Rente mit 67 – richtig, aber ergänzungsbedürftig

Autorenbeitrag für den Staatsanzeiger Baden-Württemberg
Friedrich Breyer, Universität Konstanz und DIW Berlin. Foto: Privat

Berlin. Es kam, wie es kommen musste: Nachdem die schwarz-rote Bundesregierung vor der Bundestagswahl 2009 den Riester-Faktor ausgesetzt und zusätzlich die Rentengarantie eingeführt hatte, beginnt sich die SPD nun auch von der „Rente mit 67“ abzuwenden, einem weiteren Eckpfeiler einer langfristigen und nachhaltigen Rentenpolitik in Deutschland. Am vergangenen Wochenende hat sich der Parteitag für eine Verschiebung des Übergangsstarts auf 2015 ausgesprochen, jedoch weiß jeder, dass damit eigentlich der St. Nimmerleinstag gemeint ist. Auch die Bedingung, erst müssten 50% der 60-64jährigen arbeiten, verkennt Ursache und Wirkung: Damit die Menschen länger arbeiten, müssen die rentenrechtlichen Anreize verändert werden.

Rentenpolitik der spd wird zunächst auf 2015 vertagt

Parteivize Wowereit ging im August noch weiter und bezeichnete die „Rente mit 67“ als „versicherungsmathematischen Unsinn“. Für die Rentenkassen sei viel mehr erreicht, wenn das reale durchschnittliche Rentenalter näher an 65 heranrücke. Diese Einschätzung kann nur bedeuten, dass er entweder die Rentenformel nicht kennt, was man kaum glauben mag, oder seine Wähler bewusst in die Irre führt. Denn seit Beginn des Jahrtausends wird ein Renteneintritt vor dem gesetzlichen Rentenalter von 65 Jahren mit Abschlägen bei der Rentenhöhe um 3,6 Prozent pro Jahr „bestraft“. Der Wert ist so berechnet, dass es der Rentenversicherung und damit den Beitragszahlern gleichgültig ist, ob ein Versicherter mit 60 oder 65 oder irgendwann dazwischen in die Rente eintritt; die längere Bezugsdauer wird durch die niedrigere Rente in etwa ausgeglichen. Folglich hat ein Anstieg des tatsächlichen mittleren Renteneintrittsalters keine entlastende Wirkung mehr auf die Rentenkassen, denn längere Arbeitszeit heißt geringere Abschläge, also höhere Renten.

„Rentenkasse wird durch Rente mit 67 erheblich entlastet“

Im Unterschied dazu macht sich natürlich die vom Gesetz vorgesehene schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze von derzeit 65 Jahren auf 66 im Jahr 2024 und auf 67 im Jahr 2031 (!) entlastend auf die Rentenkasse bemerkbar. Denn wer z.B. im Jahr 2031 mit 65 aufhört zu arbeiten, muss Abschläge von 7,2 Prozent in Kauf nehmen, während ein 65jähriger, der heute ins Rentenalter eintritt, seine Rente abschlagsfrei erhält. Insofern hat Parteichef Gabriel Recht, wenn er die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters eine indirekte Rentenkürzung nennt. Genau das war bezweckt. Angesichts der ständig steigenden Lebenserwartung müssen wir alle länger arbeiten oder mit geringeren Renten auskommen. Keine Partei, auch nicht die SPD, kann per Parteitagsbeschluss erreichen, dass ab morgen zwei plus zwei fünf ergibt.

Wowereit argumentiert weiter, die „Rente mit 67“ werde die Rentenkassen gar nicht entlasten, weil schon aus gesundheitlichen Gründen so viele Ausnahmetatbestände geschaffen werden müssten, dass am Ende gar kein finanzieller Effekt übrig bleiben werde. Er verschweigt, dass es bereits eine Ausnahme gibt: wer 45 Beitragsjahre beisammen hat, darf weiterhin mit 65 ohne Abschläge in Rente gehen. Die Einführung weiterer Ausnahmen wäre jedoch mit Sicherheit ein Holzweg, weil dann ein Wettlauf der Interessengruppen losginge, wer eine bessere Regelung für seine Klientel herausschlägt.

