Leseprobe Momente 2|2018
Von der Versuchs- und Musteranstalt Hohenheim zur Universität

Wie sich Studieren in Hohenheim in 200 Jahren verändert hat

Dass aus der königlichen landwirtschaftlichen Musteranstalt mal eine Universität entsteht, war im 19. Jahrhundert alles andere als sicher. Immer wieder beeinflussten politische Herausforderungen die Ausrichtung der Hochschule.

Ansicht des Schlosses Hohenheim vom südlichen Garten aus. Altkolorierte Lithografie von Renz/Stuttgart, 1840 (Foto: Archiv Universität Hohenheim)

Angefangen hat die Geschichte der Universität vor dem Hintergrund düsterer Zeitumstände. Hervorgerufen durch einen Ausbruch des Vulkans Tambora auf Java im April 1815 kam es in Südwestdeutschland im Jahr 1816 zu einer verheerenden Missernte und in deren Folge zu einer Hungersnot. In dieser krisenhaften Situation entschloss sich der gerade erst auf den württembergischen Thron gekommene König Wilhelm I., überfällige Reformen in der Landwirtschaft seines Königreiches einzuleiten. Im Jahre 1817 gründete er eine Landwirtschaftliche Zentralstelle in Stuttgart, die bald lokale Zweigvereine im ganzen Land hatte, um neuestes landwirtschaftliches Wissen bis ins letzte Dorf zu transportieren. Dieses neue Wissen sowie entsprechend gebildete Landwirte sollte die im November 1818 gegründete Landwirtschaftliche Lehranstalt in Hohenheim hervorbringen.

Die Anfänge des Instituts waren durchaus bescheiden. Acht Zöglinge (erst ab 1847 sprach man von Studenten) gruppierten sich um drei Professoren. Erst allmählich stieg die Studierendenzahl auf zirka 60 an. Die ersten Studenten waren zumeist Söhne von Gutsbesitzern oder -pächtern, sie gehörten später selbst wiederum dem Besitzer- oder Pächterstand an, wenn sie nicht hohe Beamte wurden. Die Zöglinge hatten keine besonderen Bedingungen zu erfüllen, um aufgenommen zu werden. Aufnahme wurde gewährt „jedem gesitteten, nicht ganz ungebildeten jungen Mann, der mindestens 16 Jahre alt“ war. Lediglich Studenten der Forstwirtschaft mit Ambitionen auf den staatlichen Forstdienst (ab 1825 bis 1881 in Hohenheim) mussten ein Reifezeugnis (Matura) vorlegen.

Die Zöglinge unterlagen einem strengen Regiment: Sie mussten, wie übrigens auch die Professoren, im Schloss wohnen. Alle Mahlzeiten wurden anfangs zusammen mit den Professoren zu festen Zeiten eingenommen. Der Tag begann um 7 Uhr mit dem gemeinsamen Frühstück und endete um 21 Uhr mit der Schließung der Türen. Die Studiendauer war zunächst nur auf zwei Semester angelegt: Das Wintersemester dauerte vom 1. November bis Palmsonntag; nach drei Wochen Ferien begann das Sommersemester, das bis Ende September währte. Den Zöglingen stand es nach eigenem Belieben frei, welche Fächer sie hören wollten. Bis 1865 erhielten sie auch kein normiertes Zeugnis, sondern lediglich eine formlose, von der Institutsleitung ausgestellte Abgangsbestätigung.

Die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung waren für die ersten Hohenheimer Studenten ebenfalls überschaubar. Erst nach und nach entstanden studentische Vereinigungen und Verbindungen, die im Rahmen ihrer Convente für gemeinschaftliche Freizeitaktivitäten sorgten. Zu den offiziellen Festlichkeiten gehörten insbesondere die seit der Gründung Hohenheims jährlich im November stattfindenden Stiftungsfeiern. Im Laufe des 19. Jahrhunderts boten sich den Hohenheimer Studenten jedoch immer mehr Möglichkeiten, ihr Studium abseits des Lehrbetriebs durch ein standesgemäßes Sportprogramm abwechslungsreich zu gestalten: mit Tanzen, Reiten, Fechten, Schießen, Kegeln oder Schwimmen.

Bei einer Gelegenheit fielen auch die Schatten der großen Reichspolitik auf Hohenheim. Der im Milieu der Londoner Exilanten der 1848er-Revolution aufgewachsene Ferdinand Cohen-Blind war 1864-66 ausgezeichneter Hohenheimer Student gewesen. Er glaubte, den vom preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck angestrebten deutsch-österreichischen „Bruderkrieg“ um die Vorherrschaft in Deutschland mit letzter Konsequenz verhindern zu müssen. Am 7. Mai 1866 verübte er „Unter den Linden“ in Berlin ein Revolver-Attentat auf Bismarck. Bismarck überlebte mit geprellten Rippen, Cohen-Blind nahm sich im Polizeigewahrsam das Leben und der Krieg fand statt. Nach dem Attentat wurde Cohen- Blind in Süddeutschland als Freiheitsheld gefeiert, Bismarck hingegen überzog das Umfeld Cohen-Blinds, darunter auch seine Hohenheimer Kommilitonen, mit maßlosen Polizeiaktionen. Doch die politische Stimmungslage der deutschen Studenten wandelte sich: 34 Jahre später, im Jahre 1900, setzten Hohenheimer Studenten gegen den Willen des akademischen Senats die Errichtung eines Bismarckdenkmals in Hohenheim durch.

