Landkarten wurden in der Frühen Neuzeit aus unterschiedlichen Anlässen in Auftrag gegeben. In erster Linie wurden Landaufnahmen mit dem Ziel angefertigt, die Herrschaftsverhältnisse eines Territoriums ausführlich bis ins Detail darzustellen. Bei Rechtsstreitigkeiten – besonders über Grenzen, Zölle und landwirtschaftliche Rechte – wurden Karten gezeichnet, die die territorialen Rechtsverhältnisse vor Ort veranschaulichen sollten. Einen ähnlichen Zweck erfüllten Karten bei Vertragsverhandlungen. Hier wurden, wie im „Grundriß der Stadt Buchhorn“, die geschlossenen Vereinbarungen für die Vertragspartner bildlich dokumentiert.
Karten visualisieren also räumliche Verhältnisse, bilden politische Herrschaft ab und sind zugleich Repräsentation von Herrschaft. Sie konstruieren und projizieren und machen so aus Räumen erst Territorien. Im Landschaftsraum selbst symbolisieren Wappen, Mauern, Tore und Grenzsteine die Herrschaft. Außerdem lassen sich Karten auch unter agrar- und umweltgeschichtlichen Aspekten lesen. Landkarten transportieren – ähnlich wie ein Gemälde –
vielschichtige Informationen auf einen Blick. Die politischen, kulturellen und ökonomischen Verhältnisse werden im Kartenbild sichtbar in Form von herrschaftlichen Verarbeitungsbetrieben, wie Mühlen und Sägewerken mit ihren zugehörigen Bannrechten, wie beispielsweise dem Mühlenzwang (er verpflichtete die betroffenen Bauern, ihr Getreide ausschließlich in dieser Mühle mahlen zu lassen). Darüber hinaus ist die Bedeutung des Waldes als wirtschaftliche Ressource deutlich erkennbar. In der Frühen Neuzeit wurden sogar Gebäudeerneuerungen der Residenzen und Klosteranlagen dokumentiert. Auch daran, wie sorgfältig und kunstfertig eine Karte und ihr Dekor gestaltet sind, lässt sich erkennen, welche Bedeutung dem Werk beziehungsweise dem Auftraggeber beigemessen wurde.
Die historische Landschaft Oberschwabens eignet sich aufgrund ihrer territorialen Vielfalt besonders gut für vergleichende kartografische Studien. Bis zur Säkularisation der Klöster, der Mediatisierung der Reichsstädte 1802 und der anschließenden Eingliederung dieser Gebiete in Bayern, Baden, Württemberg und Hohenzollern, behauptete sich in dieser Region während der Frühen Neuzeit eine Vielzahl an geistlichen und weltlichen Territorien.
Neben den Reichsstädten, Reichsgrafschaften, Reichsrittern, der Kommende des Deutschen Ordens und der vorderösterreichischen Landvogtei prägte vor allem die Fülle an Klöstern das Landschaftsbild. Die sich daraus ergebenden Konflikte um Bannräume, Grenzen und Pfandrechte haben sich in Form von Jurisdiktionskarten in den Archiven niedergeschlagen.
An kartografischen Werken bilden bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts großflächige Kartengemälde auf Holztafeln, Landtafeln genannt, die Hauptgattung. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und im gesamten 18. Jahrhundert werden Territorial- und Verwaltungskarten angefertigt. Handgezeichnete Papierkarten ließen sich nicht nur schneller und kostengünstiger herstellen, auch die Technik hatte sich weiterentwickelt.
Einem allgemeinen Trend folgend unternahmen auch die oberschwäbischen Territorien im 18. Jahrhundert großflächige Landaufnahmen ihrer Herrschaftsgebiete, die teilweise aus verstreuten Besitzungen bestanden. Vermehrt wurden Landmesser, Kartografen und Ingenieure beauftragt, die einzelnen Herrschaften entsprechend der technischen Möglichkeiten genau zu vermessen und im Kartenbild festzuhalten. Dabei ist in diesem Zeitraum besonders die Verfeinerung der Methoden zu beobachten, wie die der Winkelmessung sowie die Standardisierung der Triangulation. Bei letzterem Verfahren werden die Gebiete in Dreiecke aufgeteilt und dann einzeln vermessen.
