Das richtige A und die orange gelbe Rübe

25.01.2011 
Redaktion
 
Was passiert, wenn ein kleines Mädchen mit türkischen Wurzeln Deutsch lernt
Julika (links) bringt Eda spielerisch Deutsch bei. Foto: sab

Ludwigsburg. „Du bist dran.“ Eda tritt mit ihren fünf Jahren ziemlich selbstsicher auf. Sie weiß, was sie will. Und in diesem Fall ist ihr Julika zu langsam. Die 15-Jährige überlegt nämlich einen Moment, als sie an der Reihe ist. „Schloss Silbenstein“ heißt das Spiel, dem sich die beiden Mädchen widmen.

Nach Angaben des Herstellers fördert es „Sprachentwicklung, Artikulation und Kreativität“. Beim Versuch, den Thron des Silbenkönigs zu erreichen, sind verschiedene Fragen zu beantworten. Die Antworten müssen eine bestimmte Anzahl an Silben aufweisen. „Gewonnen, schon wieder“, vermeldet Eda kurz darauf. Julika freut sich mit der quirligen Fünfjährigen über deren Spaß – und die Fortschritte, die sie macht.

Das gemeinsame Spielen ist Teil des Projekts „JuKi“ – der Name steht für „Jugendliche für Kinder“. Elf Jugendliche zwischen 11 und 15 Jahren kümmern sich derzeit unter anderem mit Patenschaften um Kinder mit Migrationshintergrund. Ihr Ziel sind „gleiche Bildungschancen für alle Kinder von Anfang an, unabhängig von ihrer Nationalität und sozialen Herkunft“, wie es im Info-Flyer des Projekts heißt.

Die Idee hatte Julika Pfeiffer im Oktober 2006. Da war die Gymnasiastin aus Bietigheim-Bissingen gerade einmal elf Jahre alt. Sensibilisiert durch ihre Mutter Angelika Pfeiffer, die als Sozialpädagogin für die Stadt Ludwigsburg arbeitet, wurde Julika auf die Probleme anderer Kinder aufmerksam. Kurzerhand stellte sie dieses ehrenamtliche Projekt auf die Beine. Ursprünglich gedacht, um sich mit einer Klassenkameradin als Juniorbotschafter bei Unicef zu bewerben, entwickelte es sich zum Selbstläufer, für das Julika weitere Mitschüler begeistern konnte. Regelmäßig wird deren Engagement mit Auszeichnungen gewürdigt – so wie jetzt beim Wettbewerb "Preis Soziale Stadt 2010".

Eda und Julika sind inzwischen beim Regal in der Ecke des kleinen Zimmers gelandet. In den acht Fächern des Möbelstücks liegen viele verschiedene Spiele und Bücher. Alles Material, um mit den Kleinen Deutsch spielerisch zu üben. Denn insbesondere in Familien mit Migrationshintergrund ist das Verstehen und Sprechen der deutschen Sprache keine Selbstverständlichkeit. Das verringert die Chancen dieser Kinder, wie viele Untersuchungen zeigen. Dass Sprache ein Schlüssel zur Integration ist, ist mittlerweile unbestritten.

Alle zwei Wochen zwei Stunden

Eda, deren Eltern aus der Türkei stammen, wird diese Probleme wohl nicht haben. „Kannst du mir helfen“, fragt sie Julika beim Versuch, das eben benutzte Spiel wieder einzuräumen und ein Neues rauszunehmen. Diesmal soll es „Mäusewürfeln“ sein. Schnell geht es wieder zum kleinen Tisch, die Zeit ist kostbar. Zwei Stunden stehen für die Treffen alle zwei Wochen freitags zur Verfügung. Die wollen genutzt werden. „Ich fang an“, sagt Eda und schafft es kaum, alle Würfel in ihren kleinen Händen zu halten. Landen die Würfel in Käseoptik mit der Öffnung nach oben auf dem Tisch, darf das kleine Kärtchen darin rausgezogen werden. Als mehrere davon vor Eda auf dem Tisch liegen, fragt Julika sie nach deren Anzahl. „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs“ – wie selbstverständlich zählt Eda, ohne zu zögern. Kein Wunder, dass sie sich schon sehr darauf freut, bald in die Schule zu kommen.

