Photovoltaikpflicht für Wohngebäude kommt nicht- Architekten sehen darin verpasste Chance

14.05.2020 
Redaktion
 

Foto: dpa/Bildagentur-online

STUTTGART. Die Spitzen der grün-schwarzen Landesregierung haben sich auf ein neues Klimaschutzgesetz geeinigt. Danach soll es künftig eine Pflicht geben, neue gewerblich genutzte Gebäude mit Photovoltaik (PV) zur Stromerzeugung auszustatten. Die Grünen hatten eine Solarpflicht für alle Neubauten gefordert - die CDU lehnt dies aber für Wohngebäude ab.

Für die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) greift eine Beschränkung der Photovoltaikpflicht auf Gewerbeimmobilien zu kurz. Die große Chance, die die Solarenergie für die Energiewende biete, werde damit nicht annähernd genutzt, sagt Kammerpräsident Markus Müller. Forschung und Entwicklung seien weiter.

Müller verweist etwa auf gebäudeintegrierte Photovoltaiksysteme durch multifunktionale Baustoffe, intelligente Fenster und Solarziegel. „Hier staatliche Lenkungswirkung zu entfalten sowie die PV-Pflicht als Teil einer dem Standort Baden-Württemberg angemessenen wirtschaftspolitischen Strategie anzulegen, würde sich lohnen. Wir können uns keine Verzagtheit mehr leisten“, so Müller.

Selbst allgemeine PV-Pflicht für Neubauten nicht ausreichend

Der Architekt kritisiert, dass selbst eine allgemeine PV-Pflicht für Neubauten nicht ausreiche, um die Klimaschutzziele – weder national noch im Land – zu erreichen und verweist auf eine Studie des Fraunhofer Instituts für Solar Energiesysteme ISE vom Februar. Danach wären etwa eine Milliarde Quadratmeter an zusätzlicher PV-Fläche erforderlich, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Das bedeutet, dass etwa 28 Prozent der Bestandsgebäude mit einbezogen werden müssten. Die derzeitige energetische Sanierungsquote von 0,8 Prozent müsste mindestens knapp zwei Prozent betragen, so die Forscher. Laut Kammerchef Müller besteht die Herausforderung darin, den großen Gebäudebestand energetisch klug zu ertüchtigen.

Die Wohnungswirtschaft im Land begrüßt dagegen den Kompromiss der grün-schwarzen Landesregierung, den Einsatz von Photovoltaik im Wohnungsbau nicht zur Pflicht zu machen. „Die Wohnungswirtschaft investiert hohe Summen, um ihren Wohnungsbestand energetisch zu verbessern und energieeffiziente, über erneuerbare Energien versorgte Neubauten zu erstellen. Sie entscheidet sich dabei für die technisch und ökonomisch sinnvollsten Lösungen. Das muss nicht immer Photovoltaik sein“, sagte Iris Beuerle, die Direktorin des Verbands baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen.

Studie empfiehlt stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien

Auch eine Studie des Stuttgarter Energieexperten Joachim Nitsch im Auftrag der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg (EE BW), die in dieser Woche veröffentlicht wurde, hatte einen deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien empfohlen. Die Landesregierung habe mit der Fortschreibung des Klimaschutzgesetzes zwar den richtigen Weg eingeschlagen, das Ziel sei jedoch zu bescheiden und damit kein ausreichender Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen.

„Baden-Württemberg muss den Ausstoß von Treibhausgasen schneller reduzieren als bislang, eine Versechsfachung der jährlichen Reduktionsrate ist das Mindestmaß für wirksamen Klimaschutz“, sagte Jörg Dürr-Purcher, Vorsitzender der Plattform EE BW. Das enspreche einer Halbierung der Treibhausgasemissionen des Landes von 1990 bis 2030.

Ausbau von Wärmenetzen und verpflichtende Wärmeleitplanung

Dazu müsste durchschnittliche Zubauraten von 870 Megawatt für Photovoltaik und 325 Megawatt für Windenergie jährlich erreicht werden. Das sei zwar mehr als in den vergangenen zwei Jahren, läge aber auch weit hinter den jeweiligen Spitzenwerten zurückliegender Jahre, so Plattform-Geschäftsführer Franz Pöter. Mit den Potenzialen, die es noch bei der Wasserkraft gibt, könnten so im Jahr 2030 rund 22 Gigawatt erneuerbare Energien im Stromsektor in Baden-Württemberg installiert sein.

Für den Wärmesektor empfiehlt die Plattform EE BW den Ausbau der Wärmenetze, eine verpflichtende Wärmeleitplanung für alle Kommunen. Der Anteil an Wärmebereitsstellung durch Wärmenetze müsse bis 2030 verdoppt werden. Dazu müsse die Kollektorfläche für Solarthermie verdoppelt werden, die Wärmeerzeugung durch Biomasse leicht gesteigert und zehn neue Geothermieanlagen neu gebaut werden.

Kompromis als Einstieg in umfassende PV-Pflicht für Neubauten

„Wir müssen Genehmigungsverfahren beschleunigen und vereinheitlichen, um Realisierungszeiträume für EE-Projekte wieder zu verkürzen. Außerdem müssen bestehende Ausbaugrenzen und Degressionsmechanismen im Rahmen der anstehenden EEG-Novelle beseitigt werden“, fordert Pöter. Auch die Plattform EE BW sprach sich im Zusammenhang mit der Studie für eine Solarpflicht für Neubauten aus.

„Ich bin überzeugt, dass wir insbesondere mit der PV-Pflicht für Nicht-Wohngebäude, die ich als Einstieg in eine umfassende PV-Pflicht für Neubauten sehe, ein wichtiges Zeichen weit über die Landesgrenzen hinaus setzen. Wir sind damit bundesweit Vorreiter“, kommentierte Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) den zwischen den Spitzen von Grünen und CDU erzielten Kompromis zur PV-Pflicht.    


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