Dr. Magdalene Schütte wird am 25. Mai 1904 in Köln-Mülheim geboren. Nach Abitur und Ausbildung zur Kinderkrankenschwester studiert sie Medizin an mehreren Universitäten, zuletzt in Freiburg. Im Mai 1933 tritt Schütte in die NSDAP ein. Von 1934–37 ist sie als Assistenzärztin in Karlsruhe tätig und ab 15. Februar 1937 arbeitet sie als Assistenzärztin im Städtischen Kinderkrankenhaus Stuttgart. Leiter des Krankenhauses ist Obermedizinalrat Dr. Karl Lempp (1881 – 1960).
Am 1. April 1943 wird Schütte zur Oberärztin befördert und zur „Reichsausschuss“- Ärztin ernannt. Der „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ in Berlin ist die getarnte Organisationszentrale in der „Kanzlei des Führers“ für ein spezielles, streng geheimes NS-„Kindereuthanasie“-Programm. Die diesem Ausschuss von den Gesundheitsämtern gemeldeten Kinder mit einer Missbildung oder Behinderung werden in „Kinderfachabteilungen“ zur „Behandlung“ eingewiesen. Das Tarnwort „Behandlung“ bedeutet Tötung, die meist mit dem Medikament „Luminal“ erfolgt. Kinder mit einer Missbildung oder Behinderung gelten nach der Nazi- Ideologie als „Ballastexistenzen“ und als „lebensunwert“. Den Eltern eines ermordeten Kindes wird vorgespiegelt, dass ihr Kind eines natürlichen Todes gestorben sei. Schütte leitet die im Städtischen Kinderkrankenhaus Stuttgart im Dezember 1942 eingerichtete „Kinderfachabteilung“ bis zum Kriegsende.
Auf Grund einer Anordnung der amerikanischen Militärregierung endet Schüttes Dienstverhältnis bei der Stadt Stuttgart am 6. September 1945. Im Spruchkammerverfahren in Schorndorf wird Schütte am 12. November 1946 als „Mitläufer“ eingestuft. Schütte behauptet unter Berufung auf Lempp als Zeugen, dass sie sich nicht bereit erklärt habe, „die Vernichtung erbkranker Kinder durchzuführen“.
Mehr als 16 Jahre später, am 26. Februar 1963, leitet die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren gegen Schütte ein, wegen „Teilnahme an NS-Gewaltverbrechen (Euthanasie)“. Schütte ist zu der Zeit, als gegen sie ermittelt wird, Leiterin der Kinderabteilung des Kreiskrankenhauses Aalen. Anlass für die erneuten Ermittlungen ist, dass zwei Schreiben der „Oberärztin Dr. Schütte“ vom 30. Juni und 3. Juli 1944 an das „Kriminaltechnische Institut der Sicherheitspolizei beim Reichskriminalpolizeiamt“ in Berlin aufgetaucht sind. In diesen Schreiben geht es um die Lieferung von „Luminal-Natrium“, das sie im Auftrag des „Reichsausschusses“ vom „Kriminaltechnischen Institut“ erhalten hat. Diesmal sagt sie etwas ganz anderes aus als früher: „Professor Dr. Lempp und sie seien nur zum Schein auf das Ansinnen eingegangen, im Rahmen der Reichsausschussaktion tätig zu werden. […] Tatsächlich sei nicht ein einziges Kind getötet worden.“ Am 5. Juli 1963 wird das Verfahren gegen Schütte eingestellt. Bis 4. Januar 1967 ist sie 20 Jahre lang Chefärztin in Aalen. Sie stirbt am 24. November 1980 in Bad Friedrichshall.
Erst in jüngster Zeit haben eigene Recherchen ergeben, dass 55 Kinder in der „Kinderfachabteilung Stuttgart“ ermordet wurden. Im April 2013 wurde für Gerda Metzger ein „Stolperstein“ vor dem früheren Städtischen Kinderkrankenhaus Stuttgart verlegt. Das dreieinhalbjährige Mädchen litt an spastischen Lähmungen und wurde am 12. Juli 1943 getötet. Seit Oktober 2016 erinnert an dem Klinikgebäude eine Gedenktafel der Stadt Stuttgart an die Opfer.
Ein Beitrag von Dr. Karl-Horst Marquart in Momente 4|2017.