Wie sich Frauen in Freiburg Ende 1918 am politischen Aufbruch beteiligten
Als am 9. November 1918 in Berlin die Republik ausgerufen wurde, bestimmten auch in Freiburg demonstrierende Soldaten das Bild der Stadt. Der revolutionäre Umbruch verlief jedoch relativ ruhig und geordnet. Ein Soldatenrat formierte sich und am Abend bildeten die Freiburger Sozialdemokraten aus ihren Reihen einen Arbeiterrat. Unter den 16 Gewählten war auch Marie Haack. Ein Aktionsausschuss des Freiburger Stadtrates erkannte am folgenden Tag den Arbeiter- und Soldatenrat an und bildete mit ihm eine provisorische Regierung. Somit wurde Marie Haack die erste Frau in der Geschichte Freiburgs, die politische Verantwortung für die Kommune innehatte. Haack hatte kurz vor Kriegsbeginn den Vorsitz der örtlichen SPD-Frauensektion übernommen und während des Krieges politische Erfahrungen im Nationalen Frauendienst gesammelt.
Wie in den meisten badischen Städten gründete sich in Freiburg nach der Erklärung des gleichen Wahlrechts im November 1918 ein überparteilicher Vorbereitender Frauenausschuss. Er hatte das Ziel, die nun wahlberechtigten „Frauen und Mädchen aller Stände“ anzusprechen und aufzuklären. Unter dem Titel „Die politischen Rechte und Pflichten der deutschen Frau in der Gegenwart“ organisierte der Frauenausschuss am 30. November eine Versammlung im großen Freiburger Paulussaal.
Überfüllte Säle
Als Hauptrednerin sprach hier Febronie Rommel, eine gestandene Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung. Rommel lebte in der Ortenau, hatte viele Jahrzehnte als Oberlehrerin im Elsass gearbeitet
und in Straßburg eine führende Rolle in den Frauenbildungsvereinen übernommen. In ihrer Rede begrüßte sie die politische Mündigkeit der Frauen als „neuen Geschichtstag für Deutschland und tief eingreifendes Ereignis für die Frauenwelt“. Konkret rief sie die Frauen dazu auf, einer Partei beizutreten und dort aktiv mitzuarbeiten. Dies berichtete die bürgerlich-liberale Freiburger Zeitung und vermeldete weiter, dass es im Anschluss der Verleger und Bürgerrat Otto Bielefeld übernommen hatte, die Frauen im Detail mit dem „Wesen und der Technik der Wahl bekannt zu machen“.
Alle Freiburger Tageszeitungen hoben anerkennend das große politische Interesse der Frauen hervor. Ausführlich berichteten sie auch über die folgenden Parteiveranstaltungen für die Wählerinnen. Die Artikel schilderten überfüllte Säle und ein aktives weibliches Publikum, das nachfragte und in der Diskussion das Wort ergriff. Allein in der ersten Dezemberwoche wurden in Freiburg sechs Wahlversammlungen für Frauen abgehalten. Den größten Zulauf hatten die Veranstaltungen von Zentrum und SPD. Beide Parteien konnten dann auch im Januar 1919 je eine weibliche Abgeordnete für Freiburg in die Badische Nationalversammlung entsenden. Die Frauenversammlung des Zentrums im Katholischen Vereinshaus am 1. Dezember 1918 war mit 1.500 Menschen so überfüllt, dass ein zweiter Saal geöffnet werden musste und beide Hauptreden versetzt vorgetragen wurden. Die katholische Lokalzeitung berichtete ausführlich darüber. Neben dem prominenten ehemaligen Reichstagpräsidenten (und späteren Reichskanzler) Konstantin Fehrenbach sprach hier Mathilde Otto als Kandidatin für das badische Landesparlament in Karlsruhe. Mit Otto stellte das Zentrum, das bis zur Revolution als radikaler Gegner des Frauenwahlrechts hervorgetreten war, eine kompetente Politikerin auf. Sie war Referentin für Familienfürsorge im Deutschen Caritasverband und hatte während des Krieges in der öffentlichen Sozialfürsorge Verantwortung übernommen.
In ihrer Rede entwarf Mathilde Otto die neuen politischen Perspektiven für die Frauen. Konkret benannte sie die Teilnahme von Frauen an den Friedensverhandlungen und ihren Einsatz für den Völkerbund. Auch die Mitarbeit an der neuen Verfassung stellte sie als zentrale Aufgabe dar. Damit ging Ottos Horizont weit über das klassisch weibliche Feld der Sozialpolitik hinaus.
