Stuttgart. In der Bildungspolitik in Baden-Württemberg hat eine neue Epoche begonnen. Mit ihrer parlamentarischen Mehrheit machten Grüne und SPD an diesem Mittwoch im Landtag den Weg frei für die neue Gemeinschaftsschule. Die Fraktionen stimmten in zweiter Lesung der Änderung des Schulgesetzes zu. Damit kann nach den Sommerferien an 40 Starterschulen zwischen Main und Bodensee der Betrieb in der neuen Schulart beginnen, die nach dem Willen von Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) auf Dauer die Regelschule werden soll. In 92 fünften Klassen mit 1880 Schülerinnen und Schüler wird vom Schuljahr 2012/13 an der Ganztagesunterricht starten. Dafür werden 60 Lehrerdeputate benötigt.
Nach dem Schulgesetz vermittelt die Gemeinschaftsschule in einem gemeinsamen Bildungsgang Schülern der Sekundarstufe I je nach ihren individuellen Leistungsmöglichkeiten eine der Hauptschule, der Realschule oder dem Gymnasium entsprechende Bildung. „Den unterschiedlichen Leistungsmöglichkeiten der Schüler entspricht sie durch an individuellem und kooperativem Lernen orientierten Unterrichtsformen“, heißt es im Gesetzes-Text. Sie bildet Lerngruppen nach pädagogischeuen Gesichtspunkten. Die Klassenstärke liegt bei 28. Die Gemeinschaftsschule steht auch Schülern offen, die ein Recht auf den Besuch einer Sonderschule haben. 28 Starterschulen sind nach Angaben der Ministerin zweizügig, neun sind dreizügig und zwei vierzügig.
Warminski-Leitheußer begrüßte die Gemeinschaftsschule als „Antwort auf dringende bildungspolitische Fragen“. Das Interesse übertreffe ihre Erwartungen: „Die Menschen stimmen mit den Füßen ab.“ Nach Auffassung der Ministerin wird die Attraktivität dieser Schule zunehmen, zumal Baden-Württemberg bildungspolitisch Nachholbedarf habe. Sitzenbleiber wird es in der Gemeinschaftsschule nicht mehr geben. Außerdem ist Warminski-Leitheußer davon überzeugt, dass die verbindliche Ganztagesschule „zu besseren Leistungen führen“ wird. „Wir schreiben die Gemeinschaftsschule im Schulgesetz fest und lassen sie nicht als Schulversuch laufen, da wir wissen, dass das Konzept funktioniert“, sagte die Kultusministerin. Für sie ist die neue Schulart ein leistungsorientiertes und sozial gerechtes Bildungsangebot, welches durch individuelle Förderung den optimalen Bildungserfolg ermöglicht.
In der CDU und FDP wird dies anders gesehen. Georg Wacker (CDU) sprach von vielen ungeklärten Fragen, etwa hinsichtlich den Räumen und der Ausstattung der Schulen. Es seien zusätzliche Ressourcen notwendig, die zu Lasten der anderen Schularten im Land gingen, kritisierte der frühere Kultus-Staatssekretär. Wacker sprach „viele kommunalrelevante Fragen an“, die aus seiner Sicht ungeklärt sind, weshalb die kommunalen Spitzenverbände die Einführung der Gemeinschaftsschulen als überhastet und unausgegoren bezeichnet hätten. Auch das Interesse der Gymnasiallehrer, in Gemeinschaftsschulen zu unterrichten, halte sich in Grenzen. Der Regierung warf Wacker vor, die Kommunen allein zu lassen. So seien die finanziellen Auswirkung ungeklärt.
Der Liberale Timm Kern sprach von einem „Schulkampf um Ideologie“ und forderte Grün-Rot auf, den Verdrängungskampf gegen das dreigliedrige Schulsystem zu stoppen. Die FDP wolle keine einseitige Schulpolitik, sondern halte am differenzierten und leistungsgerechten System fest. Kern hielt der Regierung „Hütchenspielertricks“ und „Dirigismus“ vor. Die Menschen bräuchten aber echte Gestaltungsmöglichkeiten. Er sprach sich, wie die CDU, für das erfolgreiche dreigliedige System aus.
Die Parade der Regierungskoalition folgte prompt: Die Grünen-Bildungsexpertin Sandra Boser warf der CDU vor, Ängste und Vorbehalte gegen die Gemeinschaftsschule zu schüren. Eltern und Kommunen, ja alle anderen europäischen Länder, stünden der neuen Schulart weit offener gegenüber als die CDU-Fraktion. Die Vorgängerregierung habe die gesellschaftlichen Veränderungen konsequent ignoriert. Deshalb sei es Zeit, dass Baden-Württemberg bald eine flächendeckende Schulentwicklung für längeres gemeinsames Lernen bekomme. «Wir wollen echte Chancengleichheit.
Auch Gerhard Kleinböck (SPD) verwies auf die Vorzüge der Gemeinschaftsschule: Die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder würden erhöht, es gebe mehr Chancengleichheit und die soziale Herkunft sei nicht so gravierend für den Bildungserfolg wie bisher, sagte der Schulleiter. Immerhin gebe es in Baden-Württemberg 6200 junge Menschen ohne Abschluss und Ausbildungsvertrag. Auch die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung trage ihren Teil zur neuen Bildungspolitik bei: „Jede falsche Beratung war in der Vergangenheit eine zu viel.“
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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