"Die Iba Wissen-schafft-Stadt ist ein Ausnahmezustand auf Zeit"

19.02.2015 
Redaktion
 
Interview: Internationale Bauaustellung
Michael Braum ist Direktor der Internationalen Bauaustellung. Foto: privat

Michael Braum ist Direktor der Internationalen Bauaustellung. Foto: privat

Heidelberg. Während in der Landeshauptstadt noch darüber diskutiert wird, sind die Vorbereitungen zur Internationalen Bauaustellung in Heidelberg bereits in vollem Gang. Beim ersten Projektaufruf wurden mehr als 20 Kandidaten ausgewählt. Im Juni will der Aufsichtsrat entscheiden, welche Projekte realisiert werden sollen. Im Interview spricht der Direktor der Internationalen Bauaustellung, Michael Braum, über Baukultur und die Ziele der Ausstellung.

Staatsanzeiger.de: Was macht gute Baukultur aus?  

Michael Braum: Bei guter Baukultur geht es nicht darum, ob ich etwas schön oder hässlich finde. Sie hat etwas mit Wertigkeit, mit Anstand, mit Angemessenheit zu tun. Dabei sind ganz verschiedene Faktoren beteiligt. Zum einen ist es Zeit, dass man sich wieder stärker mit regionalem Bauen auseinandersetzt, dass nicht alles, was neu gebaut wird überall – in Süd-, Nord-, Ost- und Westdeutschland – gleich aussieht. Zum zweiten hat gute Baukultur etwas mit Materialität zu tun. Man sieht einem Gebäude sehr schnell an, ob es mit wertigen Materialien gebaut ist oder nicht. Man sollte in der Grundsubstanz, also sowohl im Aufbau, als auch in der Ansicht, etwa bei den Fenstern und beim Dach mit wertigen Materialien arbeiten, die schadstofffrei in den Stoffkreislauf wieder zurück geführt werden können. Häuser müssen so aussehen, dass man Lust hat, sie anzuschauen. Wichtig wäre es in diesem Kontext, wieder in Parzellen, das heißt in kleineren Einheiten zu denken.  

So ähnlich wie etwa in Tübingen, wo sich Baugemeinschaften zusammenschließen und ein Gebiet gestalten?  

Das ist ein interessanter Ansatz. Dabei gibt es eine große Vielfalt an Häusern, über deren ästhetischen Qualitäten man im Einzelfall sicherlich streiten kann. Aber die Grundstruktur knüpft an diesen Gedanken an. Sie hat etwas robustes und solides.  

Unsere Gesellschaft ist aber eher eine Wegwerfgesellschaft. Sie sprechen vom Gegenteil…  

Wenn einer heute ein Haus baut, baut er es meist nicht in der Absicht, dass seine Kinder das später auch noch nutzen werden. Es wäre wichtig, den Menschen deutlich zu machen, dass jedes Haus, das in der Stadt gebaut wurde, das Gesicht der Stadt verändert und damit eine Verantwortung für die gesamte Stadt hat. Das mit der Wegwerfgesellschaft ist nur ein Aspekt. Dramatisch erscheint mir die Effizienzorientierung zu sein. Alles muss schneller gehen und am Ende preiswerter werden – diese Geiz-ist-Geil-Mentalität. Die damit verbundenen Dilemmata verstärken sich durch die zunehmende Verregelung, etwa die Anforderungen der Feuerwehr oder die energetische Vorgaben, um nur einige zu nennen. Dieses Zusammenspiel „unglücklicher Faktoren“ führt dazu, dass die Häuser sich mehr und mehr angleichen. Vielfalt und Schönheit, für mich durchaus zulässige Kategorien,  sind so nicht machbar.  

Was schlagen Sie vor?  

Wenn wir es schaffen, dass jeder wieder für sich verantwortlich ist und man nicht die öffentliche Hand für alles verantwortlich macht, wäre ein großer Schritt getan.  

Zu einer guten Baukultur braucht es aber auch Politiker und Fachleute, die diese umsetzen…  

Wenn man ein Haus baut, hat das immer mit verschiedenen Akteuren zu tun. Man braucht einen guten Architekten, der eine gute Ausbildung genossen hat. Da sind wir auch auf dem besten Weg, an Qualität „vorbei zu schrappen“. Wir brauchen neben guten Architekten ambitionierte Bauherren und eine Administration und eine Politik, die das gute Bauen ermöglichen und nicht durch Verregelung die Lust am Bauen verhindern.  

