Eisen schaffen für das kämpfende Heer!

Wolf-Ingo Seidelmann legt mit seiner Studie zur „Doggererz AG“ erstmals eine Gesamtdarstellung dieses in der Forschung bisher wenig beachteten Wirtschaftsprojekts auf der badischen Baar vor. Dabei stützt er sich auf Material aus über 50 (!) privaten und staatlichen Archiven. So gelingt ihm ein anschauliches Bild vom Zusammenspiel verschiedener Akteure. Die Nutzung der an sich minderwertigen „Doggererze“ erfolgte zunächst unter der Prämisse, die deutsche Verhandlungsposition gegenüber Frankreich zu stärken, auf dessen Erze die saarländische Stahlindustrie nach dem „Versailler Vertrag“ angewiesen war (Kap. II und III). Im 1936 verkündeten „Vierjahresplan“ wurde den inländischen Erzen eine große Bedeutung für die Erlangung der deutschen Kriegsfähigkeit zugemessen (Kap. IV).

Die kontinuierliche Eisenerzförderung nahe der Gemeinde Blumberg begann im Frühjahr 1937. Für Blumberg selbst brachte die Ansiedlung kaum Vorteile. Der rücksichtslos vorangetriebene Betriebsausbau und die Errichtung einer Bergarbeitersiedlung mit über 400 Häusern zerstörten landwirtschaftliche Flächen und veränderten das Gepräge der gesamten Landschaft bis heute nachhaltig (Kap. IV und IX). Die Arbeits- und Wohnbedingungen der rund 1.500 Arbeiter vor Ort beschreibt Seidelmann als katastrophal. Viele deutsche und italienische Zivilarbeiter, später auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter versuchten deshalb, den schlechten Arbeitsbedingungen zu 

entfliehen (Kap. V, 5). Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das Unternehmen zur „Doggererz AG“ umgewandelt, an der sich das Deutsche Reich mit 50 Prozent beteiligte. Strategisches Ziel war die Errichtung einer eigenen Hütte nahe dem badischen Bergbaurevier (Kap. V). Eine hohe Personalfluktuation, die permanente Unterschreitung der staatlich gesetzten Förderziele und die prinzipielle Unwirtschaftlichkeit der Doggererze bei der Verhüttung veranlassten die Verantwortlichen schließlich dazu, den Bergbaubetrieb in Blumberg nach wenigen Jahren wieder einzustellen. Im März 1942 erließ Rüstungsminister Speer eine entsprechende Verfügung. Von da an trat das Unternehmen als Immobilieneigner auf, Bergbau wurde bis zur endgültigen Aufhebung Anfang der 1980er-Jahre nicht mehr betrieben (Kap. VII).

Im Unterschied zur älteren Forschung, welche bei der Bewertung der nationalsozialistischen „Autarkiepolitik“ von einem weitgehenden Primat von Staat/Partei gegenüber der Privatwirtschaft ausging, bemüht sich Seidelmann darum, Handlungsspielräume der Unternehmer aufzuzeigen. Neben der detaillierten Nachzeichnung von Entscheidungsprozessen gelingt ihm das durch Kurzbiografien der beteiligten Personen (Kap. IX). Alles in allem bietet die Studie einen profunden Einblick in Chancen und Grenzen unternehmerischen Handelns im polykratischen Herrschaftsgefüge des nationalsozialistischen Staates. Mit ihrer breiten Materialbasis eröffnet sie Interessierten der Wirtschafts-, Sozial- und Landesgeschichte vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für eigene Forschungen.

Ein Beitrag von Maximilian Vissers in Momente 4|2017.

„Eisen schaffen für das kämpfende Heer!“. Die Doggererz AG – ein Beitrag der Otto-Wolff- Gruppe und der saarländischen Stahlindustrie zur nationalsozialistischen Autarkie- und Rüstungspolitik auf der badischen Baar. Von Wolf-Ingo Seidelmann. Konstanz: UVK 2016. 480 S., mit farbigen und SW-Abb., ISBN: 978-3-86764-653-6, 3 36,-