Leonberg. Es ist 20 Minuten vor zwölf Uhr. Trotz klirrender Kälte steht eine Handvoll Menschen vor der geschlossenen Glastür des Leonberger Tafelladens in der Wilhelmstraße 39 im Leonberger Stadtteil Eltingen. Und es werden minütlich mehr. Drinnen füllen sich derweil die Regale. Sechs Frauen und drei Männer helfen an diesem Morgen ehrenamtlich und sortieren die kurz zuvor angekommenen Lebensmittel. Sie werden mit neuen Preisschildern versehen und in die entsprechenden Regale und Kühltheken eingeräumt. Die Preise – unschlagbar günstig. Denn selbst die Sonderpreise der Lebensmittelgroßketten werden deutlich unterboten: Ein Kilogramm Mehl kosten 20 Cent und 200 Gramm Bierwurst kosten statt 32 Cent bloß 10 Cent.
„Wir nehmen nur etwa ein Drittel des letzten Verkaufspreises“, erklärt Andrea Scharein, Leiterin des Leonberger Tafelladens. Das sei keine Vorgabe, aber eine Orientierungshilfe durch den Bundesverband Deutsche Tafel in Berlin. Die Leonberger Tafel ist eine von über 870 Tafeln in Deutschland, die mehr als 2000 Ausgabestellen betreiben. Und wie nötig die Tafelläden für viele Menschen sind, beweist die inzwischen stetig angewachsene Menge der Wartenden vor der Ladentüre. Rund 700 Menschen haben in Leonberg durch den Nachweis eines geringen Einkommens einen Tafelausweis erhalten. Als es schließlich zwölf Uhr ist, entsteht Anspannung. Jeder möchte der erste im Geschäft sein, um das begrenzte Einkaufsangebot zu nutzen. Doch spürbar ist auch ein rücksichtsvoller Umgang. Denn der älteste Tafelkunde kommt auf Krücken. Er darf an allen vorbei und als erstes, noch vor allen anderen, ins Geschäft. Auch wenn an deren Gesichtern Ungeduld zu erkennen ist und er im Geschäft schnell überholt ist.
„Rangeleien, Rempeleien und so etwas dulden wir nicht“, erklärt Scharein. Nummernlose lehnt die Sozialpädagogin ab, daher wurde das Gerät mit ihrem Amtsantritt abgebaut. „Das hat etwas mit gegenseitigem Respekt zu tun. Wir mussten anfangs mehrmals zuerst raus und eine kleine Rede halten, aber inzwischen klappt das wirklich gut. Und wenn es jemand übertreibt, dann suche ich das persönliche Gespräch“, sagt sie. Das drastischste Mittel, den Hausverweis, musste sie bisher noch nie aussprechen.
Ein solches Ladenverbot wäre für viele der Kunden auch verheerend. Sie sind seit der Gründung der ersten Tafel in Deutschland vor 17 Jahren in Berlin auf dieses Einkaufsangebot angewiesen. Denn mit dem Regelsatz für Lebensmittel von 129,50 Euro im Monat kommen die wenigsten aus. Um im Tafelladen einkaufen zu können, müssen sie nachweisen, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. „Schulden zählen bei uns nicht als Bedürftigkeit“, betont Scharein. Der einfachste Nachweis sei der Arbeitslosengeld II-Bescheid. Andere bringen ihren Rentenbescheid mit Mietnachweis oder ähnliches mit. „Wir wollen da so unbürokratisch wie möglich sein. Die Hemmschwelle zu uns zu kommen, ist bei den meisten ohnehin schon hoch genug.“ So mancher Kunde kommt auch mit einem Einkaufsgutschein in Höhe von 2,50 Euro. Sie werden von Stadtverwaltung, Kirchengemeinde oder Diakonie an die Bedürftigen verschenkt.
Die Tafel ist aber kein Tischleindeckdich, kein neues Schlaraffenland und sie will auch kein Vollversorger für ihre Kunden sein. Die angebotenen Waren sind begrenzt, manche Dinge gibt es einfach nicht, etwa frische Milch, Butter, Eier, Joghurt oder Babynahrung. Und die Lebensmittel kommen aus vielen „gebenden Händen“: Da sind zum einen die Lebensmitteldiscounter, die die Tafeln als „Entsorger“ für Produkte mit nahendem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatum nutzen. Das Angebot im Tafelladen ist davon bestimmt, was Einzelhandels-Ketten wie Lidl, Netto, Edeka, Rewe oder Handelshof wegwerfen.Was der Kunde im Lebensmittelgeschäft verschmäht, weil der Salatkopf nicht mehr so „knackig frisch“ aussieht, wandert in die Kiste, die von Ehrenamtlichen mit dem Tafelmobil abgeholt werden.
Nach der morgendlichen Tour wird die „Beute“ gesichtet und bis zur Öffnung ausgezeichnet. „Wir unterliegen wie jeder andere Betrieb den Hygienevorschriften, Kennzeichnungsverordnung und vielem mehr“, sagt Scharein. Bei verderblicher Ware würden auch Stichproben durch die Tafelmitarbeiter gemacht. Im Zweifel lande manches auf dem Müll. So mancher Lebensmittelhändler spart durch die Wiederverwertung dank der Tafel hohe Müllgebühren. Und die Bedürftigen profitieren durch ein günstiges Angebot, das auch mal Schnittrosen oder frische Kräuter im Topf aufweisen kann. Bäckereien überlassen der Tafel ihre abends nicht verkaufte Ware und Obst und Gemüse sind stets gefragt.
Immer umlagert ist der Stand mit Backwaren. Neben Brotlaiben sind süße Stückchen, Brezeln und Brötchen gefragt. Der Einkaufswagen so manchen Kunden ist schnell randvoll: Mehl, Salz, Zucker, Spaghetti und vieles mehr türmen sich. „Weihnachten ist Backzeit“, erklärt der Kunde. Seit einem Jahr sei der gelernte Karosserieschlosser arbeitslos. Weil er mehrere Bandscheibenvorfälle hatte, kann er nicht lange stehen und sei daher auch schwer vermittelbar. Ein Ende seiner Situation sei nicht in Sicht. „Bei uns gibt es oft Pizza“, erklärt er. Seine Frau backe für die Kinder und diese seien inzwischen gewöhnt, dass nicht eingekauft werde wie bei anderen Familien.
Die Leonberger Tafel trägt sich. Mit dem eingenommenen Geld, privaten Zuwendungen und Spenden sei das Angebot gesichert, erklärt Andrea Scharein. Hunderte Paar Damenschuhe, die Spende einer Renninger Schuhhändlerin, die ihr Geschäft aufgab, waren ein einmaliges Sonderangebot der vergangenen Monate. Für vier Euro gingen die neuwertigen Schuhe über den Ladentisch. Ob die Kunden da nicht den Bezug zu den üblichen Preisen verlieren? „Nein, unsere Kunden wissen sehr gut, was die Dinge im Einzelhandel kosten“, sagt sie. Und zufrieden sind sie auch. Zumindest ihre strahlenden Gesichter beim Verlassen sprechen Bände.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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