STUTTGART/BERLIN. Wer mit der Bahn statt mit dem Auto fährt, gilt als umweltfreundlich, doch finanziell belohnt wird er dafür nicht. Wie der Verband Allianz pro Schiene aufgrund von Zahlen des Statistischen Bundesamtes errechnet hat stiegen die Preise für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs auf der Schiene von 2015 bis 2020 um 16 Prozent. Das liegt deutlich über der allgemeinen Preissteigerung, die im gleichen Zeitraum bei sechs Prozent lag.
Die Kosten für die Nutzung des eigenen Autos entwickelten sich dagegen sogar langsamer als die Verbraucherpreise insgesamt. Sie legten binnen fünf Jahren lediglich um vier Prozent zu. Und während die Preise für den Schienennahverkehr seit 2015 in Summe kontinuierlich stiegen, konnten Autofahrer im vergangenen Jahr von sinkenden Kosten profitieren. Diese gingen um zwei Prozentpunkte zurück.
Vergleichbare Zahlen gibt es für Baden-Württemberg nicht. Allerdings ist auch im Südwesten die Schere bei der Preisentwicklung zwischen dem motorisierten Individualverkehr und dem ÖffentlichenPersonennahverkehr (ÖPNV) größer geworden. Die Preise für Kraftstoffe im Verbraucherpreisindex des Statistischen Landesamtes sanken von Dezember 2019 bis Dezember 2020 um elf Prozent. Verkehrsleistungen insgesamt wurden dagegen nur um 2,6 Prozent billiger.
Dirk Flege, der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, bezeichnete die Entwicklung als nicht hinnehmbar. "„Wer sich für ein umweltfreundliches Verkehrsmittel entscheidet, darf dafür nicht finanziell bestraft werden.", sagte Flege in Berlin.
Der Verband hat konkrete Forderungen an die Bahn um das Missverhältnis in der Preisentwicklung zu korrigieren. Bahnen müssten von der Stromsteuer befreit werden und die EEG-Umlage für elektrisch angetriebene Züge deutlich gesenkt werden, forderte Flege. Zudem solle der Bund die Trassenpreise, die bei der Nutzung des Schienennetzes der Deutschen Bahn fällig werden, deutlich reduzieren. Derzeit müssten die der Schienenverkehrsunternehmen in Deutschland aber die europaweit höchste Stromsteuer auf Fahrstrom, Ökosteuer, EEG-Umlage, Trassenentgelte zahlen und müssten für 100 Prozent der CO2-Zertifikate im Emissionshandel kostenpflichtig aufkommen.
Der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler und Verkehrsexperte Wolfgang Maennig forderte im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" "dem Autofahren seine "wahren Kosten aufgrund von Unfällen und Umweltschädigung" zuzuordnen. Er schlägt deshalb ergänzend zu der seit Jahresbeginn geltenden CO2-Steuer vor, etwa eine City-Maut einzuführen. Die Einnahmen daraus sollten in den öffentlichen Nahverkehr fließen. Eine Alternative zur Citymaut sieht Maennig in einer Art Pflicht-Ticket: "Jeder, der ein Auto zulässt, muss ein Jahresabo für den lokalen Nahverkehr dazukaufen", schlägt der Wirtschaftswissenschaftler vor.
Im baden-württembergischen Verkehrsministerium und in der von Minister Winfried Hermann (Grüne) eingesetzten ÖPNV-Zukunftskommission dürften solche Vorschläge auf wohlwollendes Interesse stoßen. In ihren jetzt vorgelegten Empfehlungen spricht sich die Kommission ausdrücklich für eine Erhöhung der Pkw-Nutzungskosten zur Stärkung des ÖPNV aus. So sollen Kommunen das Recht zur Einführung eines Mobilitätspasses bekommen, mit dem Kfz-Nutzer und -halter gezielt finanziell belastet werden könnten. Die Einnahmen sollten dann zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs genutzt werden.
Weitere Informationen bei Allianz pro Schiene
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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