Stuttgart. Bloß einmal zeigte der Stuttgarter Landtag an diesem Dienstag Solidarität: Zu Beginn der von der CDU-Fraktion beantragten Sondersitzung des Parlaments gedachten die Abgeordneten einträchtig in einer Schweigeminute stehend der Opfer der Erdbeben-, Flut- und Atomkatastrophe in Japan. Danach artete die Debatte mit freier Redezeit zum Thema „Atomunglück in Japan - Folgerungen für die Energiepolitik in Baden-Württemberg“ stellenweise in reiner Wahlkampf-Polemik aus.
Eines der wenigen konkreten Ergebnisse: Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) verkündete im Landtag das endgültige Aus für das Atomkraftwerk Neckarwestheim I. Dieses wäre auch nach dem von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen und von der CDU/FDP-Bundesregierung wieder aufgehobenen Atomkonsens bereits vom Netz gegangen.
Eines wurde in der emotionalen und teilweise heftigen Debatte deutlich: Die Oppositionsparteien SPD und Grüne wollen die Landtagswahl am 27. März zur Abstimmung über den Ausstieg aus der Atomkraft in Baden-Württemberg machen. Der SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid warf Mappus vor, das von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verfügte drei Monate dauernde Moratorium mit der vorübergehenden Stilllegung von sieben deutschen Atomkraftwerken „die Menschen zu betäuben und ihnen eine Beruhigungspille zu verpassen“. Die Glaubwürdigkeit des Ministerpräsidenten, den Schmid als „größten Atomlobbyisten der gesamten Republik“ apostrophierte, sei auf den Nullpunkt gesunken. Eine Rückkehr zum Atomkonsens sei unausweichlich.
Für Schmid ergeben sich durch neue Atomdiskussion große finanzielle Risiken für das Land. „Sie haben die EnBW als Atomkonzern gekauft und wollten mit Atomkraft Geld verdienen.“ Nun, da Neckarwestheim I und Philippsburg I abgeschaltet werden müssten, hätte sich Mappus „schlicht und einfach verzockt.“ Das Land hatte dem französischen Staatskonzern EdF für rund fünf Milliarden Euro den 45-Prozent-Anteil an der EnBW im Dezember abgekauft.
Mappus („Ich bin kein Atomideologe“) hatte zuvor zugegeben, die Ereignisse in Japan ließen in zweifeln an mancher Gewissheit, „auf die ich vertraut habe“. Selbstverständlich würden die Nachrichten aus Asien gute Argumente gegen die Kernkraft liefern. Doch ein hochindustrialisiertes Land wie Baden-Württemberg brauche Energie; 2009 seien im Südwesten 78 Milliarden Kilowattstunden Strom verbraucht worden. 52 Prozent der im Südwesten erzeugten Energie kämen aus Atomkraftwerken.
Der Regierungschef sieht keine Chance zu einer schnellen Energiewende. „Das schnelle Ende der Kernkraft zum Preis von mittelfristig mehr klimaschädlicher fossiler Energie aus Kohle, Öl und Gas würde aber bedeuten, dass wir das mit der Kernkraft verbundene Risiko durch das globale Risiko einer Erderwärmung ersetzen“, sagte Mappus.
Zur aktuellen Situation von Neckarwestheim berichtete Mappus, dass EnBW-Vorstandschef Hans-Peter Villis der Landesregierung am selben Morgen mitgeteilt habe, dass ein wirtschaftlicher Betrieb des Meilers I auf Basis der Vorgaben des Umweltministeriums nicht möglich sei. Deshalb werden die EnBW die Anlage Neckarwestheim I nicht wieder ans Netz bringen, sondern dauerhaft abschalten und stilllegen. Über das Abschalten des AKW Philippsburg I wolle die EnBW noch entscheiden. Der Regierungschef kündigte ferner an, Baden-Württemberg werde den Weg ins Zeitalter regenerativer Energien gehen.
Für den Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann wird die Landtagswahl nun zur „Grundsatzentscheidung“ über die künftige Atompolitik. Dem Ministerpräsidenten warf er vor, „wirklich der unglaubwürdigste Umkehrer in dieser Sache“ zu sein. CDU und FDP hätten mit der Verlängerung der Laufzeiten von AKW den von Rot-Grün vorangebrachten Ausbau der Erneuerbaren Energien brüsk gestoppt.
In scharfer Form warfen CDU und FDP der Opposition vor, die Ereignisse in Japan für den Wahlkampf zu instrumentalisieren. „Es geht bei Ihnen bei diesem Thema um Wahlkampf und um sonst gar nichts“, urteilte Umweltministerin Tanja Gönner (CDU). Auch die Fraktionschefs der Regierungsparteien, Peter Hauk (CDU) und Hans-Ulrich Rülke (FDP), äußerten solche Vorwürfe.
Darüber hinaus kündigte Hauk kündigte an, seine Fraktion wolle mit 100 Millionen Euro pro Jahr den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen. Das Geld soll aus den Gewinnen der EnBW und durch Umschichtungen im Haushalt kommen. Nach Ansicht Hauks haben SPD und Grünen keine Alternativen, wie nach der Abschaltung der Atomkraftwerke für Strom-Ersatz gesorgt werden soll.
Rülke erklärte, für die FDP sei Sicherheit das oberste Gebot. Gleichwohl bekräftigte er: „Zu 100 Prozent sichere Kernkraftwerke bleiben am Netz für eine Übergangszeit.“ Sollten die Überprüfungen Mängel aufzeigen, sei man bereit, schneller abzuschalten.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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