Das „Jahr ohne Sommer“ 1816 war eine Katastrophe. Kälte, Dauerregen. Missernten. Tote in ganz Europa. Erst die Ernte ein Jahr später beendete die schlimmste Hungersnot des 19. Jahrhunderts. Nie wieder sollte solcher Hunger herrschen, schwor sich das württembergische Königspaar und förderte fortan die Landwirtschaft. König Wilhelm I. führte neue Pflanzen- und Tierrassen ein und gründete 1818 in Hohenheim eine „landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt“. Aus ihr ging später die Universität Hohenheim hervor. Außerdem ließ der König auf den Hohenheimer Feldern systematisch landwirtschaftliche Geräte aus ganz Europa testen. Die besten wurden
weiterentwickelt und gingen in der 1819 gegründeten „Hohenheimer Ackergerätefabrik“ in Serie. Die Hohenheimer Ackergerätefabrik gilt als erste ihrer Art in Deutschland. Der älteste erhaltene Verkaufskatalog stammt aus dem Jahr 1832, als 20 Mitarbeiter etwa 350 Maschinen bauten.
Die getesteten Geräte wurden gesammelt und im Hohenheimer Schloss ausgestellt. Der erste wissenschaftliche Sammlungskatalog von 1845 beschreibt 800 Gerätschaften. Hohenheim war damals Pilgerort für Gutsbesitzer und Politiker aus ganz Europa. Denn überall wuchs die Bevölkerung. Immer mehr Menschen arbeiteten in der Fabrik. Immer weniger Bauern mussten immer mehr Esser satt machen.
Weil große Geräte schwer zu transportieren waren, kamen die Hohenheimer auf eine geniale Idee, um ihre Agrartechnik zu verbreiten: Sie bauten ihre Maschinen – von der „Hohenheimer Wurzelwerkschneidmaschine“ bis zur „Newyorker Dreschmaschine“ – verkleinert und funktionstüchtig nach und verkauften sie als „Hohenheimer Modelle“. Diese dienten Generationen von Bauern und Handwerkern als Vorlagen für ihre Maschinen und förderten jahrzehntelang den Technologietransfer. Und so ging der Plan des Königs auf: Die Landwirtschaft wurde effektiver. Der Wechsel vom Pferd zum Schlepper war dann der nächste Schritt auf dem Weg hin zu einer stabilen Ernährungslage.
Anfang des 20. Jahrhunderts schloss die Hohenheimer Fabrik, die gesammelten Ackergeräte und rund 1.000 Modelle wurden eingemottet und erst 1958 wieder entdeckt. 1977 bildeten sie den Grundstock des neu eröffneten Deutschen Landwirtschaftsmuseums (DLM), das diesen historischen Bestand noch heute zeigt und durch Landmaschinen aus dem 20. Jahrhundert ergänzt. Daneben besitzt es ein großes Archiv mit einer umfangreichen Prospektsammlung, Fotos und Filmen.
Optisch präsentiert sich das DLM heute auf über 5.700 m² als reiche Wunderkammer der Landwirtschaft und Agrartechnik. Das größte Ereignis im Museumsjahr ist der „Hohenheimer Feldtag“, der jedes Jahr einem anderen Thema gewidmet ist. Bei diesem Anlass vollzieht sich der landtechnische Fortschritt vor den Augen des Publikums im Zeitraffer. Familiengerechte Kommentare untermalen die Entwicklung der Landmaschinen vom Mittelalter bis heute.
2014 war die Gras- und Heuernte Thema des Hohenheimer Feldtags. Die Besucher erlebten dabei hautnah, wie mühselig die Ernte mit Sensen, Heugabeln und Rechen früher war, zumal sich auf unserer Wiese zähes Unkraut breit gemacht hatte, das den Schnittern die Arbeit erschwerte. Als die erste Mähmaschine von Pferden über das Feld gezogen wurde, waren selbst die Zuschauer wie erlöst. Warum der technische Fortschritt früher begrüßt wurde, wurde ihnen angesichts der Plackerei und der Erleichterung hinterher völlig klar. Dann kamen immer modernere und raffiniertere Maschinen auf die Wiese, zunächst noch von Tieren, später von Traktoren gezogen. Der Feldtag endet traditionell mit modernster Erntetechnik. Diesmal raste ein Feldhäcksler über die Wiese, der das bereits gehäckselte Gras im hohen Bogen in einen neben ihm fahrenden Ladewagen warf. Dass der Wurfstrom dabei nie unterbrochen wird, macht diese Erntetechnik extrem effektiv.
Dieser Blick auf die moderne GPS- und computergestützte Agrartechnik ist eine Besonderheit der Hohenheimer Feldtage. Natürlich treten auf den Feldtagen Bauern in nostalgischen blauen Bauernkitteln auf, sie zeigen Pferde und Zugochsen und die gemütlich wirkenden Oldtimer-Schlepper. Doch die Feldtage lassen erkennen, dass die oft so idealisierte Handarbeit hart war und die technische Entwicklung einen deutlichen Fortschritt bot. Der Feldtag wird abgerundet durch Infostände und Aktionen, die einen Blick auf aktuelle wissenschaftliche Forschungen zum Feldtagsthema werfen. Dabei profitiert das DLM davon, dass es eine zentrale Einrichtung der agrar-, natur- und wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten Universität Hohenheim ist.
Ein Beitrag von Dr. Jürgen Weisser in Momente 1|2016.