Dass Julika Patin eines Kindes aus Ludwigsburg-Sonnenberg ist, hängt mit der Bevölkerungsstruktur zusammen. „Dort leben besonders viele Familien mit Migrationshintergrund“, sagt Konrad Seigfried, Erster Bürgermeister und Sozialdezernent der Stadt Ludwigsburg. Weil man um deren Probleme wisse, gehöre der Stadtteil mit anderen zum Projekt „Soziale Stadt“. Nach und nach werden die hässlichen und unpersönlichen Plattenbauten durch freundlichere Häuser ersetzt. Eda lebt mit ihren Eltern noch in einem der alten Gebäude. Allerdings stehe der Umzug bevor, berichtet die Fünfjährige mit türkischen Wurzeln.

„JuKi“ ist eines von mehreren Projekten, die dazu dienen, Chancengerechtigkeit herzustellen. „Ich finde das großartig“, lobt Seigfried das Engagement der Teenager um Julika. Unter anderem deshalb, weil es zeige, dass auch junge Menschen zu sozialem Engagement bereit seien. Und die Stadt profitiert: Lediglich der Raum in der angemieteten Wohnung werde zur Verfügung gestellt. „Gelder fließen keine“, sagt Seigfried.

Die Initiative finanziert sich über Spenden. Mit Plakaten. Flyern, Informationsständen und auf der Homepage wird auf benachteiligte Kinder aufmerksam gemacht. Außerdem werden Bücher und Spiele für Kindergärten angeschafft. Denn ein Programmpunkt von „JuKi“ ist das Vorlesen in Kindergärten. Dies sei allerdings nur während der Schulferien möglich, erklärt Julika. Ansonsten kollidierten nämlich die Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen mit dem Unterricht an der Ganztagesschule.

Eda möchte jetzt ein Buch. Julika überlässt ihr die Auswahl, schüttelt nochmal kurz die großen Sitzkissen in rot und gelb auf, bevor sich die Mädchen darauf niederlassen. Fast bekommt man den Eindruck, bei den beiden handle es sich um Geschwister. Der vertraute Umgang hängt damit zusammen, dass sie sich bereits seit mehr als eineinhalb Jahren regelmäßig treffen. Julika holt die Kleine immer bei ihren Eltern ab, die Wohnung liegt in derselben Straße.

Eda lernt Hochdeutsch, nicht Schwäbisch

Gemeinsam werden die Buchseiten umgeblättert. Steht ein längerer Text über den Bildern, liest Julika diesen vor. Auffällig ist, dass sie sehr deutlich spricht, nicht  „schwäbelt“. Einzelne Buchstaben oder kürzere Worte erkennt Eda schon selbst. „Das ist ein richtiges A“, lautet ihr Kommentar zu einem Großbuchstaben. Auf einem Bild identifiziert Eda eine Karotte – gesucht ist jedoch das Wort „Möhre“. Julika lässt es nebenbei einfließen, nennt auch die weitere Bezeichnung „gelbe Rübe“. Eda lacht und wehrt ab: „Nein, die ist doch orange.“ Sie erfährt, dass man zu einer Großmutter auch Oma sagen kann. Und dass der Berg, aus dem Feuer rauskomme, ein Vulkan ist und der komische Wagen mit dem offenen Dach ein Jeep. Ganz nebenbei erweitert sie also ihren Wortschatz.

Als die zwei Stunden fast rum sind, räumen beide zusammen die Sitzkissen weg, Julika hilft Eda beim Anziehen und bringt sie wieder nach Hause. „Bis in zwei Wochen“, ruft Eda fröhlich und winkt, als sie sich im Hauseingang zur Verabschiedung nochmal umdreht.


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