Bundesregierung will Gesetz zu Berufskrankheiten modernisieren

20.02.2020 
Redaktion
 
Ein Bauarbeiter in Sicherheitskleidung arbeitet in gebückter Haltung, um einen Gehweg zu pflastern.

Foto: Leja

BERLIN/STUTTGART. Seit Herbst 2019 treibt das Bundesarbeitsministerium einen Gesetzentwurf zu Berufskrankheiten voran. Der im Dezember veröffentlichte Entwurf orientiert sich stark am 2016 erarbeiteten Weißbuch der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Berufsgenossenschaften und Unfallkassen hatten sich darin auf Vorschläge für ein modernes Berufskrankheitenrecht geeinigt.

Welche Änderungen der Gesetzentwurf vorsieht

  • Unterlassungszwang fällt weg

    Bisher mussten Arbeitnehmer bei neun von 80 Berufskrankheiten, ihre Tätigkeit aufgeben, um die Erkrankung anerkennen zu lassen. Leidet beispielsweise ein Bauarbeiter an einer Wirbelsäulenerkrankung, weil er im Beruf schwer heben muss, kann er dies erst als Berufskrankheit anerkennen lassen, wenn er die Tätigkeit aufgibt. Bisher gilt das auch dann, wenn der Arbeitgeber Präventionsmaßnahmen anbietet und der Mitarbeiter weiter seinen Beruf ausüben will.

    In Zukunft soll für alle Berufskrankheiten gelten, dass Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit mit Berufskrankheit fortführen wollen, von ihrer Versicherung zu Risiken aufgeklärt werden. Außerdem sollen die Versicherungen präventiv Schulungen und Beratungen zum Verhalten am Arbeitsplatz anbieten. Diese sind für den Arbeitnehmer verpflichtend. Das Bundesarbeitsministerium rechnet durch die Prävention langfristig mit Einsparungen von 20 bis 40 Millionen Euro jährlich.

  • Ärztlicher Sachverständigenbeirat wird verankert

    Welche Erkrankungen als Berufskrankheiten anerkannt werden, entscheidet die Bundesregierung. Das damit befasste Bundesarbeitsministerium lässt sich von einem Ärztlichen Sachverständigenbeirat beraten. Dieses ehrenamtliche Gremium ist bisher nicht rechtlich verankert und seine Aufgaben sind nicht klar geregelt.

    Der Gesetzentwurf sieht vor, dass für den Beirat eine Geschäftsstelle bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eingerichtet wird. Diese soll personell so ausgestattet werden, dass sie wissenschaftliche Vorarbeit leisten kann. So soll der Entscheidungsprozess über eine Krankheit, der bisher mehrere Jahre bis über ein Jahrzehnt beansprucht, verkürzt werden. Außerdem soll geregelt werden, wer Teil des Beirats ist und wie oft dieser zusammenkommt.

  • Einheitliche Regeln für die Anerkennung von Bestandsfällen

    Erkannte die Bundesregierung eine Erkrankung neu als Berufskrankheit an, legte bisher der Verordnungsgeber fest, wie mit Bestandsfällen umgegangen wird. Dabei geht es um Menschen, die bereits an der Erkrankung leiden, diese aber bisher nicht als Berufskrankheit anerkennen lassen konnten. Teilweise wurden alle Bestandsfälle berücksichtigt, teilweise nur die nach einem bestimmten Stichtag. Nun soll die Anerkennung von Bestandsfällen vereinheitlicht werden.

  • Leichterer Nachweis von Berufskrankheiten

    Da sich viele Berufskrankheiten erst nach Jahren zeigen, fällt es Unfallversicherungsträgern mitunter schwer festzustellen, welche schädigenden Einwirkungen zur Krankheit geführt haben. Teilweise arbeitet die Person nicht mehr bei dem betreffenden Arbeitgeber oder das Unternehmen existiert gar nicht mehr.

    Schon heute wenden daher viele Versicherungsträger mit Gefährdungs- oder Arbeitsplatzkataster an. Diese erfassen durch den Vergleich mit ähnlichen Arbeitsplätzen, systematisch, welche Schädigungen unter bestimmten Arbeitsbedingungen möglich sind. Der Gesetzentwurf sieht nun vor, dass solche Erkenntnisse einbezogen werden müssen und dass Kataster ausgebaut werden.

