"Man braucht klare Ziele"

29.08.2012 
Redaktion
 
Ein Bürgermeister zeigt seine Stadt
Fotos: Stadt Neuenstadt am Kocher

Fotos: Stadt Neuenstadt am Kocher, Archiv

Neuenstadt am Kocher. „In ein freundliches Städtchen tret´ ich ein,  in den Straßen liegt roter Abendschein. …“, schrieb einst Eduard Mörike über den Ort, in dessen Nähe er jahrelang als Pfarrer wirkte. Die Anfangszeilen dieses Gedichts dienen derzeit als Inspiration und Motto für die Umgestaltung des Ortszentrums von Neuenstadt am Kocher, dem namensgleichen Hauptort der 10 000-Einwohner-Gemeinde nördlich von Heilbronn.

Seit Herbst vergangenen Jahres ist der Weg dafür frei: Durch eine Umgehungsstraße wird seit November 2011 Neuenstadt vom Durchgangsverkehr entlastet: Bisher war die Hauptstraße des Orts, sieben Meter breit, zugleich Landesstraße und ein Verkehrsknoten in der Region: über 10 000 Autos sind hier Tag für Tag durchgefahren.

Nach Ostern rückten die Bagger an; die Arbeiten an der Umgestaltung der Innenstadt haben begonnen. „Eine riesige historische Chance“, so meint Bürgermeister Norbert Heuser (parteilos), die die Gemeinde wohl vorbereitet wahrnehme.

Seit  Jahren wurde ein Leitplan Stadtbild vorbereitet,  die Bürgerschaft einbezogen. Rund 500 Personen haben sich gemeldet und eine breite Palette von Vorschlägen unterbreitet: Einbahnstraße, Fußgängerzone, alles so belassen – „durchaus heterogene Vorstellungen, wie das eben so ist in einer Kommune“, meint der Rathauschef schmunzelnd.  

Stadtmarketingverein soll Umgestaltung des Ortszentrums vorantreiben

Nun soll die Innenstadt, die Ende des 2. Weltkriegs zu 80 Prozent zerstört worden war und bloß noch wenige historische Fachwerkhäuser aufweist, barrierefrei und familiengerecht, und auch das Wohnen dort attraktiver werden. Die freundliche Atmosphäre, die Mörike einst lobte, soll durch die Umgestaltung erneut geschaffen und hervorgehoben werden: durch Art und Helligkeit des Materials und gesteigerte Aufenthaltsqualität. „Wobei es ein Spagat sein wird, und fast die Quadratur des Kreises, wenn sie weiterhin mit dem Auto hineinfahren sollen und dürfen, um dem Einzelhandel eine bestmögliche Ausgangslage zu bieten“, erläutert Heuser. „Aufenthaltsqualität für Fußgänger plus Pkw-Freundlichkeit - das wird schon ein Kraftakt“.

Die Gemeindeverwaltung hofft, zwei  Lebensmittelmärkte ansiedeln zu können. Zwischen diesen soll ein zentrales Parkhaus, kostenfreies Parken ermöglichen. So soll auch der Einzelhandel im Ort Auftrieb bekommen. Es sei vorgesehen, erst die  Innenstadt umzugestalten und dann für die Gebäude im Umkreis Nutzungskonzepte zu erstellen. „Da müssen wir einfach enger gemeinsam auftreten“, sagt Heuser und setzt viele Hoffnungen auf den im Frühjahr gegründeten Stadtmarketing-Verein „Wir von Neuenstadt“. „Nie ungeduldig werden“, so umreißt Heuser das Erfolgsgeheimnis für Veränderungen in einer Gemeinde: „Man braucht klare Ziele, darf aber nicht glauben, dass man sie in einem Jahr erreicht hat.“  

Starkes Zusammengehörigkeitsgefühl trotz unterschiedlicher Vorgeschichte

Im Übrigen hat sich schon viel getan, seit im Zuge der Gemeindereform Anfang der 1970er-Jahre Neuenstadt am Kocher in seiner heutigen Form als Kommune mit insgesamt fünf Teilorten entstand, die räumlich teilweise deutlich vom Hauptort geschieden sind: „Fünf mal eins gleich eins“ lautet die Losung, gleichsam die Neuenstädter Fassung von Einheit in Vielfalt. Bringen Bürg, Cleversulzbach, Kochertürn und Stein am Kocher – sowie Neuenstadt am Kocher selbst - doch aufgrund  mitunter Jahrhunderte lang sehr verschiedener territorialer sowie konfessioneller Zugehörigkeit sehr unterschiedliche und eigenständige Identitäten in die Gesamtgemeinde ein.

