Trübe Aussichten für den Zirkus Bravissimo, der wegen Corona in Schönaich gestrandet ist. Doch die Schönaicher zeigen sich großzügig und spenden - nicht nur Geld. Foto: Michael Schwarz
SCHÖNAICH. Wenn man sieht, wie sie da so sitzen auf der Eckbank ihres Campingwagens, mag man gar nicht glauben, dass sie das Schicksal schwer getroffen hat. Dass die Familie Frank als Besitzer des Zirkus Bravissimo zu jenen Millionen Kleinunternehmern gehört, denen über Nacht die Existenzgrundlage weggebrochen ist. Die nicht wissen, wie es weitergeht, nachdem alles gut zu laufen schien – alle sind gesund, das Geschäftsmodell hat sich über 208 Jahre bewährt.
1812 wurde der erste Zirkus der Familie Frank in Schwerin gegründet. Erst noch ohne Zelt und Manege, das kam später, doch Gaukler, Tiere, Akrobaten wollten die Menschen schon immer sehen. Nicht einmal in den Kriegen pausierte die Familie, die einen branchenüblichen Namen trägt: Gefühlt jeder zweite der 200 bis 300 Zirkusse in Deutschland gehört einem Frank.
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Und dann kam die Corona-Krise. Mitte März endete die Saison des Zirkus Bravissimo. Dabei hatte sie noch nicht einmal richtig begonnen. Die Plakate für Stuttgart, Schlaitdorf und Bempflingen waren schon gedruckt, da erfuhren Walter Frank und seine Frau Jessica, Walters Bruder Giuliano und seine Frau Sabrina, dass sie nicht mehr auftreten dürfen. Es war der Tag, an dem auch bekanntgegeben wurde, dass alle Schulen und Kitas schließen, alle Theater und Museen dichtmachten – und alle Zirkusse. Obwohl von denen in der Landesverordnung nicht einmal die Rede ist. Nur von Kultureinrichtungen jeglicher Art.
In Schönaich dagegen, einer Gemeinde im Landkreis Böblingen mit gut 10 000 Einwohnern, ist der Zirkus eine feste Institution. Oder genauer gesagt, die Zirkusse: Mehrere Familienunternehmen wechseln sich ab. Generationen von Kindergarten- und Schulkinder haben hier gelacht und gestaunt, sind auf Ponys geritten und haben Kamele gestreichelt und Gänse gefüttert. Die Wiese dient seit Jahren auch als Winterquartier. Die Franks sind seit Januar hier, nachdem sie schon im Sommer zwei Wochen gastiert hatten.
Als klar war, dass die Saison futsch ist – von März bis Mai machen Zirkusse normalerweise ihre besten Umsätze, die Franks schätzen den Anteil am Jahresgeschäft auf 80 Prozent –, startete Jessica Frank auf Facebook einen Aufruf. Wer kann helfen? Wer ist bereit, etwas zu spenden, egal ob Futter oder Geld?
Seither klingelt ihr Handy – 0177/8825000 – häufiger. Denn die Schönaicher lassen sich nicht lumpen. Ein Bauer bringt Heu. Andere bringen Brot und Karotten. Wieder andere Hundefutter. Und einige rufen an, um zu fragen, was noch fehlt. Zum Beispiel Entenfutter.
Und dann ist da Daniel Schamburek (parteilos), seit 2017 Bürgermeister von Schönaich. Bis zu 50.000 Euro darf der Rathauschef ausgeben, ohne den Gemeinderat zu fragen, wenn noch Haushaltsmittel vorhanden sind. Und wenn nicht, gibt es ja noch die Möglichkeit außerplanmäßiger Ausgaben.
Wie viel die Franks genau bekommen, möchte Schamburek nicht verraten. Nur, dass es nicht nur Geld, sondern auch etwas zu essen ist. Und dass das Geschäft auf Gegenseitigkeit beruht: Die Zirkusfamilie hat versprochen, eine Sondervorstellung für alle Schönaicher Kinder zu geben, sobald dies wieder möglich ist. „Wo dann auch der Esel und das Lama dabei sind“, wie der Bürgermeister verrät.
An der Vorstellung dürfen auch alle teilnehmen, die jetzt so fleißig spenden. Dass die Schönaicher so hilfsbereit sind, das hat die Franks überrascht. Das sei nicht überall so, dass man willkommen ist – auch über die vereinbarte Zeit hinaus.
Dennoch werden die kommenden Monate nicht einfach sein. Die Spenden, das Geld von der Gemeinde, die 9000 Euro Soforthilfe – all dies wird nicht ewig reichen. 180 Euro am Tag für Futter, Tierarzt, Wasser, Strom und Platzmiete müssen erst einmal zusammenkommen. Und essen, trinken, leben wollen die sieben Franks – Jessica und Walter haben einen Sohn, Giuliano und Sabrina zwei Töchter – ja auch.
Noch trüber ist die Situation in mancher Hinsicht in den großen Zirkussen, wie Dieter Seeger berichtet, der bis Februar den Verband deutscher Circusunternehmen leitete. So im Circus Knie, der bereits in Laupheim seine Zelte aufgeschlagen und mehrere Tausend Tickets verkauft hatte, als die Absage kam. Die Angestellten kommen aus aller Herren Länder. Viele könnten jetzt nicht heim.
Die Hoffnung, die die Zirkusse verbindet, ist, dass sie im Herbst wieder auftreten können. Und dass sie sich im nächsten Frühling wieder ein Polster anfuttern können. Denn die Monate von März bis Mai, „da spielt das Wetter für uns“. Außer in Zeiten von Corona.
200 bis 300 Zirkusse gibt es nach Schätzungen des Verbands deutscher Circusunternehmen in Deutschland. Gut 50 sind Mitglied im einzigen deutschen Zirkusverband. Sein Vorsitzender Ralf Huppertz geht davon aus, dass die Familienunternehmen „irgendwie durchkommen“ durch die Corona-Krise. Kritischer sehe es bei den größeren Unternehmen mit mehreren Angestellten aus.
In der Krise habe er mehreren Zirkussen geholfen, die Ärger bekamen, weil ihre Pacht ablief. „Im zweiten Anlauf hat es immer funktioniert“, berichtet der Rheinländer, der selber Zelte vermietet.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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