„Geringverdiener würden dabei schlechter wegkommen“

Richtig an der ganzen Debatte ist eines: In der deutschen Rentenversicherung herrscht schon lange eine soziale Schieflage. Wie erst kürzlich wieder durch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin bestätigt wurde (F. Breyer und J. Marcus, Income and Longevity Revisited: Do High-Earning Women Live Longer? DIW Discussion Paper No. 1037, Juli 2010), haben Besserverdienende eine erheblich längere Lebenserwartung als Geringverdiener. Unter den rentenversicherten Männern leben die 10 Prozent mit den höchsten Renten im Schnitt 6 Jahre länger als die 10 Prozent mit den niedrigsten Renten, bei den lang-jährig erwerbstätigen Frauen beträgt der Unterschied knapp 5 Jahre. Anders als offiziell behauptet, verteilt also unser gutes altes Bismarcksches Rentensystem Geld um, und zwar von Arm zu Reich. Wer während seines Erwerbslebens immer zweimal so viel verdient hat wie sein Nachbar und deswegen auch zweimal so viel an Beiträgen in die Rentenkasse eingezahlt hat, erhält auch eine zweimal so hohe Rente – Monat für Monat. Zusätzlich lebt er aber – statistisch gesehen – mehrere Jahre länger und erhält dadurch insgesamt weit mehr als das Zweifache aus der Rentenkasse wie sein ärmerer Nachbar.

Kommt hierzu noch eine Anhebung des Rentenalters hinzu, so werden Geringverdiener überproportional belastet, weil sie ohnehin im Durchschnitt einen kürzeren Lebensabend genießen können, der nun noch weiter verkürzt wird. Wenn sie aber vorzeitig in Rente gehen, müssen sie Abschläge von der Rentenhöhe in Kauf nehmen und laufen sogar Gefahr, in die Altersarmut abzugleiten.

„Für den sozialen Ausgleich gibt es bessere Lösungen“

Für diese soziale Schieflage gibt es aber eine bessere Lösung als eine Aufweichung des gesetzlichen Rentenalters. Vielmehr könnte die deutsche Rentenformel insgesamt so geändert werden, dass sie der Formel in anderen Ländern, u.a. der Schweiz und den USA ähnelt. In beiden Ländern, die nicht der sozialistischen Gleichmacherei verdächtig sind, erhält ein Geringverdiener einen höheren Prozentsatz seines früheren Arbeitseinkommens als Rente ausgezahlt als ein Besserverdiener, die Rentenformel ist „degressiv“. Wollte man die deutsche Rentenformel so abändern, dass die Unterschiede in der Rentenbezugsdauer zwischen Arm und Reich in etwa kompensiert werden, so würden sich kleine Renten fast verdoppeln, während die Rentenhöhen am oberen Ende um ein Viertel sinken würden (vgl. F. Breyer und S. Hupfeld, Fairness of Public Pensions and Old-Age Poverty, FinanzArchiv 65, 2009, S.358-380).

Natürlich kann man eine solche Umstellung auf eine neue Rentenformel nicht von heute auf morgen vornehmen, denn es gilt für langjährige Beitragszahler der Vertrauensschutz. Ein langfristig angelegter und gleitender Übergang, der sich auf mehrere Jahrzehnte erstreckt, parallel zum Übergang auf die „Rente mit 67“, ließe sich aber durchaus bewerkstelligen. Mit einem solchen Übergang würde die Regierung sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie würde es Arbeitnehmern mit unterdurchschnittlichem Lohn erleichtern, vorzeitig in Rente zu gehen, weil die Abschläge dann besser verkraftbar wären. Damit wäre den Gegnern der Rente mit 67 der Wind aus den Segeln genommen. Zusätzlich wäre es ein großer Schritt zur Bekämpfung der Altersarmut, die ansonsten in den nächsten Jahrzehnten anzuschwellen droht.

Politisch käme ein weiterer unschätzbarer Vorteil hinzu: Die Regierenden würden Standfestigkeit beweisen, indem sie an einer langfristig richtigen und notwendigen Reform festhalten, und sie könnten sich dem Druck der Lobbyisten entziehen.

 

Zur Person
Friedrich Breyer, geboren 1950, hat seit 1992 einen Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Universität Konstanz inne und ist zugleich Forschungsprofessor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. Seit 2000 ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Seine Forschungsgebiete umfassen den gesamten Bereich der Sozialen Sicherung, vor allem die Renten- und die Krankenversicherung. In der 2008 von ihm mitbegründeten Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie ist er stellvertretender Vorsitzender.


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