Zwei Tage später sprachen Marie Haack und Marie Martzloff als Vertreterinnen der Sozialdemokratie im großen Saal des Varietés Colosseum. Sie beriefen sich darauf, dass sich ihre Partei schon lange für die politischen Rechte der Frauen eingesetzt hatte. Weiter gingen sie auf die Interessen erwerbstätiger Frauen ein, den Gesundheits- und Säuglingsschutz und Fragen des Ehe- und Versorgungsrechts. Auch sie betonten, dass es nun vor allem darauf ankäme, dass sich Frauen in der Verfassungsgebenden Versammlung Gehör verschafften.
Kurz vor den badischen Wahlen für die Verfassungsgebende Landesversammlung am 5. Januar 1919 rief die Sozialdemokratin Margarethe Braun Freiburgs Frauenöffentlichkeit zu einer weiteren Veranstaltung auf. Sie lud zu einem Vortrag am 28. Dezember ein, um „abseits der Parteien“ ein „freies Wort an die deutsche Frau“ zu richten. In gut gefülltem Saal erläuterte sie ihr Projekt eines außerparteilichen Frauenbündnisses. Das Bündnis sollte in ein eigenständiges politisches Organ der Frauen münden. „Aus der Vergangenheit müßten die Frauen notwendig den Schluß ziehen, daß jetzt … sie in geschlossener Einheit ihre Rechte und Forderungen gegenüber den Parteien zu stellen und nötigenfalls durchzusetzen haben werden“, so zitierte die sozialdemokratische „Volkswacht“ Margarethe Braun.
Radikale Forderungen des Frauenkomitees
Brauns Initiative führte zur Gründung des Freiburger Frauenkomitees, das am 4. Januar 1919 erneut öffentlich zusammenkam, um ein Neun-Punkte-Programm zu verabschieden. Dieses umfasste zum Beispiel die Forderung nach Geschlechterparität in allen politischen Entscheidungen, die unmittelbar Frauenfragen berührten. Konkret nannte das Programm auch die „völlige Gleichstellung der Geschlechter in der Ausbildung und Zulassung zu allen Ämtern, Berufen und Hantierungen“, außerdem forderte es die rechtliche Gleichstellung lediger Mütter sowie eine Reform des Eherechtes. Künftig solle ein „gesetzlicher Schutz gegen Vergewaltigung und Mißbrauch jeder Art der Frau in der Ehe“ verbrieft sein – eine Forderung, die erst 1997 erfüllt wurde.
Es gehört zu den Errungenschaften des demokratischen Aufbruchs 1918, dass durch Zeitungsberichte auch radikale feministische Stimmen wie diese veröffentlicht wurden. Kurz nach den Wahlen 1919 berichtete die Freiburger Presse nicht mehr über das Frauenkomitee. Immerhin dokumentiert diese Momentaufnahme Traditionslinien der Frauenbewegung, die über weite Zeitstrecken verschüttet sind.
Nach den Wahlen 1919 sahen sich im Karlsruher Parlament 9 Frauen 98 männlichen Abgeordneten gegenüber. Die beiden Freiburgerinnen Mathilde Otto in der Zentrums- und Luise Kräuter in der SPD-Fraktion traten jedoch bereits im ersten Parlamentsjahr von ihrem Amt zurück. Mit Johanna Straub rückte 1921 eine Freiburger Sozialpolitikerin der DDP in den Landtag. Sie vertrat die Region bis 1929. Im ersten Freiburger Bürgerausschuss von 1919 lag der Anteil weiblicher Stadtverordneter bei 15 Prozent. Sechs Frauen, darunter Mathilde Otto, waren für das Zentrum im Stadtparlament, fünf für die SPD, zwei für die DDP und eine bei der nationalkonservativen DNVP.
Viele der ersten Stadtverordneten kannten sich bereits aus ihrer politischen Arbeit während des Ersten Weltkrieges. Sie hatten im Kriegsamt zusammen am Verhandlungstisch gesessen und sich gegenseitig als Rednerinnen für ihre Vereinsveranstaltungen eingeladen. Eine Stimme im Bürgerausschuss verschafften sie sich vor allem über fraktionsübergreifende Anträge, die sie als wirksamste Strategie erkannten, um Fraueninteressen zu vertreten. Wenn sie Fürsorgerinnen für die Sittenpolizei forderten, wenn sie den Wunsch nach einem städtischen Heim für ältere, alleinstehende Frauen äußerten, wenn sie protestierten gegen entwürdigende und schamlose Frauenbilder in den Freiburger Kinos, dann sprachen sie zumeist „namens aller weiblichen Mitglieder des Kollegiums“. Die meisten ihrer Anträge gingen allerdings in den Notjahren unter und fanden in der männlichen Mehrheit im Bürgerausschuss und Stadtrat selten Gehör.
Ein Beitrag von Birgit Heidtke in Momente 1|2019.