 „Jeder Ort hat seine Besonderheiten, aber wir ziehen zusammen an einem Strang“, erläutert Heuser und belegt das mit dem Verhalten der Bürger nach einem lokalen Unwetter, das vor drei Jahren besonders in Stein am Kocher innerhalb von Minuten Verwüstungen anrichtete. „Da war eine Solidargemeinschaft zu spüren, man hat sich sofort geholfen.“ Innerhalb von acht Wochen seien 60 000 Euro an privaten Spenden gesammelt worden. Es wird Wert darauf gelegt, dass gleiche Lebensverhältnisse in allen Stadtteilen herrschen. So hat die Gemeinde 250 000 Euro in die Hand genommen, damit Cleversulzbach kurz vor Weihnachten 2011 endlich ans IT-Netz angeschlossen werden konnte: „Das war auch ein steiniger Weg“, meint Heuser.  

Bildung wurde schon früh als Schwerpunktaufgabe gesehen

Hohe Priorität genoss in der neu konstituierten Gemeinde von Anfang an die Bildung, wie Heuser sagt: „Wir haben sehr konsequent das Thema Bildung und Betreuung aufgegriffen, das war schon seit Jahrzehnten so.“ Neuenstadt ist Anziehungszentrum und Ausbildungszentrum für den Umkreis, wie schon die hohe Zahl von 2100 Schüler bei 10 000 Einwohnern erkennen lässt. Der Grundstein dafür wurde 1972 gelegt. Damals gründeten drei Kommunen – Neuenstadt, Langenbrettach und Hardthausen am Kocher - zusammen über den Schulentwicklungsplan, eine gemeinsame Schule: die Helmbund-Schule, benannt nach der Vorgängersiedlung von Neuenstadt aus der Karolingerzeit. Sie ist eine Verbundschule mit einer Besonderheit: nicht nur die Hauptschule wurde in sie integriert, sondern auch die Realschule. Zu Spitzenzeiten hatte sie laut sieben Züge und mehr als 1100 Schüler.  Derzeit ist sie eine Werkrealschule mit Realschule.

Für den Bürgermeister ist die Helmbundschule „ein Paradebeispiel, wie man es machen kann und vor 40 Jahren schon getan hat - da hätten wir heute viele Diskussionen wie die über das Hauptschulsterben gar nicht“. Bürgermeister Heuser zufolge wurden allein in den vergangenen sieben Jahren 18 Millionen Euro in die Schulen investiert. Darunter allein sechs Millionen in das Gymnasium, dessen Schülerzahl sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt hat, wie der Rathauschef zufrieden feststellt: „Bildung war unser Schwerpunkt,  weil wir das als die zentrale Aufgabe für die Zukunftsfähigkeit einer Kommune gesehen haben – lange bevor es zum Modethema wurde.“  

Auch bei anderen Entwicklungen war die Gemeinde frühzeitig dabei:  Beide Grundschulen im Ort verfügen über Ganztagesangebote; bei der Betreuung der Kleinkinder kann sich das Angebot ebenfalls sehen lassen; ferner ist bei den Kinderkrippen der sukzessive Ausbau geplant und soll die Zahl der Plätze bis ins Jahr 2013 nochmals verdoppelt werden, dann werden 60 Plätze für Kinder unter 3 Jahren zur Verfügung stehen.  

Bei dieser Prioritätensetzung musste und muss dafür anderes zurückstehen. Auch solches, was besonders Kinder nicht bloß in den Sommerferien und bei heißen Temperaturen wie derzeit sicherlich begrüßen und nutzen würden: „Wir haben einiges nicht, das man gerne hätte: wir haben kein Freibad, haben kein Hallenbad“, sagt Heuser.  

Gewerbepark wurde, nach Anlaufschwierigkeiten, zur Erfolgsgeschichte

Was die Wirtschaft gerne hat, ist freilich zu finden in Neuenstadt: Hier hat man ebenfalls eng mit den beiden benachbarten Kommunen Langenbrettach und Hardthausen zusammen gearbeitet und den Gewerbeindustriepark Unteres Kochertal aufgebaut. Seine Geschichte zeigt, dass mitunter langer Atem nötig ist, ehe sich der Erfolg einstellt: „Bis vor sechs Jahren war nur ein Grundstück verkauft, 29 Hektar waren unbebaut“, sagt Bürgermeister Heuser.