Kehren wir noch einmal zurück zur ursprünglichen Aufgabe der Hohenheimer Hochschule. Nach dem Willen des Königs sollten einerseits die Erfahrungen der Bauern gesammelt und systematisiert und andererseits unmittelbar wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse hervorgebracht werden. Die allgemeine Wissenschaftsentwicklung in Europa ging im 19. Jahrhundert aber ganz andere Wege: Justus von Liebig griff im Jahre 1861 die landwirtschaftlichen Akademien und speziell Hohenheim direkt an: Er diskreditierte die anwendungsorientierte Grundhaltung der Hohenheimer als unwissenschaftlich. Das Sammeln von Erfahrungswissen nütze überhaupt nichts, wenn die Fakten nicht zur Erstellung einer allgemeingültigen Theorie weitergeführt würden. Dies führte zur ersten schwerwiegenden Existenzkrise in Hohenheim, im württembergischen Landtag war in jenen Jahren gar gelegentlich von der Schließung des Hohenheimer Instituts die Rede.

Und wie reagierte man in Hohenheim? – Kämpferisch und reformbereit. Man gab sich 1865 eine neue Verfassung, wodurch die Hohenheimer Lehrer den Professoren der Landesuniversität gleichgestellt wurden, man normierte den Lehrplan und führte 1867 die Diplomprüfung für Landwirte ein. Auch die Hohenheimer Naturwissenschaften wurden auf eine neue Basis gestellt. Die Neuausrichtung zeigte Wirkung: Hohenheim überlebte die Krisen. Von den 22 zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegründeten landwirtschaftlichen Akademien war es am Ende des Jahrhunderts eine von vieren, die nicht wieder geschlossen oder in größere Universitäten eingegliedert worden waren.

Dr. Margarete von Wrangell, Professorin für Pflanzenernährung 1923 – 1932 (Foto: Uniarchiv Universität Hohenheim)
Dr. Margarete von Wrangell, Professorin für Pflanzenernährung 1923 – 1932 (Foto: Uniarchiv Universität Hohenheim)

Die erste Professorin

Seit 1918 konnten die Hohenheimer Studierenden neben dem Diplom auch den Doktorgrad erwerben. 1923 wurden die Aufnahmebedingungen im Rahmen einer neuen Prüfungsordnung nochmals erhöht, so benötigten angehende Diplomlandwirte zwingend das Abitur. Auch wurde das Hohenheimer Diplom nun endlich den universitären Diplomgraden gleichgestellt.

Ab 1910 durften auch Frauen in Hohenheim studieren. Ein Beispiel für die Kämpfe der ersten Frauen im akademischen Betrieb ist die Karriere von Margarete von Wrangell, die gleichzeitig auch für das Gewicht anwendungsorientierter Forschung in Hohenheim steht. Die deutsch-baltische Adlige hatte 1904 bis 1909 als eine der ersten Studentinnen in Tübingen studiert, im Fach Chemie promoviert, bei führenden 

Wissenschaftlern ihrer Zeit gearbeitet und war kriegsbedingt 1918 in Hohenheim gelandet. Ihre Forschungen zur Phosphorsäuredüngung machten sie schnell berühmt, sie wurde in Hohenheim habilitiert. Die Düngemittelindustrie bot schließlich an, ein – allerdings an ihre Person gebundenes – Pflanzenernährungsinstitut in Hohenheim zu finanzieren. Der widerstrebende Hohenheimer Senat willigte angesichts dieses Angebots ein und berief von Wrangell zur ersten ordentlichen Professorin in Deutschland. Ganz spannungsfrei ging dieser Prozess allerdings nicht vonstatten, es bedurfte des massiven Drucks durch die Reichsregierung und die Düngemittelindustrie, bis Margarete von Wrangell im Jahre 1923 in Hohenheim in ihr Amt eingesetzt wurde.

