"Ich kenne Selbstzweifel, und das ist nicht schlecht in dem Beruf"

12.04.2012 
Redaktion
 
Interview mit Landtagspräsident Guido Wolf
Landtagspräsident Guido Wolf. Foto: CDU-Fraktion

Stuttgart. Landtagspräsident Guido Wolf (CDU) wünscht sich ein streitbares, aber kein zerstrittenes Parlament. Im Gespräch mit Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer spricht er über sich, seine Aufgaben als Landtagspräsident und die Arbeit im Landtag.

Staatsanzeiger: Sie schreiben Gedichte. Sitzen Sie gerade wieder über einem?

Guido Wolf: Das sind sehr spontane Impulse. Ich habe leider viel zu wenig Zeit, aber es reizt mich immer wieder. Es ist eine Art, Menschen etwas zu vermitteln. Gerade hatte ich eine Lesung, in einem Hospiz in Leonberg. Die Leonberger haben ihr Haus schon 1999 eröffnet und sind jetzt in ein neues Gebäude umgezogen. Ich fühle mich der Hospizbewegung sehr verbunden und habe in Spaichingen selbst geholfen, eines aufzubauen. 

Sie sind viel im Land unterwegs.

Mehr als meine Vorgänger. Das kommt aber natürlich auch daher, dass ich der einzige CDU-Repräsentant in einem Staatsamt bin. Die Nachfrage ist recht groß und ich fühle mich auch verpflichtet, ihr gerecht zu werden.  

Bei Ihrer Wahl zum Landtagspräsidenten schrieb Ihre Heimatzeitung, Sie seien äußerst beliebt. Nicht einfach beliebt, sondern äußerst …

… und das auch noch als Politiker. Ich habe mich auch gefragt, wie es zu dieser Einschätzung kommen konnte. Vielleicht weil ich die Fähigkeit zur Selbstkritik nicht verlernt habe. Ich kenne Selbstzweifel, und das ist nicht schlecht in dem Beruf. Und ich bin ein sehr bodenständiger Mensch, sehr  verwurzelt. In meiner Heimatstadt Weingarten bin ich ganz normal unterwegs. Präsident hin oder her. Natürlich habe ich mich gefreut, als ich das las. Welcher Politiker möchte nicht äußerst beliebt sein?

Manche machen sich beliebt, indem sie eher weichgespült durchs Leben gehen.

Ich bin kein Sonnyboy. Wenn‘s unangenehm wird, dann stelle ich mich auch in den Wind. Aber die Leute müssen  nachvollziehen können, warum Politiker bestimmte Entscheidungen treffen. Und Politiker müssen bereit sein, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Das sage ich übrigens auch meinen Kollegen in der Fraktion. Wären wir an der Macht, würden wir gerade beim Sparen so manches machen müssen, was jetzt die Regierung macht.  Es ist aufrichtig, das an- und auszusprechen.     

Ein Landtagspräsident wirkt nach innen und nach außen. Gefällt Ihnen, was sie – und viele, viele Besucher – Plenartag für Plenartag erleben?

Wenn Abgeordnete die Fähigkeit besitzen, die ihnen in einer trockenen Tagesordnung gestellten Themen nicht nur plakativ und nach den ohnehin bekannten parteipolitisch vorgegebenen Formeln  zu behandeln, sondern sich auch aus der Aktualität der Situation heraus zu äußern oder gar für eine positive Überraschung zu sorgen, dann ist das sehr wertvoll für unsere Plenartage. Oder nehmen Sie das Thema Zwischenrufe. Da gibt es die ganze Bandbreite, von sehr klug bis – vorsichtig ausgedrückt – weniger klug. Und bevor Sie danach fragen, solche mit frauenfeindlichem Unterton sind indiskutabel. Aber man muss Besuchern, gerade den Schülern und Schülerinnen, auch sagen, ein Zwischenruf ist per se keine Störung. Wir sind nicht in der Schule oder im Gottesdienst. Es gibt allerdings Situationen, in denen ich mir die Frage stelle, ist unser Erscheinungsbild das Erscheinungsbild eines Parlaments, mit dem wir Menschen erreichen können. Ich will ein streitbares, aber kein zerstrittenes Parlament. Man muss manchmal wirklich Zweifel haben, ob die Form der Auseinandersetzung vermitteln kann, dass es hier ums Ringen um die beste Entscheidung geht.

Kann oder kann nicht?

Was wir gerade erleben, das Vokabular, die Aufgeregtheiten, die vielen Zwischenrufe, das alles ist eine Mischung aus dem klassischen Rollenverständnis vieler Parlamentarier und der neuen aktuellen Situation. Ich bin wirklich der Letzte, der nicht dafür eintritt, dass das Profil von Parteien und Fraktionen erkennbar wird. Das ist notwendig, aber es ist nicht notwendig und entspricht sicher nicht der Erwartungshaltung der Menschen, dass nur der parteipolitischen Profilierung wegen bestritten wird, dass der andere recht hat. Das klassische Rollenverständnis im Bund oder im Land ist Schwarz-Weiß-Denken. Leider, das sage ich auch als früherer Kommunalpolitiker. Auf Kreisebene oder in der Gemeinde ist die Bereitschaft, sich an der Sache zu orientieren deutlich stärker ausgeprägt. 

