Die Geschichte des Flughafens Stuttgart als Großprojekt der Infrastruktur begann vor fast 80 Jahren
Große Infrastrukturprojekte sind Konfliktstoff: Wiegt ihre wirtschaftliche und politische Potenz die Beeinträchtigungen für viele Menschen auf? Ein historischer Überblick am Beispiel des Stuttgarter Flughafens
Großprojekte für die Infrastruktur geraten schnell in die Schlagzeilen. Gerade Flughafenbauten sind immer ein Politikum – kein Wunder angesichts ihrer ökonomischen, ökologischen und baulichen Dimension. Aktuellstes Beispiel ist der Neubau des Flughafens Berlin-Brandenburg, doch schon in den 1970er- und 1980er-Jahren standen die Flughäfen von Frankfurt, Stuttgart und München in den Schlagzeilen, wenn auch aus ganz anderen Gründen: Es ging um das Für und Wider von Erweiterungs- und Neubauplänen. Und schon der Bau des Stuttgarter Flughafens ab 1937 war nicht frei von Konflikten.
Einerseits sind Flughäfen Grundlageninvestitionen für die Wirtschaft einer Region oder eines Bundeslandes. Die Kehrseite ist: Den Menschen im Umland werden erhebliche Belastungen wie Fluglich auf die militärische Aufrüstung und die Vorbereitung eines Krieges. Die ersten Entwürfe für einen neuen Flughafen stammten von dem
Stuttgarter Architektenbüro Bregler & Barthle, das schon den Flughafen Böblingen gebaut hatte. Hermann Göring entsandte hingegen Prof. Ernst Sagebiel, seinen Spezialisten für Luftwaffen- und Flughafenarchitektur, nach Stuttgart. Sagebiel hatte bereits das Reichsluftfahrtministerium gebaut, den Flughafen Berlin-Tempelhof geplant und kurz darauf begann er mit den Planungen von München- Riem. Alle drei Flughäfen haben ein nahezu identisches Grundprogramm und verlaufen in der Form eines großen Bogens: in der Mitte das Abfertigungsgebäude, auf der einen Seite eine riesige Zuschauerterrasse, auf der anderen Seite die verschiedenen Hangars. lärm und Flächenverluste zugemutet. Im Zuge von Ökologie-Diskussion und Wachstumskritik der 70er- und 80er-Jahre wuchs die Sensibilität gegenüber den ökologischen Kosten dieser Großprojekte. Weit über die unmittelbar Betroffenen hinaus artikulierte sich Kritik an Landschaftsverbrauch und Fluglärm, dies galt auch für den Flughafen Stuttgart.
Wenden wir uns zunächst den Anfängen des Stuttgarter Flughafens zu. Nachdem es für den 1925 eröffneten Landesflughafen Böblingen keine Erweiterungsmöglichkeiten gab, suchte das württembergische Wirtschaftsministerium 1935/36 nach einem neuen Standort auf den Fildern. Bald wurde Reichsluftfahrtminister Hermann Göring, der aus den Deutschen ein „Volk von Fliegern“ machen wollte, auf diese Planungen aufmerksam. Seine Absicht zielte letztlich auf die militärische Aufrüstung und die Vorbereitung eines Krieges.
Die ersten Entwürfe für einen neuen Flughafen stammten von dem Stuttgarter Architektenbüro Bregler & Barthle, das schon den Flughafen Böblingen gebaut hatte. Hermann Göring entsandte hingegen Prof. Ernst Sagebiel, seinen Spezialisten für Luftwaffen- und Flughafenarchitektur, nach Stuttgart. Sagebiel hatte bereits das Reichsluftfahrtministerium gebaut, den Flughafen Berlin-Tempelhof geplant und kurz darauf begann er mit den Planungen von München- Riem. Alle drei Flughäfen haben ein nahezu identisches Grundprogramm und verlaufen in der Form eines großen Bogens: in der Mitte das Abfertigungsgebäude, auf der einen Seite eine riesige Zuschauerterrasse, auf der anderen Seite die verschiedenen Hangars.
