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Laufzeitverlängerung hat viele Tücken

Staatsanzeiger: Ausgabe 22/2010
Von: Schlüter, Stefanie 
Die Bundesregierung prüft derzeit, wie sie die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ohne Zustimmung des Bundesrats umsetzen kann. Eine Entscheidung mit Tücken, wie aus verschiedenen Gutachten hervorgeht. Und die Kläger dagegen stehen auch bereits parat.
Von Stefanie Schlüter
Kann bei einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken auf die Zustimmung des Bundesrats verzichtet werden? An dieser Frage scheiden sich derzeit die Geister. Während Befürworter der Laufzeitverlängerung wie beispielsweise der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Stefan Mappus (CDU), oder EnBW-Chef Hans-Peter Villis eine Zustimmung des Bundesrats für nicht unbedingt notwendig erachten, hatten Grüne und Sozialdemokraten in Land und Bund dies stets als unumgänglich angesehen. Um Klarheit zu bekommen, hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nun zwei Rechtsgutachten eingeholt. Das eine stammt vom früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier, einem der renommiertesten Verfassungsrechtler in Deutschland. Er hält eine Laufzeitverlängerung für eine „wesentliche, vollzugsfähige und vollzugsbedürftige Änderung des bestehenden Atomrechts“. Dieser müsse nach Artikel 87c des Grundgesetzes der Bundesrat zustimmen. Die zweite Expertise stammt vom Verwaltungswissenschaftler Joachim Wieland von der Hochschule in Speyer. Auch er hält eine Zustimmung der Länderkammer für notwendig. Doch die Befürworter einer Laufzeitverlängerung ohne Bundesrat können sich ebenfalls auf einen Fachmann berufen. Der Staatsrechtler Christoph Degenhart von der Universität Leipzig hält nämlich eine Laufzeitverlängerung grundsätzlich auch ohne Zustimmung des Bundesrats für möglich. Vorausgesetzt, die Verwaltungsaufgaben der Länder erfahren keine „substanzielle Erweiterung“. Innen- und Justizministerium haben sich deshalb nun im Auftrag des Kanzleramts Gedanken zu diesem Thema gemacht. Die beiden Ministerien kommen zu dem Schluss, dass eine zustimmungsfreie Ausgestaltung noch vertretbar scheine, diese sei aber mit einem nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden. Was passiert, wenn die Laufzeitverlängerung ohne Bundesratzustimmung durchgesetzt wird? Sozialdemokraten und Grüne haben bereits angekündigt, dass sie dagegen klagen werden. Auch das Land Bremen will klagen. Nicht weit von Bremen entfernt steht mit dem Kernkraftwerk Unterweser einer der ältesten Meiler in Deutschland. Auch andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein mit einer schwarz-gelben Regierung sind der Ansicht, dass der Ausstieg aus dem Atomausstieg nicht ohne Zustimmung der Bundesländer zu machen ist.
Wie wird es nun weitergehen?
Diese Frage lässt sich derzeit nicht beantworten. Die Bundesregierung will bis Mitte Juli prüfen, in welchem Rahmen eine zustimmungsfreie Lösung möglich ist. Außerdem soll bis dahin ein Energiekonzept vorliegen, aufgrund dessen auch über die Dauer der Laufzeitverlängerung entschieden werden soll. Denn völlig unklar ist bislang jedoch, wie viele Jahre länger die Atomkraftwerke am Netz bleiben sollen. Während die einen von acht Jahren sprechen, hatte Ministerpräsident Mappus vor Kurzem „mindestens 15 Jahre“ in die Debatte geworfen. Der Ministerpräsident von Niedersachsen, Christian Wulff (CDU), hingegen hatte für flexible Laufzeiten für die neuen Kraftwerke plädiert, nach seinen Vorstellungen sollten allerdings alte Meiler, die nicht dem neuesten Stand der Technik entsprechen, sofort vom Netz gehen. Die Atomwirtschaft spekuliert bereits auf Laufzeiten von 60 Jahren, was einer Verlängerung um 28 Jahre entsprechen würde. Was bedeutet eine Laufzeitverlängerung für die Zukunft der Energieversorgung ? Nach Ansicht von Ministerpräsident Mappus müssen die Atomkraftwerke länger am Netz bleiben, um die Energieversorgung zu sichern. Eine Position, die von zahlreichen Energieexperten bestritten wird. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen kommt in seinem jüngsten Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Bundesregierung jetzt die Weichen für den Umbau des Energiesystems stellen muss. Ratsmitglied Olav Hohmeyer sagte: „Für die Übergangszeit sind weder Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke noch neue Kohlekraftwerke erforderlich. Die Brücke zu den erneuerbaren Energien steht bereits.“ Auch kleinere Energieversorger im Land wehren sich gegen längere Laufzeiten, da sie mit ihren Investitionen und Planungen auf die bisherige Gesetzeslage und damit den Atomausstieg vertraut hatten. Auch hier gibt es bereits Unternehmen, die eine Klage in Erwägung ziehen.