"Die Qualität einer Promotion lässt sich nicht auf die Güte des Zitierens reduzieren"

28.02.2013 
Redaktion
 
Interview
Foto: Universität Ulm

Foto: Universität Ulm

Stuttgart. Promotionsverfahren und auch der Umgang mit Plagiaten sind laut Karl Ebeling, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz (LRK), geregelt. Allerdings seien diese Regeln im Fall der ehemaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) missachtet worden. Im Interview spricht er über Vorgaben und Versäumnisse.

Staatsanzeiger: Herr Ebeling, Sie haben selbst promoviert. In welcher Erinnerung haben Sie das Verfahren?

Karl Joachim Ebeling: In guter Erinnerung. In den Naturwissenschaften wird man eng betreut und ist in das Institutsleben eingebunden. Das ist aber heute bei strukturierten Promotionsverfahren ganz ähnlich.

Die GEW beklagt allerdings Mängel und fordert verbindliche Betreuungsvereinbarungen.

Das war sicherlich eine Äußerung aus aktuellem Anlass. Betreuungsvereinbarungen gibt es schon lange. Die Annahme als Doktorand muss an allen Universitäten unterzeichnet werden. Anzumerken ist, dass die Dauer von Promotionen besser erfasst werden sollte.

Die GEW kritisiert, dass Unis keine gesicherten Informationen darüber haben, wer eine Promotion beginnt und wie lange sie im Durchschnitt dauern.

Das stimmt so nicht. Es läuft nicht perfekt, ist aber geregelt.

Also wissen die Universitäten, wieviele Promovierende sie haben?

Mit der genannten Einschränkung, ja. Wir müssen aber den Verlauf der Promotionen noch besser verfolgen, das gebe ich gerne zu.

Kritiker meinen, dass dem Promotionsrecht – welches als wichtigstes Privileg der Unis gilt – nicht angemessen Rechnung getragen wird.

Das müssten die Kritiker mir erst einmal erklären. So allgemein kann man das nicht sagen. Die Fälle, die jetzt zur Diskussion stehen, sind Bruchteile eines Prozents, verglichen mit der Zahl aller Promotionen. Ob das Grund genug ist, das ganze System anzuzweifeln, ist fraglich. Wir reden überhaupt nicht über den Wert einer Promotion. Es werden Fehler bemängelt, zum Beispiel durch Abschreiben und schlechtes Zitieren. Aber: Die Qualität einer Promotion lässt sich nicht auf die Güte des Zitierens reduzieren. Es sind vor allem neue Erkenntnisse für den Fortschritt der Wissenschaft zu erbringen. Gegen vorsätzliche Täuschungen ist man nirgends gefeit.

Vermutlich könnte man in jeder Arbeit Fehler finden.

Einen Fehler wird man überall finden. Auch in den besten wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Aber man kann nicht davon ausgehen, dass man in jeder Arbeit Fehlverhalten findet. Im Gegenteil.

Wie bewerten Sie das Vorgehen der Uni Düsseldorf im Fall Schavan?

Viele Universitäten waren damit nicht einverstanden. Es gibt klare Regeln, die wir kürzlich in der LRK nochmals bestätigt haben. Einzelne davon wurden im Fall Schavan dem Anschein nach nicht befolgt.

Was sind das für Regeln?

Zunächst einmal, dass die Beschuldigten zu den erhobenen Vorwürfen angehört und gegenüber den befassten Hochschulgremien detailliert Stellung nehmen können. Das ist ja wohl beim Fall Schavan erst auf Nachfrage geschehen. Aus sachlichen und rechtlichen Gründen ist die Einholung von Gutachten erforderlich, mindestens zwei unabhängige Stellungnahmen sind erforderlich.

Auch externe?

Durchaus auch externe. Das ist im Fall Schavan meiner Ansicht nach nicht erfolgt. Unabhängige auswärtige Gutachter sollten beratend hinzugezogen werden. Dass gutachterliche Stellungnahmen und Entscheidungspersonen getrennt gehalten werden sollen, ist möglicherweise nicht befolgt worden. Auch wurde versäumt, dass die Beurteilungsverfahren im Interesse aller Beteiligten bis zur Entscheidung streng vertraulich behandelt werden. Außerdem sollte das Beurteilungsverfahren in einem angemessenen Zeitraum abgeschlossen werden.

