STUTTGART. Einbeziehung von Laien in Forschung, die Wissenschaftler organisieren: Das ist der Kern von Citizen Science, zu Deutsch: Bürgerwissenschaft. Ob es um Temperaturen und Luftverschmutzung oder den Sternenhimmel geht: Tausende Freiwillige sammeln, messen und kartieren für wissenschaftliche Projekte Daten. Alle Universitäten des Landes führen mittlerweile solche Projekte durch. Um interessierte Laien zielgerichtet für Citizen-Science Projekte einsetzen zu können, werden die Wissenschaftler auch eigens geschult - so Mitte Juni an der Universität Ulm.
Das erste bürgerwissenschaftliche Projekt fand an Weihnachten 1900 in den USA statt: Damals rief eine wissenschaftliche Gesellschaft zu einer Vogelzählung auf. Diese wird seither jährlich durchgeführt. Ähnliche Aktionen führt in Deutschland seit Jahrzehnten der Naturschutzbund (Nabu) durch: Bei der „Stunde der Gartenvögel“ im Mai zählten diesmal bundesweit mehr als 140 000 Menschen mit und meldeten aus rund 95000 Gärten und Parks mehr als 3,1 Millionen Vögel. Susanna Ketterer ist Redakteurin beim Staatsanzeiger – und hat selbst an dem Nabu-Projekt teilgenommen.
Im Gespräch mit Christoph Müller erläuterte sie Reize, Chancen und Grenzen der Bürgerwissenschaft.
Wie haben Sie von der Möglichkeit erfahren, bei einem Bürgerwissenschaftsprojekt mitzuarbeiten?
Ab und zu habe ich beim Nabu auf der Webseite nach Artikeln zu Bienenhotels und Vogelarten gesucht – und stieß dabei auf Werbung für dieses Projekt.
Was war Ihre Motivation für die Mitarbeit?
Das war kein wissenschaftliches Interesse, sondern einfach persönliche Neugier: Welche Vögel sind denn da? Was ist bei uns im Park los beziehungsweise im Schrebergarten, den wir inzwischen haben?
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern im Projekt ab, findet die auf Augenhöhe statt?
In meinem Fall hat der Nabu die komplette Vermittlung übernommen. Als Mitmacher hat man bei diesem Projekt gar keinen direkten Kontakt zu den Wissenschaftlern, die die Methode entwickelt haben. Man bekommt einen vorgefertigten Bogen, auf dem man die Vögel einträgt, die man sieht und die Methode, die man anwenden soll. Es gibt beispielsweise Anweisungen, um Doppelzählungen zu vermeiden. So soll man bei Mehrfachsichtungen derselben Art nur eine Zahl notieren und dabei dann die höhere nehmen. Sieht man innerhalb der Stunde des Projekts etwa zwei Blaumeisen und später noch einmal fünf, so trägt man die höhere Zahl ein, addiert aber nicht einfach beide.
Manche kritisieren Bürgerwissenschaftsprojekte, weil die wissenschaftliche Sorgfalt bei den Mitarbeitenden nicht gewährleistet sei. Wie wird die Qualität der Projekte sichergestellt, bei denen Sie mitmachen?
Es gibt Instruktionen, die zu beachten sind. Und dann werden die Daten allgemein aggregiert und für ganz Deutschland ausgewertet. Beim Aggregieren fallen viele Fehler heraus, etwa das falsche Identifizieren einzelner Vögel. Man kann dann beispielsweise sicherlich sagen – Rotkehlchen gibt es im Westen von Deutschland häufiger. Aber man kann nicht sicher sagen, in Stuttgart gibt es 150 Rotkehlchen.
Sie investieren Arbeit und Zeit in ein solches Projekt. Was erhalten Sie dafür?
Ich erhalte die Ergebnisse der Auswertung, die der Nabu veröffentlicht. Es ist für mich einfach interessant zu erfahren, welche Vögel es, über ganz Deutschland gesehen, so gibt. Und dann ist es das Mitmachen selbst, das Beobachten an sich. Es ist einfach sehr spannend, wenn man sich einmal eine Stunde hinsetzt und bewusst hinsieht: die Amsel sitzt immer in dem Baum, der Vogel aber fliegt immer nur drüber.
Was ist das nächste Citizen-Science-Projekt, an dem Sie teilnehmen werden?
Ich werde auf jeden Fall der Stunde der Gartenvögel treu bleiben. Ob ich das Engagement noch erweitern kann, weiß ich nicht. Es muss ja auch ein Projekt sein, in das man sich sinnvoll einarbeiten kann. Bei anderen Fragestellungen weiß ich nicht, ob ich Laien-Experte genug wäre, um mitzumachen.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
Wissenswertes zu kommunalpolitischen Themen für Sie als Gemeinderat/Gemeinderätin mit einem wöchentlichen Newsletter direkt in Ihr E-Mail-Postfach. Abonnieren Sie jetzt den
Kommunal-Newsletter.