Doch das hat sich radikal geändert: Mittlerweile sind über 20 Firmen aus zehn Branchen hier ansässig - 1500 Arbeitsplätze sind entstanden; „Eine Super-Diversifikation“, meint Heuser: „Es hat sich ein schöner Branchenmix entwickelt“. Ingesamt hätten Bestandsfirmen und die Firmen im Gewerbepark in vergangenen fünf Jahren über 200 Millionen Euro am Standort Neuenstadt am Kocher investiert, also gut 20 000 Euro je Einwohner.  

Alles wird freilich der Wirtschaftsfreundlichkeit nicht untergeordnet: Heuser zufolge gelte es künftig „behutsam zu schauen, wirklich behutsam, wie die Investitionsfreundlichkeit zu erhalten ist“. Denn, so der Bürgermeister weiter, „Natur und Landschaft sind auch ein Plus im Kochertal, das es für die kommenden Generationen zu bewahren gilt“. Entsprechend erfreut ist er, dass 2010 eine Kehrtwende geschafft wurde: erstmals war ein Zuwachs an Einwohnern nicht gleichbedeutend mit dem Anstieg der Zahl an Auspendlern war: „Das heißt, wir haben mehr wohnortsnahe Arbeitsplätze“, für die Zukunft der Stadt sei dies unter dem Aspekt der  Lebensqualität sehr wichtig.

Dabei hält sich die Gemeinde mit der Ausweisung neuer Wohngebiete schon seit längerem zurück. „Seit neun Jahren haben wir, fast schon landespolitisch mustergültig, gesagt: wir wollen keine neuen Wohnbaugebiete mehr“, berichtet Heuser: „Und das, obwohl wir stark nachgefragt werden.“ Dennoch habe die Gemeinde keine Einwohner verloren; im Gegenteil.

Ein Schafstall als Ausstellungsgebäude

Die Kultur kommt ebenfalls nicht zu kurz. Neben einem kleinen Mörike-Museum in Cleversulzbach, wo Eduard Mörike von 1834 bis 1843 Pfarrer war, gibt es in Neuenstadt bereits ein „Kleinod, wie es wirklich selten ist in Baden-Württemberg“, meint Heuser: nämlich das Ausstellungsgebäude„Schafstall“, wie es nach seiner ehemaligen Funktion heißt. Hier sind kleine Dauerausstellungen zu den Herzögen von Württemberg und  Mörike zu findden, der meiste Raum aber ist für  Sonderausstellungen reserviert. Besonders erfolgreich war eine Bernstein-Ausstellung, die  rund 30 000 Besucher anlockte.

Doch dabei soll es nicht bleiben: „Was auf jeden Fall noch ansteht in den nächsten Jahren ist eine Kulturhalle, die wir uns leisten können“, sagt der Bürgermeister. Damit trage man auch dem regen Vereinsleben Rechnung. Die seit mehr als 50 Jahren veranstalteten Freilichtspiele nahe dem Renaissanceschloss und dem Oberren Torturm, einem weithin sichtbaren Wahrzeichen Neuenstadts, haben mit ihrem „ambitionierten Amateurtheater mit Herzblut“, so Heuser,  insgesamt mehr als 700 000 Besucher angezogen: „Das heißt, wir haben auch das Potenzial, haben das Personal und die Vereine, die so eine Einrichtung, die künftige Kulturhalle, mit Leben füllen können.“  

Feiern mit Adventurelauf und Hammeltanz

In den nächsten Wochen bekommen die rund 60 Vereine Neuenstadts auf anderem Gebiet Gelegenheit, ihre Schlagkraft und Organisationstalent unter Beweis zu stellen, zusammen mit Bürgerschaft, Kirchengemeinde und Feuerwehren: Denn gleich zwei große Feste stehen an. Zunächst vom 7.-9 September, zum 60 Mal ausgerichtet,  die Kirchweih in Neuenstadt. Dort wird es einen Mittelaltermarkt geben. Beim Motorman-Run können Läufer ihre Geschicklichkeit auf einem Hindernisparcours durch die Stadt und entlang der Flusswiesen beweisen.

Höhepunkt ist schließlich der traditionellen Hammeltanz: Nach diesem kann das Siegerpaar als Preis zwischen einem Geldbetrag und einem Hammel wählen. Und eine Woche später feiert die Weinbaugemeinde Cleversulzbach – bei Sammlern auch für Antiquitätengeschäfte mit Schwerpunkt auf englischem Tafelsilber und Möbeln überregional bekannt – ausgiebig ihren 750. Geburtstag: gleich vier Tage lang, vom 14.-17. September.          


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