Wer, wenn nicht der Präsident kann Einfluss nehmen?

Auch ich habe eine neue Rolle, weil es das unterschiedliche Farbenspiel gibt. Die grün-rote Regierung auf der einen und die große schwarze Fraktion auf der anderen Seite. Ich will dahinein wachsen. Aber ich bin sicher, dass die Wahl der Worte und die Art der Amtsführung viel Einfluss haben. Ich will ein politischer Präsident sein. Nach innen und nach außen.

Von der Innensicht zur Aussensicht. Der Idealfall ist, die Bürger und Bürgerinnen gehen aus dem Landtag raus und sagen, das war wirklich spannend …

… der absolute Idealfall.

Wie kann der zum Regelfall werden?

Ich war in Wien in der Planungswerkstatt im Rathaus. Da gibt es ein vergleichsweise kleines Ausstellungzentrum und als Herzstück einen Panoramaterminal, das Stadtentwicklungsprojekte als 3-D-Modelle visualisiert. Die Bürger und Bürgerinnen bewegen sich online und themenbezogen durch ihre Stadt, ihr Viertel oder sogar ihre Straße. So werden Planung und Inhalte veranschaulicht. Wir schieben wortreich jede Menge Papier über die Rampe. Mich hat sehr beeindruckt, wie die Wiener politische Entscheidungen erlebbar machen. Wenn wir den Landtag mit einem Bürger -und Medienzentrum öffnen, wollen wir solche Akzente setzen. Das ist mehr als ein Raum, das ist fast so was wie eine Philosophie. Ich möchte erreichen, dass jeder der kommt, auch etwas Konkretes  über die politische Arbeit mitnimmt, die hier geleistet wird. 

Das könnte der Landtag der Bürgerschaft und sich selber doch zum sechzigsten Geburtstag des Landes schenken.

Das Jubiläumsjahr 2012 wird Startschuss für eine Runderneuerung des Parlaments in der Tradition der vergangenen Jahrzehnte. Ich habe da übrigens keine Sekunde, das unterscheidet mich von früheren Präsidenten, an einen Neubau gedacht. Mir gefällt das Gebäude, die Architektur und der Standort. Ich will den Landtag öffnen, aber ich will nicht, dass wir umziehen. Und da hab ich das gesamte Präsidium hinter mir. Am Standort festzuhalten ist die Referenz an die Vergangenheit, mit der Bürgerorientierung gehen wir in die Zukunft. Und damit wir uns richtig verstehen, diese neue Öffnung kann sich nicht nur in einem Bürger- und Medienzentrum im Haus niederschlagen, da ist jeder Einzelne gefordert mit Herz und Verstand.

Viel Unverständnis entsteht, wenn die Bürger und Bürgerinnen meinen, Europa regle zu viel und zu oft unsinnig. Wie kann der Landtag helfen, stabilere Brücken nach Europa zu bauen?

Als Landtag sind wir gegenüber der EU oftmals in der Rolle von David und Goliath. Nicht selten machen wir die Erfahrung, dass europäische Prozesse, bis sie bei uns anlanden, längst abgeschlossen sind. Vieles können wir nur zur Kenntnis nehmen und nicht mehr verändern. Aber wir haben auf diese Situation klug reagiert. Wir haben mit dem Europaausschuss ein funktionierendes Instrument. Es ist mir sehr wichtig, dass wir aus der Rolle herauskommen, in der uns die Bürger als hilflos wahrnehmen. Dazu gehört auch die Präsenz. Wir müssen noch stärker als bisher als Parlamentarier in Brüssel und Straßburg auftreten, und wir müssen die Kontakte zu den Europaabgeordneten aus dem Land stärker nutzen. Warum kommen die nicht regelmäßig in den Landtag?  Wir wollen wissen, was dort läuft. Sie sollen wissen, was hier läuft. Wir beginnen ja nicht bei null. Der Landtag ist traditionell stark im Verband der Regionen vertreten, und  wir haben in der Landesvertretung Horchposten vor Ort.

Die aber erstmals einer Regierung untersteht, in der die größte Fraktion nicht vertreten ist. Und mit der der Landtagspräsident von der CDU deshalb auch nicht direkt verbunden ist.

Ich habe die geringsten Bedenken, dass die Regierungsseite ein Herrschaftswissen in europäischen Fragen bunkert. Ganz im Gegenteil. Kürzlich hatte ich ein sehr konstruktives Gespräch mit dem zuständigen Minister Peter Friedrich von der SPD. Es war geprägt von dem Wissen, dass wir stärker unterwegs sind, wenn wir es gemeinsam sind.  Der Ministerpräsident sieht das genauso. Wir haben ein gemeinsames Interesse, nicht nur in Brüssel. Winfried Kretschmann lädt mich zu jeder Auslandsreise ein. Da ist sehr schnell sehr viel ganz selbstverständlich geworden. Da gibt es einen Schulterschluss zum Wohle des Landes.


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