1937 begannen die Bauarbeiten für das damals über 191 Hektar große Gelände, das sich auf die Gemarkungen von Echterdingen, Bernhausen und Plieningen verteilte und direkt neben der neuen Reichsautobahn Stuttgart-Ulm lag. Die Lokalzeitung „Filder-Bote“ feierte das „Gigantische Bauwerk auf den Fildern“. Viele Bauern waren hingegen verbittert, da sie wertvolle Ackerflächen mit hoher Bodenqualität verloren. Es gab zwar keinen öffentlichen Widerstand, doch Bernhausens Bürgermeister äußerte am 17. November 1936 gegenüber dem Wirtschaftsministerium, die landwirtschaftliche Bevölkerung „kann nicht verstehen, dass ausgerechnet dieser fruchtbarste Teil der für die Ernährung so bedeutsamen Filderebene in einen Flugplatz umgewandelt werden soll“. Im Widerspruch zur sonst so bauernfreundlich klingenden „Blut- und Boden“-Propaganda des NS-Regimes setzte das württembergische Wirtschaftsministerium den Flughafenbau rigoros durch. Nach Drohungen mit Zwangsenteignung gaben die betroffenen Bauern ihren Widerstand auf.
Im Februar 1939 wurde mit großem Aufwand das Richtfest gefeiert. Eine Einweihungsfeier hat es hingegen nie gegeben: Zwar war der Stuttgarter Flughafen als Zivilflughafen geplant worden, doch seine Fertigstellung im September 1939 fiel exakt in die Zeit des Kriegsbeginns. Und sofort übernahm die Luftwaffe das Kommando: Während des ganzen Krieges waren hier Kampfflieger, aber auch eine Lufthansa-Werft zur Reparatur beschädigter Flugzeuge stationiert. 1942 wurde statt der Graspiste eine Start- und Landebahn aus Beton gebaut, die aber vor Kriegsende von den abziehenden deutschen Truppen zerstört wurde. Bei einem amerikanischen Luftangriff am 14. August 1944 wurden die Flughafengebäude und die Startbahn schwer beschädigt. Um die Startbahn zu reparieren, wurden 600 jüdische Häftlinge aus dem KZ Stutthof bei Danzig eingesetzt. Zwischen November 1944 und Mitte Januar 1945 mussten diese unter miserablen Bedingungen auf dem Flughafen arbeiten, mindestens 119 von ihnen kamen durch Hunger, Kälte und Erschöpfung zu Tode.
Seit dem Kriegsende 1945 stand der Flughafen unter amerikanischer Militärverwaltung. 1948 begann wieder die zivile Luftfahrt in Stuttgart, 1955 übergaben die Amerikaner den Flughafen an die deutsche Zivilverwaltung, behielten aber weiterhin den südlichen Teil des Flughafens für militärische Zwecke.
Auch in Stuttgart vollzog sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ein beispielloser Aufstieg der Luftfahrt, zwei Startbahnverlängerungen wurden notwendig: 1951 auf 1.800 Meter und 1961 auf 2.500 Meter. Die ungeheuren Wachstumszahlen jener Jahre führten bei den Politikern zu Flughafenvisionen von riesigen Dimensionen. So sah der „Gerlach- Plan“ von 1966 den Bau zweier zusätzlicher Startbahnen vor, sodass sich die Fläche des Flughafens verdreifacht hätte.
Als diese Pläne bekannt wurden, gründete sich 1967 die Bürgerinitiative „Schutzgemeinschaft gegen Großflughafen“. Sie wandte sich sowohl gegen den befürchteten Fluglärm als auch gegen den ungeheuren Flächenverbrauch. Gleichzeitig riefen die betroffenen Fildergemeinden den „Kommunalen Arbeitskreis Flughafen“ ins Leben, um ein politisches und juristisches Gegengewicht zu den Erweiterungsplänen aufzubauen.
Ende der 60er-Jahre prüfte die Landesregierung auch Standorte für einen zweiten Flughafen, etwa im Schönbuch oder in Mönsheim bei Leonberg. Sie stieß dabei aber auf starke Proteste, sodass sie 1972 den Verzicht auf einen Flughafen Stuttgart II erklärte. Auch der Ausbau des Flughafens auf den Fildern wurde wesentlich kleiner geplant und man verzichtete auf zusätzliche Startbahnen. Die bestehende Startbahn sollte aber um 1.380 Meter verlängert werden, um die Kapazität des Flughafens zu vergrößern und die Möglichkeit für Starts von größeren Flugzeugen zu schaffen. Bereits seit 1969 wurde der Nachtflugverkehr eingeschränkt, es gab einen Lärmschutzbeauftragten und eine Reihe von Lärm-Messstellen.
