Ralf Michelfelder ist seit einem Jahr Chef des Landeskriminalamts. Sein Anspruch ist es, sich mit allen anstehenden Themen gleichermaßen zu beschäftigen. Aufgaben gebe es immer mehr – bei weniger Personal.
Staatsanzeiger: Kriminelle nutzen das Internet unter anderem für Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel sowie Kinderpornografie. Kann man all dem überhaupt Herr werden?
Ralf Michelfelder: Täter hinterlassen Spuren, nicht nur analog, sondern auch im Internet. Wir haben ja nun wieder eine Rechtsgrundlage für eine Vorratsdatenspeicherung Auch wenn die Daten nur für einen begrenzten Zeitraum gespeichert werden dürfen, sind das für uns nun wichtige Ermittlungsansätze. Es gibt auch noch andere taktische Möglichkeiten, einer Spur im Internet zu folgen. Jeder, der im Internet eine Tat begeht, hinterlässt auf dem Server, den er angreift, einen digitalen Fingerabdruck. Den muss man erkennen und ihm nachgehen. Die Angriffe richten sich gegen die Wirtschaft, Institutionen, Behörden, kritische Infrastrukturen, zum Beispiel Krankenhäuser oder gegen Privatpersonen.
Zum Beispiel?
Da gibt es seit Jahren das Phänomen "Ransomware". Kriminelle verschlüsseln mit Schadsoftware die Daten auf einem Rechner. Es erscheint ein Sperrbildschirm, der nur durch Zahlung wieder freigegeben wird. Das kam anfangs vor allem im privaten Bereich vor. Wir ermitteln aktuell in einem Verfahren, bei dem wir auch dank der Vielzahl der Anzeigen im Datenstrom Gemeinsamkeiten und Auffälligkeiten und damit Ermittlungsansätze erkennen konnten. Wir sind zuversichtlich, dass wir die Tätergruppierung bekommen werden. Der Schaden beträgt derzeit acht Millionen Euro. Das summiert sich.
Und im Wirtschaftsbereich?
Wir haben Fälle, in denen sich Kriminelle fingiert auf eine Stellenanzeige bewerben. Die Täter schicken eine Bewerbung mit angehängtem Lebenslauf und beziehen sich auf die aktuelle Stellenausschreibung. Das ist eine E-Mail, auf die ich als Personalreferent ja warte. Die Mail selbst enthält nicht den Virus. Der wird über durch das Öffnen der Datei nachgeladen. Der Virus verbreitet sich rasant schnell in einem Firmennetz und verschlüsselt alles, was sich darin befindet. Die beste Sicherungsvorkehrung ist, gerade für Personalabteilungen, ein Stand-Alone-Rechner, der nicht mit dem Firmennetz verbunden ist. Nur auf diesem Rechner werden dann Bewerbungsunterlagen, die von außen kommen, abgerufen und geöffnet.
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Arbeit des LKA aus?
Wir haben mit Themen wie Industrie 4.0 oder Smart Home und mit der stärkeren Vernetzung der Firmen innerhalb von Produktionslinien und Zulieferprozessen, aber auch der Gesellschaft, weitaus mehr Angriffsziele bekommen. Man greift nicht unbedingt den Großen an - von dem man der Auffassung ist, er ist stark geschützt. Man geht eher beispielsweise an Zulieferer, an die kleinen und mittelständischen Unternehmen, weil man weiß, dass man damit auch die Großen trifft. Deshalb sind wir mit unserer zentralen Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) nah am Mittelstand dran. Denn der Mittelstand ist Angriffsziel Nummer eins. Was erschwerend hinzukommt: wir sehen zwar den Angriff, aber nicht die Motivation. Das kann ein ganz gewöhnliches Motiv sein, zum Beispiel, Geld zu erpressen. Es kann aber auch Wirtschaftsspionage sein bis hin zu staatlich gesteuerten Einflussnahme und - ja, zum Cyberkrieg. Für uns ist es enorm wichtig, dass uns Firmen Angriffe melden. Nach dem aktuellen IT-Sicherheitsgesetz sind Firmen ab einer gewissen Größe verpflichtet, Angriffe auf ihre Systeme anzuzeigen. Aber auch nicht meldepflichtige Firmen sind uns wichtig. Dadurch helfen sie anderen betroffenen Firmen. Firmen brauchen keine Bedenken haben, dass es sich schlecht aufs Image auswirkt - Das LKA reagiert professionell.
Wenn aber der Täter, beziehungsweise der Server, von dem die Tat ausging, im Ausland liegt, wird es, was die Ermittlungen angeht wieder schwierig.