Hinter diesem Trend stand ein ganz pragmatischer Aspekt: die Reform der Landwirtschaft. Mit genauen Messungen und modernster Militärkartografie entstanden möglichst präzise Kartenwerke. Diese wurden als Arbeitsgrundlage benötigt, um Landrenovationen wie die Vereinödung durchführen zu können. Dabei wurden zersplitterte und weit verstreute Flurstücke neu verteilt und die Höfe außerhalb des Dorfes mitten in der selbst bewirtschafteten Flur errichtet. Exakte Karten schufen hier die Voraussetzung für eine gerechte Optimierung der Landwirtschaft.
Territorialkarten stellen ein Herrschaftsgebiet in Gänze dar, wie in den Kartenbeispielen der Zisterzienserinnenabtei Wald oder der Herrschaft Argen der Grafen von Montfort zu sehen ist. Sie werden ergänzt durch erklärende Urbare und Verwaltungskarten, wie Flur-, Forst-, und Vereinödungskarten, die zugehörige Besitzungen, Ortschaften und Höfe aufzeichnen. Darunter sind auch die Jurisdiktionskarten zu zählen. Sie dokumentieren die Auseinandersetzungen und Vereinbarungen der einzelnen Herrschaften im Hinblick auf Grenzräume, Verpfändungen und Triebrechte.
Die frühneuzeitliche Karte ist ein beschreibendes Medium der Wahrnehmung und gibt Auskunft darüber, wie Herrschaftsräume wahrgenommen wurden. Die typische Darstellungsform ist die „Inselkarte“, sie blendet angrenzende Gebiete aus. Der herrschaftliche Repräsentationsanspruch zeigt sich in der detailgetreuen Zeichnung der Residenzen und Klosteranlagen, wie etwa bei Schloss Argen und der Zisterze Wald.
Herrschaftsinsignien wie Wappen und Notarsignete kennzeichnen die rechtliche Eigenschaft der Karten und schmuckvolle Vignetten unterstreichen ihren
Repräsentationscharakter. Diese Doppelfunktion ist in den Kartenbeispielen zunächst in den Wappen der Adels- und Klosterherrschaften zu sehen. Sie sind augenfällig in Szene gesetzt und ersetzen symbolisch den Namen der Herrschaft, so beispielsweise das Wappen der Grafen von Montfort im Baldachin der Herrschaft Argen oder das Familienwappen der Äbtissin Maria Edmunda von Kolb (reg. 1772 – 1799) auf der Karte des Klosters Wald. Dass der dargestellte Herrschaftsraum gültiges Recht ist, unterstreichen ein Notarsignet und Siegel sowohl in der Karte von Buchhorn wie auch im gezeichneten Siegel der Wald‘schen Karte.
Der herrschaftspolitische Anspruch präsentiert sich im Kartenbild durch die meist kolorierte Zeichnung der Jurisdiktionslinien, Grenzsteine und Zollstationen. Im Beispiel der Herrschaft Argen wurde jeder einzelne Grenzstein in leuchtendem Rot eingezeichnet und nummeriert. Bei der Herrschaft Wald sind die Bannräume wie etwa Mühlen und Forstwirtschaften der einzelnen Besitzungen durch farbige Linien gekennzeichnet. Das Privileg der Blutgerichtsbarkeit zeigt sich auch im Kartenbild. In Territorien, die dieses Recht ausüben durften, waren die Richtstätten meist unweit der Residenzen an erhöhten und weithin sichtbaren Positionen gelegen. Der Rechtsstatus der Hochgerichtsbarkeit wurde im Kartenbild durch ein schlichtes Galgensymbol und gelegentlich durch die Benennung eines „GalgenAgger“ gekennzeichnet.
Handels- und Verkehrswege sind vor allem für reichsstädtische Auftraggeber von Interesse, wie der „Grundriß der Stadt Buchhorn“ zeigt. Das Kurfürstentum Bayern war mit der Reichsstadt Buchhorn, dem heutigen Friedrichshafen, in Verhandlung getreten, um eine weitere Niederlassung für den Salzhandel am Bodensee einzurichten. Der Ravensburger Geometer Friedrich Gradmann visualisierte im Kartenbild die im Vertrag vom 21. August 1755 geschlossenen Vereinbarungen. Sie regelten die „Errichtung eines Umschlagplatzes“ des Bad Reichenhaller Salzes für den Transport in die Schweiz. Dabei hob er vor allem die gute Verkehrslage Buchhorns zu Wasser und zu Land hervor.
