„Man kann auf einen Großteil des Mittelbaus verzichten“

05.09.2012 
Redaktion
 
Interview
Foto: ddp

Stuttgart. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel geht davon aus, dass die strukturelle Lücke im Haushalt geschlossen werden kann Nicht bloß mit den Beamten, auch mit den Kommunen strebt die SPD einen Pakt an, wie er im zweiten Teil seines Interviews mit dem Staatsanzeiger sagte. (Der erste Teil ist am 7. September in der Printausgabe erschienen.) Außerdem erklärt er, wie er das strukturelle Milliardendefizit im Landeshaushalt reduzieren will und wo er die Zukunft von Parteichef Nils Schmid sieht.

Staatsanzeiger:  Herr Schmiedel, der Finanzminister will das Einstiegsgehalt senken und den Eigenanteil bei der Beihilfe erhöht. Müssen wir uns um die Attraktivität des öffentlichen Diensts Sorgen machen?

Claus Schmiedel: Was die Höhe der Beihilfe betrifft: Wenn man das von Anfang an so vereinbart, halte ich das durchaus für vertretbar. Im Übrigen entspricht das unserer Idee der Bürgerversicherung, die wir nach einem Erfolg bei der Bundestagswahl einführen wollen. Wir wollen den Beamten ein Jahr lang die Option geben zu entscheiden, ob sie ins System der Bürgerversicherung wechseln oder bei der Privatversicherung bleiben. Dazu gehört eben auch eine Selbstbeteiligung von 50 Prozent.

Sie wollen die Kommunen an den Kosten der Ganztagsschule beteiligen. Das kam bei den Kommunalverbänden nicht gut an. Sie fürchten, auf unabsehbaren Kosten sitzen zu bleiben.

Ich glaube, die erste Äußerung vonseiten des Städtetags war etwas voreilig, weil ich mir sicher bin, dass sowohl der Städtetag als auch der Gemeindetag ein Interesse an einer Paketlösung haben. Eine Paketlösung aus dem kommunalen Finanzausgleich, der Ganztagsschule mit Schwerpunkt Grundschule und der künftigen Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen. In diesem Dreiklang kommen wir, glaube ich, zu einer Vereinbarung, die für diese Wahlperiode trägt.

Das strukturelle Defizit im Haushalt beläuft sich auf mehrere Milliarden Euro. Treibt Ihnen das den Angstschweiß auf die Stirn?

Nein. Natürlich kriegen wir das hin. Natürlich nicht von einem Tag auf den anderen. Deshalb haben wir auch die Zielmarke 2020. Bis dann wollen wir einen strukturell ausgeglichenen Haushalt haben. Wie erreichen wir das? Wir wissen, dass bei knappen Ressourcen die Allokation am besten vor Ort entschieden wird. Weil man vor Ort am besten weiß, wie es wirkt und wie man die besten Ergebnisse erzielt. Deshalb liegt der Schlüssel der Lösung der Haushaltsproblematik darin, so viel wie möglich zu dezentralisieren. Damit bekommen wir erstens bessere Ergebnisse und zweitens sparen wir uns große Teile derer, die jetzt zuteilen, sich berichten lassen, kontrollieren.

Man könnte also schon auf einen Teil des Mittelbaus verzichten, der ja in Baden-Württemberg personell besser ausgestattet ist als in vielen anderen Ländern.

Man kann auf einen Großteil des Mittelbaus verzichten. Wir haben doch jetzt das Beispiel der Polizeireform, bei der 1400 Beamte in den Regierungspräsidien befreit werden und am Ende der Reform 1000 Polizeibeamte und andere Bedienstete vor Ort zur Verfügung stehen. Wenn wir nicht in der Not wären, vor Ort stärker auszubauen, könnten wir das einsparen. Das ist das Einsparpotenzial der Polizeireform. Und das ist ja nur ein Bereich. So müssen wir das Zug um Zug durchforsten. In der Bildungspolitik haben wir eine klare Vorgabe: Die Schule soll so viel möglich selber entscheiden. Nicht nur über die Lehrereinstellung sondern auch über die Fortbildung. Wir brauchen niemanden, der Kilometergeld ausrechnet und genehmigt. Und wir brauchen niemanden, der Familientrennungsgeld ausrechnet und genehmigt. Das kann alles vor Ort erledigt werden.

Gibt es in den Ministerien noch Bereiche, wo man einsparen könnte?

Natürlich haben wir große Einsparpotenziale. Allein die Zentralisierung der IT bringt uns einen dreistelligen Millionenbetrag. Warum hat die frühere Landesregierung das nicht gemacht? Ganz einfach: Man konnte sich nicht einigen, wer die Federführung hat – das Innen- oder das Finanzministerium? Außerdem haben die anderen Ressorts geblockt. Allein dadurch, dass jedes Ministerium eigene Lizenzverhandlungen führt, geben sie für Software 20 Prozent zu viel aus. Das haben wir jetzt gelöst: Die Federführung hat das Innenministerium, Finanzstaatssekretär Ingo Rust ist der Projektleiter. Deshalb werden wir das hinbekommen und allein dadurch 100 Millionen im Jahr einsparen. Und dann bleibt die Frage: Wer macht was? Und wo es keine eigene Länderverantwortung gibt, da kann man auch die Finger davon lassen – beispielsweise bei der Steuerverwaltung. Bevor man die Leistungen für die Bürger zurückfährt, müssen wir uns erst einmal fragen: Wo können wir effektiver werden?

