausgebrautes Bier, warme Speisen, Nachtquartier und Stallungen. Daneben luden viele Schankwirtschaften zum Trinken und zu kalten Gerichten ein. Die Mitglieder der Zünfte trafen sich in eigenen Zunftstuben. Die Oberschicht der Handels- und Reichstädte glich sich stark an die Gewohnheiten der Landadligen an, die im Übrigen auch nicht sehr üppig speisten. So bat ein Ritter aus dem Hegau seine Verwandten, ihn zu unterstützen, weil er täglich neben einer schlechten Suppe nur saure Rüben esse.
Die Eintönigkeit des Alltagsbreis wurde jedoch immer wieder durch aufwendige Gelage unterbrochen. Es sind Festessen überliefert, die keinen Wunsch offen ließen. Zum Beispiel feierte man 1243 die Güterschenkung einer Hildegard von Ittendorf an die Pfarre zu Bermatingen recht üppig: „ain essen von klainen vegelin mitt samptt den meglin von hennen, ain pfeffer mit ytter (Euter) und zungen, rieben und flayschs mitt ross (roten) und leber wierst ...“ Der Übergang zum adligen Mahl ist hier fließend. Bei besonderen Anlässen zelebrierteder Adel Schauessen. Diese fanden im Freien, meist auf dem Schlossaltan, statt und generierten ein Klischee, das sich bei Ritteressen hartnäckig hält: Knochen hinter sich werfen!
Ein Beitrag von Michael Barczyk in Moment 1|2016.