Stockach. „Nehmen Sie das Urteil an?“, will das „Hohe Grobgünstige Narrengericht zu Stocken“ wissen. „Ich nehme das Urteil in Demut an“, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und verneigt sich drei Mal vor dem Konterfei des Erznarren Hans Kunoy. Auf ihn geht die jahrhundertelange Tradition des Stockacher Narrengerichts zurück. Kretschmann leistet den Stockacher Schwur und wird zum krönenden Abschluss zum „Stockacher Laufnarren“ geschlagen. Aber eben erst, nachdem er die Strafe angenommen hat.
Drei Eimer Wein und 200 Liter Bier muss er zahlen, mehr, als Stuttgart21-Schlichter Heiner Geißler im Vorjahr hatte begleichen müssen, bei ihm waren es nur drei Eimer Wein gewesen – ohne Bier. Vor Kretschmann und Geißler saßen unter anderem schon Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Philipp Rösler (FDP) auf der Anklagebank.
Aber zurück zu Kretschmann: Das Narrengericht gibt der Anklage zwar nicht in allen Punkten recht, befindet den Ministerpräsidenten aber beim dritten Klagepunkt sogar für „in verschärfter Form schuldig“, was die rund 1200 Närrinnen und Narren, darunter politische Prominenz wie Landtagspräsident Guido Wolf (CDU), Ex-Sozialminister Andreas Renner (CDU) und Umweltminister Franz Untersteller (Grüne), je nach Gesinnung mit Jubel oder Buh-Rufen kommentieren.
„Wer 11 000 Lehrer entlässt und dafür 500 Steuerprüfer einstellt, der kehrt so manches um“, befindet Richter Frank Bosch. Hierfür verhängt das Narrengericht einen Eimer Wein. Und einen weiteren Eimer gibt’s für „das ganze Thema um die sexuelle Vielfalt.“ Das, sagt der Richer, sei nichts anderes als „Vielweiberei.“ Freigesprochen wird Kretschmann von dem Vorwurf, „maoistische Guerillataktiken“ angewendet zu haben. Diesem Anklagepunkt könne er sich zwar „zum Teil nicht ganz entziehen“, doch für eine Verurteilung reiche es nicht aus. Aktivität könne nicht belegt werden, „und Aktivität war auch nie sein Ziel, weder bei Gruppierungen noch bei den Grünen.“
Einen kompletten Freispruch gibt’s im Anklagepunkt, Kretschmann täusche und flüchte. Kläger Thomas Warndorf wirft ihm unter anderem vor, dass er als Bub aus dem Internat geflohen sei, um das Riedlinger Nachtleben zu genießen. „Wären wir das nicht auch bei so einer Einrichtung?“, bringt Frank Bosch dem heutigen Ministerpräsidenten Verständnis entgegen. Trotzdem bekommt er auch hier einen Eimer Strafe aufgebrummt. „Aber daran“, donnert der Richter, sind Sie gerade selbst schuld. Von „einem der aus Laiz kommt“, müsse man sich nicht sagen lassen, dass Stockach sich am Rande der Zivilisation befindet.
Kretschmann schlägt sich nämlich gut vor dem Narrengericht, teilt aus, lockt die 1200 Narren im Publikum wahlweise zu Jubel- oder Buh-Rufen und foppt kräftig. Von 1805 bis 1810 sei Stockach Württembergisch gewesen, „der Schwabe wird aber erst mit 40 g’scheid, es fehlen euch also 35 Jahre. Domm gloffa.“ Kläger Thomas Warndorf verzieht schmerzlich das Gesicht, hat er doch gewettert: „Dieser maoistische Ökoapostel verfolgt nur ein einziges Ziel: Er will die Ordnung der Natur in ihr Gegenteil verkehren. Haltet ihn auf, legt ihm das Handwerk! Hohes Gericht, rettet unser schönes Bundesland Baden.“ Bruddelnd fügt er – ganz leise – hinzu: „Und meinetwegen auch Württemberg.“
Die Klagerede Warndorfs ist mächtig: Werke der Barmherzigkeit habe der Ministerpräsident nicht getan, „nur eines gestehe ich euch zu, das Werk des Begräbnisses der CDU.“ Kretschmanns habe sich aber „maoistischer Guerillataktiken“ bedient. Dann und wann reißt dem Kläger der Geduldsfaden, etwa als er Kretschmann anfährt. „Herrgott, Herr Beklagter, als Ministerpräsident zitiert man keine Maosprüche.“ Wenn es originell sein solle, zitiere man Manfred Rommel (CDU). Wenn es ordnungspolitisch sein solle, zitiere man Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU). „Und wenn es mal ein guter Witz sein soll, dann zitiert man Stefan Mappus.“
Besonders empört sich der Kläger über die „Umkehrung der Ordnung.“ Jetzt entlässt er die Lehrer die ihn zuvor gewählt haben, um 500 neue Steuerprüfer einzustellen.“ Das führt auch im Publikum zu Buhrufen und Pfiffen. „Der Bekagte will uns enteignen!“, argwöhnt Warndorf. „Für ihn ist der Mensch die Drohne der Schöpfung.“
Kretschmann hält gut dagegen: „Ich befinde mich hier offensichtlich nicht am Tor zum Bodensee, sondern am Tor zur bodenlosen Rechtsverdreherei.“ Und zum Thema Mao sagt Kretchmann: „Ich glaube, Herr Kläger, ihr verwechselt das mit dem Kinderkartenspiel Mau-Mau.“
Fürsprech Michael Nadig springt ihm kräftig zur Seite. Er nennt ihn, einen „braven Mann“, einen „politischen Schaffer“, einen „unaufgeregten Landesvater“, der täglich die Sünder zurechtweise, die „Schwarzkäppchen Hauk, Stobl und den bösen Wolf.“ Und die Lästigen ertrage er „geduldig mit Schmid und Schmiedel.“ Auch seine Fraktionskollegin Renate Künast, unterstützt Kretschmann aus dem Zeugenstand und verspricht außerdem, einen grünen Schal zu stricken, wenn der Narrenrichter seinerseits verspreche, diesen beim Narrengericht im kommenden Jahr zu tragen.
Kretschmann findet ein gutes Schlusswort, das er direkt an die Narren im Saal richtet. „Wollt ihr wirklich so einen wie den Seehofer der im Keller Eisenbahn spielt und täglich drei Mal seine Meinung wechselt?“ In schönster Mundart fügt er hinzu: „Hier vor euch schdood doch en reachter Kerl.“
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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