Mannheim. Die Stadt hat ihre besten Zeiten erst noch vor sich. Wenigstens darüber war man sich bei einer „Visionswerkstatt“ Ende Oktober im Mannheimer Nationaltheater einig. Zum Thema „Neu-Babylon versus Bürgerstadt“ diskutierten unter Moderation des SWR-Architektur-Redakteurs Reinhard Hübsch Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) mit dem Stadtplaner Professor Albert Speer aus Frankfurt, und dem Stadtsoziologen Professor Hartmut Häußermann aus Berlin. Wie kommt man zu Utopia? Wie definiert man die Stadt der Zukunft? Und wie schafft man den baulichen und sozialen Organismus Stadt, der von der Mehrheit der Bürger akzeptiert wird?
„Es gibt sie heute nicht mehr - die eine große Vision von der Stadt.“ So bringt der Stadtsoziologe Häußermann das Dilemma auf den Punkt. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte man die großen Entwicklungsentwürfe für die Städte. Man wollte Mobilität, man wollte industriellen Fortschritt, wirtschaftliches Wachstum. Man holte die großen Bahnhöfe in die gewachsenen Städte. Dies alles war getragen vom Mehrheitswillen der Bürger, von einer Aufbruchstimmung. In den 1920er-Jahren gab es dann die Zielsetzung, die Arbeiterklasse zu integrieren und den Menschen mit geringem Einkommen bessere Wohnquartiere zu schaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die autogerechte Stadt auf der Agenda.
Heutzutage gibt es Kontrastprogramm dazu: „Gravierende Eingriffe in die Städte werden von den Bürgern nicht mehr akzeptiert“, so Häußermann. Drei Problemstellungen macht der Soziologe auf dem Weg zur Bürgerstadt aus: Bewältigung des gewaltigen Strukturwandels, Integration in die Stadtgesellschaften und Berücksichtigung von Nachhaltigkeit bei allem planerischen und baulichen Tun.
Als Stadtoptimist qua Amt outet sich Peter Kurz, Oberbürgermeister von Mannheim: „Der Trend der Zeit geht zurück zur Stadt.“ Sie beinhalte die Chancen der Zukunft. Nur mit ihrem Potential könnten die großen aktuellen Fragen angegangen werden: mehr Bildung für alle, Integration aller Bevölkerungsgruppen, die Schaffung einer Bürgergesellschaft, die sich wieder mehr für das Allgemeinwohl engagiert und Partikularinteressen überwindet. So notwendig regionale Zusammenarbeit sei, Identität sei nur über die Städte zu erreichen.
Der Kommunalpolitiker Kurz fordert „den Masterplan“ zur Entwicklung der Städte. Das Problem dabei ist: Wie verständigt man sich auf gemeinsame inhaltliche Ziele? Und wie wird die eklatante strukturelle Unterfinanzierung der Städte überwunden? Der Oberbürgermeister setzt auf das Prinzip Hoffnung bei den Finanzen. Das heißt, endlich die Einsicht bei Bund und Ländern, dass in die Städte mehr öffentliche Gelder fließen müssen. Von neuen Formen der Bürgerbeteiligung zum frühest möglichen Zeitpunkt in der Planung, verspricht sich das Stadtoberhaupt von Mannheim mehr Akzeptanz. Doch auch das gelte es in den Griff zu bekommen: Nicht nur die „Artikulationsstarken und die Zeitreichen“ dürfen eine Chance haben, ihre Anliegen durchzusetzen. Die Politik habe dafür zu sorgen, dass die Interessen der nicht so durchsetzungsfähigen Gruppen auch zum Zuge kommen.
Ein falsches Politikverständnis macht Kurz für viele Querelen in den Städten verantwortlich. „Wir reduzieren Politik auf einen Dienstleistungsbetrieb.“ Man formuliere ein Anliegen und verlange, dass der Politik- und Verwaltungsapparat diesem sofort nachkomme. Dass Politik ein gemeinsamer Prozess des Austarierens unterschiedlicher Interessen sei, werde ausgeblendet. Es gehe darum, die Legimitation der Verfahren zur Entscheidungsfindung wieder konsensfähig zu machen.
„Was wir hier diskutieren, sind Luxusprobleme.“ Albert Speer, als Städteplaner weltweit unterwegs, macht darauf aufmerksam, dass der Prozess der Verstädterung global erst im Anfangsstadium sei. Der Faktor Zeit dürfe dabei nicht außer Acht gelassen werden. Unter Einhaltung aller demokratischen Regeln müsse ein Großprojekt wie Stuttgart 21 in längstens fünf Jahren abgewickelt werden können. Dass in Stuttgart bereits 15 Jahre geplant und gestritten werde, habe nicht nur mit mangelhafter Bürgerbeteiligung zu tun, sondern sei die Folge von „hundsmiserabler Planung und Organisation“.
Ein neues Bild von Stadt und Stadtgesellschaft – so Speer - sei gefragt. „Wir können nicht mehr so weiter wursteln.“ Das planerische und politische Denken in den Städten müsse sich auf neue Herausforderungen einstellen: die Überalterung einer schrumpfenden Bevölkerung, die zunehmende Konkurrenz der Städte um intelligente Köpfe. Der Zersiedelung der Landschaft sei Einhalt zu gebieten. In den Städten müssen Flächen, die nicht mehr adäquat gebraucht werden, neuen Nutzungen zugeführt werden. Die unterschiedlichen Charaktere und Potentiale in einer Stadt seien nicht nur zu dulden. Sie müssen als Chance begriffen werden.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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