Foto: dpa/Jonas Güttler
STUTTGART. Erst Würzburg, dann Wolfsburg, dann Bretten. Das Coronavirus breitet sich rasend schnell in Pflegeheimen aus – mit oft fatalen Folgen. Die Landräte in Böblingen, Tübingen und Reutlingen wollen es in ihren Heimen nicht so weit kommen lassen. Sie lassen alle Bewohner und das Personal testen.
Nicht auszuschließen, dass sie auf den Kosten teilweise sitzenbleiben. Denn bislang übernehmen die Krankenkassen nur Tests für Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie krank sind. Dies entspricht der Empfehlung des Robert-Koch-Instituts und den Handlungsempfehlungen des Landes.
Thomas Reumann (parteilos), Landrat in Reutlingen, hält seinen Weg dennoch für den einzigen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. „Unsere Aufgabe ist es, besonders gefährdete Menschen bestmöglich zu schützen“, sagt er. In der Pflege sei körperliche Distanz nicht möglich. Wenn das Virus in ein Heim getragen werde, sei es deshalb kaum noch zu stoppen. Und auch bei vielen alten Menschen träten keine Symptome auf.
Der Landkreis Reutlingen hat 2000 Bewohner und 2100 Mitarbeiter in 38 Heimen getestet, und die vorläufigen Zahlen bestätigen Reumanns These. Von 278 Infizierten wiesen 145 keine Symptome auf. Besonders groß war die Differenz bei den Senioren: Von 169 Infizierten zeigten lediglich 57 Symptome, während man 112 ihre Ansteckung nicht anmerkte.
Ähnliche Schlüsse aus ähnlichen Zahlen ziehen die Landräte von Böblingen und Tübingen, Roland Bernhard (parteilos) und Joachim Walter (CDU). In Böblingen wurden und werden 3000 Personen getestet, in Tübingen über 5000. In Böblingen waren am Dienstag 17 Heime ohne Befund, elf hatten mindestens einen Befund und zwei lagen im zweistelligen Bereich. In Tübingen wurden 30 Einrichtungen gescannt. Stand Dienstag waren 98 Bewohner und 39 Mitarbeiter positiv.
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In Böblingen verweist man darauf, dass andere Bundesländer, etwa das Saarland, ebenfalls flächendeckend testen. „Bei einer so vulnerablen Bevölkerungsgruppe wie der in den Pflegeheimen“ sei eine frühe Entdeckung einer Infektion besonders wichtig. In Tübingen geht man davon aus, dass der eingeschlagene Weg den Landesvorgaben entspricht. „Es ist wichtig, dass es hier landeseinheitliche Regelungen gibt“, sagte der Tübinger Landrat, der auch Präsident des Landkreistags ist.
In der Tat hat sich seit Veröffentlichung der Handlungsempfehlungen am vergangenen Freitag einiges getan. Am Dienstag hat die Landesregierung mitgeteilt, dass sie „zum Schutz vulnerabler Gruppen insbesondere im Pflegebereich“ die Testkosten übernimmt, bis der Bund die Finanzierung geregelt hat.
Gleichzeitig hat die Große Koalition in Berlin ein neues Gesetzespaket auf den Weg gebracht. Darin soll unter anderem geregelt werden, dass die Kassen Massentests in Pflegeheimen finanzieren.
Allerdings ist damit nicht die Frage geklärt, wer die Tests bezahlt, die bereits stattgefunden haben. Ein Abstrich wird nach Angaben des Landkreises Böblingen mit 27 Euro vergütet, dazu kommen Sachkosten, Wegegebühren und Stundensätze. Das Labor berechnet zwischen 59 und 118,85 Euro.
Der Landkreis Böblingen rechnet fest damit, dass „die Kosten für diese Maßnahme dem Landkreis zugegebener Zeit erstattet werden“. Der Reutlinger Landrat Reumann wird noch deutlicher: Die Kassen müssten die Tests auch rückwirkend erstatten. Er warnt die Politiker, die darüber entscheiden, davor, nur „Sonntagsreden“ zu halten.
In Böblingen und Reutlingen werden auch Behinderteneinrichtungen gescannt. Und in Reutlingen wird schnell gehandelt, wenn ein Infektionsherd entdeckt wird, wie Reumann berichtet. Umgehend würden die betroffenen Bewohner dann in eigenen Stockwerken zusammengelegt und isoliert. Dies hat den Vorteil, dass sie zumindest ihr Zimmer verlassen können.
Reumann lobt ausdrücklich das Engagement der Heimleitungen, die sich untereinander aushelfen würden, wenn in einem Heim viele Pfleger ausfallen. Auch vom Tübinger Landrat kommt Lob: für das Deutsche Rote Kreuz, das die dortigen flächendeckenden Tests initiiert und organisiert hat.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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