Ministerpräsident Kretschmann ist der Ansicht, dass beim Thema Schule zu viel zu schnell angestoßen wurde. Mutet sich Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer zu viel zu?

Nein, wir haben alles im Griff.

Das meinen nicht alle.

Der einzige Punkt, bei dem ich akzeptiere, dass an dem Vorwurf etwas dran ist, ist, dass wir Schulen schon den Weg zur Gemeinschaftsschule geebnet haben, als das Gesetz im Parlament noch nicht verabschiedet war. Allerdings haben wir Dutzende von Schulen vorgefunden, die vorausgaloppiert sind und teilweise unter stillschweigender Duldung des zuständigen Schulamts die Veränderungen bereits durchgeführt haben – nach dem Motto: Die Wahl ist doch gewonnen! Jetzt wollen wir loslegen. Und die jetzt noch einmal ein ganzes Jahr lang zu bremsen, wäre auch nicht angemessen gewesen. Im Übrigen weiß ich nicht, wo das große Problem gewesen wäre. Wir haben die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung abgeschafft. Das hat den Trend zu Realschule und Gymnasium allenfalls etwas beschleunigt. Und an einem längeren Siechtum von Schulen, die wegen zurückgehender Schülerzahlen nicht zukunftsfähig sind, kann nun überhaupt niemand Interesse haben. Das Thema G8/G9 ist nach meinem Dafürhalten eher zu lang als zu kurz diskutiert worden. Bei der Inklusion, der anderen großen Herausforderung, halten wir das Tempo gezielt gedrosselt. Denn wenn man jahrzehntelang in Richtung Sonderpädagogik marschiert ist, dann muss der Schwenk langsam erfolgen, den die Betroffenen auch mitgehen können.

Ihr Parteifreund Nikolaos Sakellariou will die Bürgermeister nicht mehr in den Kreistagen haben. Können Sie seine Argumentation nachvollziehen?

Ich kann das nachvollziehen, weil viele Kreistage von Bürgermeistern beherrscht werden. Im Ludwigsburger Kreistag war es über Jahrzehnte üblich, dass sich die CDU-Bürgermeister zusammensetzen und die Kreisumlage festlegen. Auf der anderen Seite ist es so, dass man mit dem Argument, es gebe ein Abhängigkeitsverhältnis, bloß die Bürgermeister aus den Kreistagen ausschließen könnte. Die Oberbürgermeister und die Beigeordneten würden bleiben. Und dann entsteht ein dickes Fragezeichen, ob man eine Berufsgruppe verfassungsrechtlich ausschließen könnte. Und wenn die Landräte in Zukunft vom Volk direkt gewählt würden, entschwindet das Argument: Die Bürgermeister wählen ihre eigenen Kontrolleure. Die Frage ist offen. Da gibt es Für und Wider.

Wie wollen Sie sich auf dem SPD-Landesparteitag entscheiden?

Jetzt schauen wir mal, was die Antragskommission empfiehlt. Ich halte es persönlich noch nicht für entscheidungsreif.

Gut ein Jahr Grün-Rot Baden-Württemberg, gut ein Jahr Kretschmann-Festspiele. Die Grünen haben Sie in der Wählergunst deutlich abgehängt. Hat sich die SPD mit ihrer Rolle als drittstärkste Kraft in der Landespolitik abgefunden?

Entscheidend ist nicht die Gunst, entscheidend ist, was bei der Wahl herauskommt. Und die steht erst in dreieinhalb Jahren wieder an. Wir haben ja ein großes Interesse, dass wir einen Ministerpräsidenten mit einer großen Reputation haben. Das hilft der gesamten Koalition, nicht nur den Grünen. Bis zur nächsten Landtagswahl fließt noch so viel Wasser den Neckar herunter, da mache ich mir noch keinen Kopf. Entscheidend ist, dass wir Sozialdemokraten, weil unsere Entstehungsgeschichte mit der sozialen Frage zusammenhängt, diesen Schwerpunkt in der grün-roten Koalition stärken.

Wenn morgen Landtagswahlen wären, würden Sie dann als SPD-Spitzenkandidat zur Verfügung stehen?

Wir haben einen Landesvorsitzenden, der stellvertretender Ministerpräsident ist. Und dem gehört die Zukunft. Aus der Urwahl zum Landesvorsitzenden ist Nils Schmid eindeutig als Sieger hervorgegangen. Es war klar, dass das die Vorstufe zum Spitzenkandidaten ist. Deshalb ist er, was er ist.

Hat Nils Schmid das Zeug zum Landesvater?

Jeder ist anders. Die Rolle wurde auch in der Vergangenheit unterschiedlich interpretiert. Oettinger etwa war alles andere als ein Landesvatertyp. Und trotzdem hat man ihn als Ministerpräsidenten respektiert. Und bei Nils Schmid wäre das nicht anders. Er wäre nicht wie Kretschmann, das ist doch klar. Aber er könnte ein guter Ministerpräsident sein.

Das Gespräch führten Breda Nußbaum und Michael Schwarz


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