  • Berichte über Forschung zu Berufskrankheiten

    Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben schon jetzt den Auftrag, Berufskrankheiten weiter zu erforschen. Durch eigene Forschung oder indem sie fremde Forschungsprojekte unterstützen. Um diese Forschung transparenter zu machen und Anreize zu setzen, soll nun jährlich ein gemeinsamer Forschungsbericht der Versicherungen entstehen.

Bundesrat Sieht kritische Punkte

Für den Bundesrat liegt der Fokus bei den neu geplanten Präventionsmaßnahmen, die den Unterlassungszwang ersetzen, zu stark auf dem Arbeitnehmer. Dabei sei der Arbeitgeber dafür zuständig, für Arbeitsbedingungen zu sorgen, bei denen Berufskrankheiten gar nicht erst entstehen.

Der Änderungsantrag des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht daher vor, dass die Versicherungen den Arbeitgeber dazu anhalten, Mitarbeitern mit Berufskrankheiten vorbeugende Maßnahmen zu ermöglichen. Die Arbeitnehmer sollen mitbestimmen können, welche Maßnahmen vereinbart werden.

Außerdem sieht der Bundesrat vor, dass im Sinne des Arbeitnehmers entschieden wird, wenn der Nachweis, unter welchen Bedingungen er gearbeitet hat, nicht mehr möglich ist. Zum Beispiel wenn der Betrieb nicht mehr existiert.

Eine Härtefallregelung soll laut Bundesrat für Einzelfallgerechtigkeit sorgen. Dabei geht es um Krankheiten, die im Beruf entstehen, aber nicht allgemein als Berufskrankheit anerkannt werden können, da die Fallzahl zu klein ist. Auch für Arbeitnehmer mit solchen Erkrankungen soll eine Anerkennung zukünftig möglich sein.

Arbeitgebern ist Gesetzentwurf zu teuer

Diesen Vorschlag unterstützt auch die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau). Auch der Wegfall des Unterlassungszwangs sei eine bedeutende Verbesserung für die Versicherten im Baugewerbe. Sie stünden damit bei einer entsprechenden Erkrankung nicht mehr vor der Frage, wie es beruflich weitergehen soll, sagt Mathias Neuser, Fachreferent der IG Bau.

Die Gewerkschaft hätte sich für das neue Berufskrankheitsrecht zudem eine Umkehr der Beweislast gewünscht. Doch sowohl der Gesetzentwurf der Bundesregierung, als auch der Änderungsantrag des Bundesrats sehen weiterhin vor, dass Arbeitnehmer der Versicherung beweisen müssen, dass sie an einer Berufskrankheit leiden.

Für den Verband Arbeitgeber Baden-Württemberg liegt der Hauptkritikpunkt bei den Kosten: Die jährlichen Mehrkosten schätzt das Bundesarbeitsministerium im Entwurf auf 4,6 Millionen Euro jährlich. Bis 2060 sollen sie auf 60 Millionen Euro jährlich ansteigen. "Das ist für die Arbeitgeber, die die alleinigen Finanziers der Unfallversicherung sind, inakzeptabel", so Karoline Bauer, Geschäftsführerin Arbeitsrecht und Soziale Sicherung beim Arbeitgeberverband.

Durch die geplanten Präventionsmaßnahmen für Arbeitnehmer mit Berufskrankheit rechnet das Bundesarbeitsministerium jedoch auch mit Minderausgaben im niedrigen einstelligen Millionenbereich. Langfristig sollen 20 bis 40 Millionen Euro jährlich eingespart werden.

Für gesundheitliche Schäden im Beruf haftet die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) stellvertretend für die Arbeitgeber. Diese finanzieren die DGUV durch Beträge. Träger der Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften und die Unfallkassen. Im Fall einer Berufskrankheit übernimmt die DGUV die Kosten für die Heilbehandlung und die berufliche Wiedereingliederung. Bei bleibenden Schäden zahlt die Versicherung eine Rente, im Todesfall auch an die Hinterbliebenen.

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