Auch der religiöse Bereich nimmt im Kartenbild eine bedeutende Rolle ein: Er wird durch Kleindenkmale wie Feldkreuze, Prozessionswege und Kapellen, Kirchen und Klosteranlagen angezeigt. Hinzu kommt die oberschwäbische Praxis, Höfe und die zugehörigen Agrarflächen mit Heiligennamen zu benennen. In protestantischen Gebieten wie den
evangelischen Reichsstädten oder auf Karten des Herzogtums Württemberg entfallen diese Merkmale eines versinnbildlichten konfessionellen Raumes.
Um den repräsentativen Charakter zu unterstreichen, werden die Territorialkarten mit kunstvollen Zeichnungen, reichgeschmückten Kartuschen und Bildschmuckelementen in Barockzierrat, Rocailledekor und klassizistischen Stilelementen des 18. Jahrhunderts dekoriert. Die Darstellung der Natur ist essenziell, dennoch werden die landwirtschaftlichen Nutzflächen, Wiesen, Forst und Gewässer schematisch dargestellt. Der Wald nimmt als herausragende wirtschaftliche Ressource der Herrschaft eine Sonderrolle ein, indem jedes einzelne Waldstück benannt und eingezeichnet wird. Ein Blick auf aktuelle Kartenmaterialien zeigt überraschenderweise, dass sich die Forstgrenzen in Oberschwaben vielerorts seit der Frühen Neuzeit nicht merklich verändert haben. Karten können als Quellengattung für ganz unterschiedliche Fragestellungen dienen. Das Kartografieprojekt der Abteilung Landesgeschichte der Universität Stuttgart möchte anhand der Kartensammlungen des Lan desarchivs Baden-Württemberg und einigen nichtstaatlichen Archiven zeigen, wie sich (Re-)Präsentation von Herrschaft in Oberschwaben im Kartenbild darstellt, und ob und wie dies in Reiseberichten und landesbeschreibenden Werken wahrgenommen wird. Die wechselnde Perspektive von herrschaftlicher Dokumentation einerseits und individueller Wahrnehmung in Reiseberichten und Landesbeschreibungen andererseits gibt Auskunft über den Erfolg herrschaftlicher (Re-)Präsentation in Oberschwaben. Für das Projekt spielt die Möglichkeit der Georeferenzierung historischer Manuskriptkarten keine Rolle. Es ging den Landkarten Oberschwabens nicht darum, eine geografische Realität möglichst konkret abzubilden, sondern sie sollten in erster Linie Herrschaft und Macht dokumentieren. Mittels kunstvoller Dekorelemente und penibler Zeichnung der Herrschaftssitze in Zentralperspektive, durch Grenzsteine, Mühlen und Gerichtsstätten, gelegentlich gesiegelt und signiert, wird Herrschaft im Kartenbild sichtbar gemacht. Für die Anfertigung repräsentativer Landkarten scheuten insbesondere ihre weltlichen Auftraggeber keine Kosten und Mühen.
Ein Beitrag von Monja Dotzauer M.A. in Momente 2|2017.
Daten und Fakten
Das Forschungsprojekt „Oberschwaben. Präsentation, Repräsentation und Wahrnehmung von Herrschaft im 17. und 18. Jahrhundert“ der Abteilung Landesgeschichte des Historischen Instituts der Universität Stuttgart wird von der Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur e.V. unterstützt. Durch Mittel des Lehrprojektes „Das digitale Archiv Stuttgart“ konnten zudem vom SS 2014 bis zum WS 2015/16 vier Lehrveranstaltungen angeboten werden, in denen die Kartensammlungen des Landesarchivs Baden-Württemberg gemeinsam mit Studierenden zum Konstanzer Viertel des Schwäbischen Kreises analysiert wurden. Die Ergebnisse sollen später im landeskundlichen Informationssystem LEO-BW online gestellt werden.
Universität Stuttgart, Historisches Institut, Abteilung Landesgeschichte, Kartografieprojekt, Keplerstr. 17, 70174 Stuttgart