Wir setzen auf eine enge länderübergreifende Vernetzung der Behörden sowie auf den direkten, unmittelbaren Austausch. Zum Beispiel haben wir gerade einen Fall in China. Dank direkter Kontakte konnten wir zumindest erreichen, dass dort auf einem Konto mehrere Millionen eingefroren wurden, bevor sie abgehoben werden konnten. Uns ist es wichtig, dass wir direkte, unmittelbare Kontakte ins Ausland haben. Das ist für uns ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Sie haben vollkommen Recht, die meisten Cybercrime-Fälle führen ins Ausland. Aber das heißt nicht, dass sie deshalb nicht erfolgreich ermittelt werden können. Letzen Endes bedroht diese Kriminalität ja die anderen Staaten gleichermaßen.
Gehen wir zur organisierten Kriminalität. Wie aktiv sind im Südwesten mafiöse Gruppierungen, vor allem die italienischen?
Es wäre naiv zu meinen, dass die italienische organisierte Kriminalität, beispielsweise die Mafia, sich in Baden-Württemberg nicht bewegen würde. Gerade weil Baden-Württemberg so wirtschaftsstark ist, weil in Baden-Württemberg so viel Geld liegt, ist es natürlich auch attraktiv für Kriminelle, sich hier ihren Teil des Kuchens holen zu wollen. Von unseren Ermittlungen im Bereich organisierte Kriminalität betreffen seit Jahren regelmäßig rund zehn Prozent italienische Tätergruppierungen. Auch im letzten Jahr.
Kann man den Schaden, den diese anrichten, beziffern?
Es gibt eine bundesweite Erhebung des BKA aus dem Jahr 2014. Demnach lag der Schaden in den vergangenen zehn Jahren bundesweit bei rund 80 Millionen Euro. Das sind eben die Schadenssummen, die offiziell bekannt wurden. Denn sie schließen nur den Schaden derjenigen Delikte ein, die wir aufgedeckt haben.
Wie sieht es denn im Bereich der Bauwirtschaft, der öffentlichen Vergabe aus?
In Baden-Württemberg haben wir keine Hinweise darauf, dass Vergabeverfahren im öffentlichen Bereich korrupt ablaufen oder dass sie mafiagesteuert sind. Da hat sich in der Verwaltung in den letzten Jahren viel getan. Zum Beispiel das Vier-Augen-Prinzip und die Rotation. Mittlerweile gibt es da viele Mechanismen. Problematisch sehe ich eher, dass wir inzwischen – insbesondere im Baugewerbe - ein Sub- Sub- Sub- Subunternehmertum haben. Wo jemand, der einen Auftrag vergibt im Grunde gar nicht mehr sicher wissen kann, wer diesen überhaupt ausführt. Das ist eine Entwicklung, die der Transparenz nicht förderlich ist. Was mir im Bereich organisierte Kriminalität wichtig ist: Uns bereitet es zunehmend Sorgen, dass wir eine steigende Zahl von Rocker- und rockerähnlichen Gruppierungen haben und dass es in dem Bereich eine Vermengung zwischen kriminellen Aktivitäten und ethnischen Konflikten gibt.
Inwiefern?
Wir haben Rockergruppierungen, die ganz gezielt beispielsweise kurdische Mitglieder haben, die anderen eher nationaltürkische, wiederum andere bestehen primär aus Albanern. Mittlerweile werden auch ethnische Konflikte über solche Gruppierungen ausgetragen. Wir können heute nicht mehr einfach nur sagen, dass Rockerkriminalität organisierte Kriminalität ist. Sie ist im Zweifel auch politisch motiviert.
Was kann man dagegen tun?
Baden-Württemberg war schon in der Vergangenheit sehr aktiv, auch mit Vereinsverboten, mit einem konsequenten, niederschwelligen Vorgehen. Es kann nicht sein, dass diese Personengruppen die Straße beherrschen und sich angsteinflößend in der Gesellschaft bewegen. Wir haben nichts gegen Motorradfahrer, wir haben auch nichts gegen eine Vereinigung von Motorradfahrern. Wir haben aber etwas dagegen, wenn Vereinigungen sich mit oder ohne Motorräder zusammenschließen, um Straftaten zu begehen oder um ethnische Konflikte auszutragen.
Und wenn man die eine Vereinigung verbietet…
…dann gründen sie eine neue. Das ist immer das Thema. Aber das Verbot bedeutet ja nicht nur, dass die Gruppierung nicht mehr tätig sein darf, sondern da wird auch das Vereinsvermögen eingezogen. Das führt zu einer deutlichen Schwächung. Dann müssen sie sich zunächst neu finden und aufbauen. Man kann aber durch ein Verbot leider nicht erreichen, dass die Gruppierung damit ein für allemal verschwunden ist.
Teil 1 des Interviews lesen Sie in der Ausgabe 32 des Staatsanzeigers.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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