„Ich bin erfüllt von diesem ungeheuren Moment der Geschichte […], der […] alle bessern Kräfte und Instinkte nach oben bringt“, schrieb Friedrich Gundolf, Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg, nach Beginn des Ersten Weltkriegs an einen Freund. Zur gleichen Zeit beklagte der Heidelberger Pathologe Ludolf von Krehl den verbreiteten Hass auf die Kriegsgegner, brandmarkte den Krieg als grausam und unchristlich. Auch Karl Jaspers war von der Kriegsbegeisterung, die manchen Gelehrten im Sommer 1914 erfasste, weit entfernt. Zwar wünschte er sich einen deutschen Sieg, bekannte aber: „Man ist doch auch Europäer und Mensch.“ Die widersprüchlichen Haltungen zum Krieg anhand ausgewählter Heidelberger Gelehrter herauszuarbeiten, ist das Verdienst des hier vorgestellten Tagungsbandes. Dessen erster Aufsatz erzählt vom rapiden Studenten- Schwund nach Kriegsbeginn, vom Tod zahlreicher Universitätsangehöriger an der Front, von der Mentalität in der Heimat. Der zweite Beitrag, weit über Heidelberg hinausgreifend, behandelt den „Krieg der Geister“ – die sehr umfangreiche Kriegspublizistik der Professoren. Auf den Gesamtüberblick folgen Aufsätze zu insgesamt zwölf Heidelberger Universitätslehrern, angefangen mit dem Theologen Ernst Troeltsch und seiner „Sinndeutung des Krieges“ sowie prominenten Intellektuellen wie dem Nationalökonomen Max Weber. Neben zwei Historikern stehen Vertreter der Medizinischen Fakultät, ein Germanist, ein Jurist und zwei Naturwissenschaftler im Fokus. Die Auswahl ist sinnvoll und ausgewogen, wenngleich auch andere Biografien spannende Erkenntnisse versprochen hätten: Die Vita des langjährigen Heidelberger Geologie-Ordinarius Wilhelm Salomon etwa, der 1915 zu einem
geistigen Vater der angewandten „Kriegsgeologie“ wurde, politisch aber stets für Mäßigung eintrat. Im Laufe des Krieges bildeten sich zwei Lager unter den deutschen Gelehrten heraus: Die Befürworter eines kompromissbereiten Verständigungsfriedens standen den Verfechtern eines „Siegfriedens“ gegenüber. Doch war man sich auch innerhalb der Lager keineswegs einig: Von Max Weber waren im Krieg zwar nationalistische Töne zu hören, doch lehnte er wilde Annexionsforderungen ab. Hermann Oncken forderte vergleichsweise maßvolle Gebietserweiterungen auf Kosten der Kriegsgegner, die Deutschland vor künftigen Angriffen schützen sollten: „Nicht Eroberung, sondern Verteidigung“, war seine Devise.
Der lautstarke Appell an den „Siegfrieden“ war andernorts ohnehin verbreiteter als in Heidelberg – schon vor 1914 hatte die dortige Universität als vergleichsweise liberal und gemäßigt gegolten. Hierbei blieb es im Ersten Weltkrieg. Friedrich Gundolf stellte mit seiner Verherrlichung des Krieges die Ausnahme dar, ebenso Philipp Lenard: Der Physik-Nobelpreisträger wandelte sich im Krieg zum radikalen Nationalisten, nach 1918 dann zum glühenden Antisemiten und Nationalsozialisten.
Ein Beitrag von Dr. Andreas Lehmann in Momente 3|2018.
Die Universität Heidelberg und ihre Professoren während des Ersten Weltkriegs. Beiträge zur Tagung im Universitätsarchiv Heidelberg am 6. und 7. November 2014. Hg. von Ingo Runde: Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2017. 380 S., ISBN 978-3-8253-6695-7, 29 €