Für die Startbahnverlängerung sollte ein Waldstück in der Einflugschneise westlich des Flughafens abgeholzt werden, die Weidacher Höhe. Damit war ein Naherholungsgebiet mitten in einem Ballungsraum gefährdet, was großen Widerstand hervorrief. Schließlich erklärte sich die Landesregierung im Jahr 1986 zu einem Kompromiss bereit. Auf die Abholzung der Weidacher Höhe könne verzichtet werden, wenn die Startbahn um 1.380 Meter nach Osten verschoben würde. Allerdings wurde damit vor allem den Landwirten der Verlust zahlreicher hofnaher Flächen zugemutet, außerdem verlagerte sich der Fluglärm nach Osten. Es folgte das bis dahin größte Planfeststellungsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik: In der Rundsporthalle Bernhausen wurden Einsprüche von 82.000 Bürgern verhandelt. Im Ergebnis wurde aber die Linie der Landesregierung bestätigt, die Verlängerung der Startbahn nach Osten um 1.380 Meter und die Verlegung der Autobahn wurden beschlossen. Daran änderte auch eine Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim nichts mehr. Allerdings musste der Flughafen Schallschutzmaßnahmen für 5.000 Wohnhäuser und ökologische Ausgleichsmaßnahmen finanzieren.
Der Flughafenstreit führte bei der Bevölkerung zu tiefen Gegensätzen. Die einen – vor allem Landwirte und vom Fluglärm betroffene Bürger – wandten sich vehement gegen eine Flughafenerweiterung, andere verteidigten die Ausbaupläne des Flughafens, weil sie dort arbeiteten. Letztlich blieb es aber bei einer politischen und juristischen Auseinandersetzung, die schließlich mit einem Kompromiss endete. Zu einer Eskalation wie an der Startbahn West in Frankfurt kam es in Stuttgart nicht.
In den folgenden Jahren wurde der Flughafen land- und luftseitig weiter ausgebaut ausgebaut. Bereits 1991 konnte das Terminal 1 nach den Plänen des renommierten Hamburger Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner eingeweiht werden. 1995 war die Autobahnverlegung und 1996 schließlich die verlängerte Startbahn fertig. 2004 folgte das Terminal 3 anstelle der alten denkmalgeschützten Abfertigungshalle aus den 30er-Jahren, die im Jahr 2000 abgebrochen worden war. Bereits 2002 eröffnete – nachdem ein Großteil des amerikanischen Teils des Flughafens geräumt worden war – auf der Südseite (bei Bernhausen) ein Frachtzentrum. Im Oktober 2007 wurde schließlich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flughafen die neue Landesmesse eingeweiht.
In den folgenden Jahren erreichten die Fluggastzahlen immer weitere Rekorde. Als sie auf jährlich 10 Millionen geklettert waren, wurden Forderungen nach einer zweiten parallelen Startbahn laut. Die Schutzgemeinschaft Filder sowie der Kommunale Arbeitskreis Filder reagierten mit entschiedener Ablehnung, da diese Startbahn zahlreiche Wohngebiete stark belasten würde. Tatsächlich erklärte Ministerpräsident Oettinger im Juni 2008, die Ausbaupläne für den Flughafen nicht weiter zu verfolgen.
Heute steht der Stuttgarter Flughafen mit knapp 10 Millionen Fluggästen bundesweit an sechster Stelle. Inzwischen ist der Flughafen auch einer der größten Arbeitgeber der Filder: Knapp 10.000 Beschäftigte sind in den verschiedensten Bereichen tätig. Auch für viele Industrie- und Dienstleistungsbetriebe der Filderorte ist der Flughafen ein wichtiger Standortfaktor. Auch wenn sich mittlerweile die Unruhe der Filderbewohner ein großes Stück weit gelegt hat, so ist die Ambivalenz des Flughafens bis heute allen bewusst: Auf der einen Seite ist er ein wichtiger Arbeitgeber und Standortfaktor für die Wirtschaft und ermöglicht kurze Wege in den Urlaub, auf der anderen Seite ist er für Lärm, Verkehr und Flächenverluste verantwortlich.
Ein Beitrag von Nikolaus Back und Bernd Klagholz in Momente 2|2015.