Was haben Sie an der Architekturausbildung auszusetzen?  

Auch das Studium richtet sich heute nach Effizienz. Nach sechs Semestern machen die Architekturstudenten ihren Bachelor. Dann arbeiten sie in einem Büro und viele machen danach nicht mal ihren Master. Die Bachelor-Ausbildung ist verschult. Die Studierenden bekommen keine humanistische Grundausbildung, – im Sinne eines Studiums Generale: Warum studiere ich überhaupt Architektur und in welcher gesellschaftlicher Verantwortung bewege ich mich dabei?  

Was kann also eine Internationale Bauausstellung leisten?  

Die Iba Wissen-schafft-Stadt ist ein Ausnahmezustand auf Zeit. In Heidelberg stellen wir uns den städtebaulichen und architektonischen Herausforderungen des „Lebenslangen Lernens“. Im Rahmen der Iba zeigen wir an ausgewählten Gebäuden, angefangen von der Kindertagesstätte über Schul- bis hin zu Forschungsbauten der Universität und weiterer Forschungsinstitute, dass jedes Haus für sich genommen ein „Leuchtturm“ sein kann, der in die Stadtteile und –quartiere hineinwirkt. Diese Gebäude sollen nicht nur für sich funktionieren, sondern darüber hinaus von den Stadtbewohnern als Bereicherung angesehen werden – im architektonischen Sinn, weil sie interessant gestaltet sind, im ökologischen Sinn, weil sie in wertigen und recycelbaren Materialien erstellt worden sind sowie als eine gesellschaftliche Bereicherung, weil sie für verschiedene Bevölkerungsteile nutzbar sind. Das bedeutet auch, dass man über die eine oder andere Regel wieder konsequent nachdenken muss.

Welche Ziele und Visionen hat die Iba Heidelberg?  

In der Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft stellen wir Heidelberg als „Stadtlabor“ mit dem Ziel zur Verfügung, zu überprüfen welche städtebaulichen und architektonischen Folgen diese Transformation auf das Bild unserer Städte haben. Dazu möchten wir in Heidelberg Gebäude, Freiräume und Plätze schaffen, die unter dem Thema Wissen-schafft-Stadt Maßstäbe setzen. Wir wollen die Gebäude des lebenslangen Lernens zu „Leuchttürmen“ in der Stadt machen, um die Sensation in den Alltag zu bringen. Wir wollen die Blaupause der „Wissensstadt von Morgen“ werden, die anderen Städten in ganz Deutschland als Beispiel dienen soll. Aber das Thema Wissen-schafft-Stadt hat ja nicht nur damit zu tun, dass wir schöne Schulen und Institutsgebäude bauen, sondern es geht auch um den öffentlichen Raum und die Vernetzung von Bildungseinrichtungen, das heißt um zeitgemäße Mobilitätskonzepte der Wissensstadt im 21. Jahrhundert. Ebenso gehört das Thema des Metabolismus, also Stadt als Stoffkreislauf dazu. Wie kriegen wir es hin, dass wir in unseren Städten bei der Produktion von Produkten auch wieder in Kreisläufen denken? Ganz konkret heißt das, warum können wir unsere ganze Schulversorgung nicht mit Nahrungsmitteln von Landwirten aus der Region bewerkstelligen? Und wäre es nicht wünschenswert, dass die Kinder wissen, woher etwas und wie es auf den Tisch kommt?

Das sind weitreichende Überlegungen, die über die Architektur hinausgehen...  

Ich sage immer, die Iba Heidelberg hat auch mit Architektur zu tun. Aber sie ist in gleichen Teilen ein Wertediskurs. Wir versuchen mit der Iba einen gesellschaftlichen Prozess anzustoßen. Wir haben das Glück, zusammen mit der Universität Teil eines Reallabors zu sein. Dabei handelt es sich um ein Programm, das das Wissenschaftsministerium fördert. Es ist eine Art „Stadtteilladen“, ein sogenanntes „Urban Office“, der Universität, der Stadt und der Iba, um beispielhafte Projekte und Bürger zusammenbringen und die verschiedenen Aktivitäten auf Forschungs- und Praxisebene zu bündeln. Im „Urban Office“ lassen wir die  Iba-Kandidaten wissenschaftlich begleiten und holen dazu auch Bürgermeinungen ein.  

