Ein vielseitiger Kolonisator und Expeditonsleiter
„Mit einem Wort: Die natürliche Lage, das Klima und die Landesprodukte machen die Provinz von Rio de Janeiro zu dem glücklichsten, reichsten Lande, man glaubt dort in einem ewigen Sommer zu leben.“ So schreibt Georg Heinrich von Langsdorff 1821.
Er wird am 18. April 1774 als Sohn des nassauischen Amtmannes Johann Gottlieb Emil Langsdorff in Wöllstein geboren. Entscheidende Jahre seiner Jugend verbringt er in Lahr, wo sein Vater in den 1780er-Jahren Oberamtmann wird. Ab 1793 studiert Georg Heinrich in Göttingen Medizin und Naturwissenschaften. Nach einem Zwischenspiel als Leibarzt des Prinzen Christian von Waldeck-Pyrmont in Lissabon nimmt er an der russischen Weltumseglung des Kapitäns Krusenstern teil und begeistert sich für Brasilien. Von 1808 bis 1813 feiert er dann Triumphe in Petersburg, wird geadelt, Hofrat und Mitglied der berühmten Petersburger Akademie der Wissenschaften. 1813 erfüllt ihm Zar Alexander I. mit der Ernennung zum Generalkonsul in Rio de Janeiro einen Lebenstraum. Langsdorffs
Hauptstadtresidenz und sein Landgut Mandioca werden schnell zum Anziehungspunkt für neu in Brasilien ankommende Reiseforscher oder Künstler aus Europa.
Die Auswanderungswelle nach der Hungerkrise 1816/17 registriert er aufmerksam. Schon 1819 wirbt er in der Karlsruher Zeitung für die Auswanderung nach Brasilien, 1821 veröffentlicht er in Heidelberg seine „Bemerkungen über Brasilien. Mit gewissenhafter Belehrung für auswandernde Deutsche“. Für sein Mustergut Mandioca in der Nähe von Rio sucht er Kolonisten. Im Badischen stößt er in jenen Jahren auf gute Resonanz und kann 29 Handwerker und Bauern mit ihren Familien anwerben, davon allein sechs aus Lahr. Der berühmteste Teilnehmer ist Karl von Drais, der badische Erfinder des Laufrades, das noch ohne Pedalen und Kette auskommt. Kurz nach der Ankunft der insgesamt 94 Kolonisten in Brasilien scheitert das Projekt jedoch – laut Langsdorff an der Aufsässigkeit Einzelner, aber wohl auch an den fehlenden landwirtschaftlichen Kenntnissen.
Höhepunkt von Langsdorffs Brasilienzeit ist seine Expedition, die ihn von Rio tief ins Landesinnere führt. Zwischen 1826 und 1829 ist er mit acht Einbooten und 38 Personen auf brasilianischen Strömen wie dem Tieté, Parana, Paraguay und Tapajos unterwegs. In Santarem trifft er 1828 auf den Amazonas, doch ist er dort schon ein kranker Mann, der auf Grund der erlittenen Strapazen und Infektionen sein Kurzzeitgedächtnis verloren hat. 1830 wird er zurück nach Deutschland gebracht. Hier stirbt er 1852 in Freiburg, ohne das Gedächtnis oder seine Arbeitskraft wiedererlangt zu haben.
Seine Expedition sollte den „größeren Reisen des großen Alexander [von Humboldt]“ entsprechen. Mit seinen riesigen Pflanzen- und Tiersammlungen, dem Wörterbuch einer Indianersprache, seinen ausführlichen Tagebüchern und den zahlreichen Zeichnungen mitreisender Künstler hat er dieses Ziel wohl erreicht. Dass er bis heute dennoch relativ unbekannt ist, liegt an seinem Gedächtnisverlust und daran, dass seine brasilianischen Materialien nach Petersburg geschickt wurden und dort in der Akademie der Wissenschaften bis 1930 verschollen waren.
Ein Beitrag von Dr. Dieter Strauss in Momente 2|2016.