Was heißt angemessen?

Dass man in drei bis vier Monaten zu einem deutlichen Ergebnis kommen kann.

Gibt es weitere Vorgaben?

Die Beurteilung und eventuelle Konsequenzen müssen in angemessener Form mitgeteilt und begründet werden. Gut, das ist im Fall Schavan jetzt am Schluss geschehen, zwischendurch ist vieles an die Öffentlichkeit gekommen. An all dem kann ich nicht erkennen, dass die Richtlinien, die die Landesrektorenkonferenz und die Hochschulrektorenkonferenz für richtig halten, eingehalten worden sind. Diese Leitlinien sind seit mehr als zehn Jahren aus Verfahrensordnungen bekannt.  

Wie kann es sein, dass Doktoranden allein für ein Qualitätsdefizit einstehen müssen? Tragen nicht auch die Hochschulen Verantwortung?

Universitäten tragen eine hohe Verantwortung. Man muss sich fragen und wundern, dass die Promotionskommission das damals so hat durchgehen lassen, wenn es so ist, wie es jetzt beklagt wird. Denn die heutigen Vorwürfe hätten damals größtenteils schon vorgebracht werden können. Und wenn es damals als korrekt empfunden wurde, dann wundert es mich, dass es jetzt plötzlich anders gesehen wird.

Halten Sie auch Konsequenzen unterhalb der Aberkennung für denkbar?

Man kann nicht den halben Doktortitel entziehen. Man muss fragen, ob das Vergehen so schwerwiegend ist, dass eine Aberkennung gerechtfertigt ist. Nochmals: Der Wert einer Doktorarbeit lässt sich nicht auf die Qualität des Zitierens reduzieren. In den Naturwissenschaften würde der Erkenntnisgewinn sicherlich viel höher bewertet. Ich habe aber verstanden, dass dem wörtlichen Zitieren in den Geisteswissenschaften hohe Bedeutung beigemessen wird. Ich möchte an dieser Stelle auf den Ministerpräsidenten verweisen, der kürzlich die Skandalisierung fehlender Fußnoten in Schavans Doktorarbeit beklagt hat.

Dass das Zitieren in den Geisteswissenschaften wichtig ist, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

Wenn alles darauf reduziert wird, ob ein Satz verdreht wird, aber die Quelle angegeben ist, dann hat man wenig Erkenntniszugewinn; das kann bei einer Promotion doch nicht alles sein.

Für die Bewertung von Plagiaten fehlen offensichtlich Maßstäbe.

Die gefährliche Zone ist die Grauzone. Wenn man seitenweise abschreibt und nicht belegt, dann ist das Plagiat eindeutig. Wenn man Quellen angibt, und diese nicht ganz wörtlich wiedergibt, ist das etwas ganz anderes.

Sollte die Universitätsleitung an Verfahren beteiligt werden? 

Die Universitätsleitung ist in gewisser Weise mit eingebunden. Aber ein Promotionsverfahren ist und bleibt zuallererst Sache der Fakultät. Die Promotion wird von der Fakultät vergeben und kann auch nur von ihr wieder entzogen werden. Deshalb sind alle Ideen, die darauf abzielen, über die Fakultät hinwegzugehen, auch in Qualitätssicherungsverfahren, kritisch zu hinterfragen.

Eine Untersuchung des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung hat ergeben, dass bei der Bewertung von Doktorarbeiten eine Mischung aus Wohlwollen und Willkür herrsche. Die Bewertungen würden von Jahr zu Jahr besser.

Letzteres wird man wahrscheinlich auch bei anderen Examina wie Bachelor-, Master- oder Diplombewertungen feststellen können. Willkür ... Das ist eine starke Behauptung. Das sehe ich nicht so. Das ist harte Arbeit, die da erbracht wird.


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