Die Studierendenzahl lag Anfang des 20. Jahrhunderts bei ca. 250, nach dem Ersten Weltkrieg kurzzeitig bei 1.000. Unter diesen Bedingungen war der Internatsbetrieb der Anfangszeit nicht aufrecht zu erhalten. Die Studierenden lebten und studierten so, wie an anderen Hochschulen und Universitäten auch. Allerdings beschränkte die räumliche und verkehrliche Isolation Hohenheims, verbunden mit einer relativ überschaubaren Studierenden- und Professorenschaft, das studentische Leben. Die Landwirte in Hohenheim blieben unter sich und das prägte das tägliche Leben intensiv. Deshalb wurde insbesondere das Sportangebot durch neue Sportanlagen bereichert.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich auch die bisher so erfolgreich ausgebaute Lehr- und Studienordnung Hohenheims grundlegend. Die Studienpläne wurden im Sinne der NS-Ideologie umgestellt. Die in Hohenheim seit 1920 bestehende studentische Selbstverwaltung und die studentischen Verbindungen wurden gleichgeschaltet und die Freizeitangebote wurden zu Zwangsveranstaltungen. Dennoch: Während der Herrschaft der Nationalsozialisten ist in Hohenheim eher eine Stagnation zu beobachten. Eigentlich war es die Absicht der neuen Machthaber gewesen, das gleichgeschaltete Hohenheim als Kaderschmiede für die landwirtschaftliche „Erzeugungsschlacht“ aufzubauen. Doch sowohl hinsichtlich der Raumforschung, also der landwirtschaftlichen Erschließung eroberter Gebiete, als auch in Bezug auf die Ausbildung einer neuen deutschen landwirtschaftlichen Führungselite blieb Hohenheim weit hinter den Erwartungen zurück.

1939 kam der Lehrbetrieb in Hohenheim beinahe zum Erliegen, da sowohl Dozenten als auch Studenten an die Front abkommandiert wurden. 1942 bestand die Hohenheimer Studentenschaft größtenteils aus Militärurlaubern und Kriegsversehrten. Dass sich die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim jedoch keinesfalls im Gegensatz zum NS-Regime befand, zeigt die Tatsache, dass nach Kriegsende die Hälfte der Hohenheimer Professoren als belastet galt und gehen musste.

Einige strukturelle Veränderungen prägten das studentische Leben nach dem Zweiten Weltkrieg nachhaltig. Zum einen wuchs die Hochschule enorm – sowohl was die Studierendenzahlen (aktuell knapp 10.000) als auch das Lehrpersonal anging. Sodann kamen in den 1960er-Jahren viele neue Fachbereiche hinzu. Die Naturwissenschaften bildeten ab 1964, die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ab 1975 eine eigene Fakultät. Außerdem wurde mit der verkehrlichen Anbindung an Stuttgart die relative räumliche Isolation Hohenheims schrittweise aufgehoben. Andererseits wohnten die Hohenheimer Studierenden ab den 1980er-Jahren mehrheitlich nicht mehr am Hochschulort, sondern pendelten aus dem weiteren Umland zum Studium ein. Wenn aber der Lebensmittelpunkt in Ludwigsburg, Esslingen, Kirchheim oder gar Heilbronn liegt, dann findet studentisches Leben eben dort statt und nicht mehr in Hohenheim.

Aus der Schilderung der historischen Entwicklung wird deutlich, auf welche Traditionen sich Hohenheim heute stützt, welche Probleme damit verbunden sind, und im Idealfall können daraus Perspektiven für die Zukunft aufblitzen. Von Anfang an war deutlich, dass in Hohenheim angewandte Wissenschaft in einem klar formulierten Profil getrieben wird. Die Agrarwissenschaften sollten die Landwirtschaft im Lande reformieren. Eine allzu starke Ausrichtung auf die Praxis gefährdete jedoch die wissenschaftliche Qualität so stark, dass die Existenz auf dem Spiel stand. Es galt also, den Spagat zwischen anwendungsorientiertem Profil und wissenschaftlicher Dignität zu wagen. In der Folge sorgten jeweils aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen dafür, dass das Profil der Hochschule verändert beziehungsweise erweitert wurde: So traten etwa zum Agrarschwerpunkt die Ernährungsforschung und die Umweltforschung hinzu, was sich wiederum auf das Fächerspektrum auswirkte.

Alle in Hohenheim vorhandenen Potenziale zu bündeln, darauf zielt das aktuelle strategische Ziel der Universität ab: der Ausbau der Bioökonomie als Kernkompetenz. Bioökonomie umfasst alle Wirtschaftssektoren, die biologische Ressourcen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen einsetzen. Die Land- und Forstwirtschaft, die Nahrungsmittelindustrie, aber auch Teile der Chemie-, Energie-, Pharmazie-, Kosmetik- und Textilindustrie gehören zur Bioökonomie. Mit dem Begriff Bioökonomie verbindet sich dabei eine Wirtschaftsweise, die wissensbasiert, innovativ und nachhaltig ist. Die in Hohenheim vertretenen Wissenschaftszweige decken umfassend die wesentlichen Teile der Bioökonomie ab, etwa die Lebensmittelverarbeitung, Ernährung und Gesundheit, die nachwachsenden Rohstoffe und Bioenergie, die Umwelt- und Governancesysteme oder die globale Ernährungssicherung und nachhaltige Entwicklung.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Ulrich Fellmeth in Momente 2|2018.

Aktivitäten zu 200 Jahre Hohenheim: Die Universität veranstaltet ein umfangreiches Jubiläumsprogramm, u.a. mit zahlreichen Führungen auf dem Gelände, Vorträgen und einer Festwoche vom 2. bis 7. Juli. Nähere und ständig aktualisierte Informationen unter https://www.uni-hohenheim.de/jubilaeumsprogramm