Ist eine Iba ohne Einbeziehung von Bürgern überhaupt möglich?  

Nein. Aber die Frage ist vor allem, wie komme ich von der Bürgerbeteiligung zur Bürgerverantwortung? Wir haben derzeit das Dilemma, unter anderem ausgelöst durch Stuttgart 21, dass man die Bürger bei jedem Bau- und Stadtentwicklungsprojekt beteiligen will und dann glaubt, dass damit alles in Ordnung sei. Das ist ein Trugschluss. Verantwortung übernehmen bedeutet auch, in Entscheidungsprozesse eingebunden zu sein. Bei den konkreten Bedürfnissen hat der Nutzer die zentrale Kompetenz.  

Braucht man dazu eine Iba?  

Das frage ich mich auch manchmal. Tatsache ist, dass beispielsweise die Weißenhofsiedlung in Stuttgart unter normalen Bedingungen überhaupt nicht realisiert worden wäre. Das ist wie bei einer Olympiabewerbung, man arbeitet zusammen auf das Ziel hin. Dann werden auf einmal Dinge möglich, die vorher nie möglich waren. So gesehen hilft einem eine Iba.

Und danach läuft alles wieder wie gehabt?  

Die Befürchtung ist berechtigt. Im Idealfall kann die Iba grob in mehr als vier Phasen eingeteilt werden: Es gibt die intensive Vorbereitungsphase, in der das Thema festgelegt werden muss. Die zweite Phase ist die Konzeptionsphase, in der die Projekte ausgeschrieben und ausgewählt werden. Das dauert drei zwei bis vier Jahre, wenn man das sorgfältig machen und die Breite des Themas abdecken will. In der Regel gibt es dann eine Zwischenpräsentation, in der noch einmal die Projekte dargestellt und die Ziele ersichtlich werden. Dann geht es in die Realisierungsphase, da werden die Planungen umgesetzt. Zuletzt gibt es das Präsentationsjahr mit begleitenden Fachsymposien und Stadtforen, in denen das Thema verdichtet aufbereitet, erörtert und dargestellt wird. Wir haben in Heidelberg die Erwartung, dass mit der Iba ein Ruck durch die Stadt geht und das Thema Baukultur breit in der Bürgergesellschaft ankommt.

Manch einer kritisiert das inflationäre Auftreten der Iba in den vergangenen Jahren. Verlieren die Internationalen Bauausstellungen nicht an Glanz, wenn es, wie derzeit, sogar mehrere parallel gibt?  

Nein, sie verlieren nur an Glanz, wenn jene, die sich eine Iba „bestellen“, nicht die Möglichkeiten ausschöpfen, die mit dem Instrument Iba gegeben sind. Aber da habe ich wenig Sorge, dass das geschieht. Das Label muss allerdings richtig verstanden werden – die Iba ist kein Marketingartikel – sie ist ein „Stadtlabor“, in dessen Rahmen Prozesse ausprobiert werden sollen. Das kann auch scheitern. Aber die Bereitschaft dazu muss man haben. Neugier und Mut haben das wissenschaftliche und nachhaltige Arbeiten seit jeher ausgezeichnet. So versteht sich auch eine Iba, ein Experiment mit einem offenen Ausgang, das dazu beiträgt, dass unsere gebaute Umwelt wieder identitätsstiftender wird.  

Der Stadtplaner und Städtebauer Michael Braum ist seit 1998 Professor an der Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz-Universität Hannover. Hier leitete er das Institut für Entwerfen und Städtebau. Von 2008 bis 2013 baute er die Bundesstiftung Baukultur mit auf und hatte deren Vorsitz inne. Außerdem war er Mitglied der beiden Expertenbeiräte „Bau“ und „Iba“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Seit 1. März 2013 ist Braum geschäftsführender Direktor der Internationalen Bauausstellung.


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