"Unsere 146 Reviere, die sind immer am nächsten dran"

03.02.2016 
Redaktion
 
Interview: Innere Sicherheit
Foto: Vetter

Im zweiten Teil des Interviews spricht Innenminister Reinhold Gall (SPD) über die Terrorgefahr und darüber, wie die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben vorbereitet sind.

Staatsanzeiger: Europol warnt, dass die Terrorgefahr seit zehn Jahren nicht so hoch war, wie derzeit. Wenn es in Baden-Württemberg – wollen wir es nicht hoffen – zu einem Terroranschlag kommt: Sind unsere Behörden auf einen Terroranschlag vorbereitet?

Reinhold Gall: Ja. Wir haben auf die Entwicklung reagiert. Das  Asylpaket I und II waren eigentlich nichts anderes als eine Fortsetzung dessen was wir – manche können es nicht mehr hören, aber es ist so – mit der Polizeireform begonnen haben. Terroranschläge sind nicht nur außerhalb von Europa und Deutschland möglich, sondern wir sind ein mögliches Anschlagsziel. Und ich wurde häufig gefragt: Hat Sie das jetzt überrascht mit Paris? Nein, das hat mich nicht überrascht. Es war eine Frage der Zeit, wo und in welcher Art solche Anschläge stattfinden. Und wir haben in den Asylpaketen I und II darauf reagiert, dass sich die Art der Anschläge ein bisschen verändert hat, nicht deren Wahrscheinlichkeit.

Was wurde konkret unternommen?

Wir haben richtig Geld in die Hand genommen. Wir haben unsere Sondereinsatzkommandos und die mobilen Einsatzkommandos aufgerüstet. Die Defizite, die da vorhanden waren, die sind ja nicht erst seit unserer Regierungsübernahme 2011 entstanden. Überall haben die mir gesagt, Herr Gall, so gut wie wir gerade ausgestattet sind, waren wir noch nie ausgestattet. Wir haben mit Bewaffnung beim Sondereinsatzkommando reagiert. Doch egal wie gut die Ausrüstung ist, sie allein kann Anschläge nicht verhindern. Wir können Anschläge dann verhindern, wenn wir rechtzeitig Informationen haben und dadurch reagieren können, bevor es zu einem Anschlag kommt. Wir haben deshalb in Kriminaltechnik, in Auswertungstechnik, in Observationstechnik investiert.

Nehmen wir ein Polizeirevier. Es wurden Verhaltensempfehlungen für Terroranschläge erlassen. Aber in der Praxis - in der Ausbildung – kommt da noch nicht wirklich etwas an.

Wir haben Handlungsempfehlungen an alle Polizeidienststellen gegeben. Aber es kann in einer solchen Lage – nehmen Sie Paris – nicht Aufgabe eines Reviers sein, diese Situation in den Griff  zu bekommen.  

Die Wahrscheinlichkeit, dass aber eben eine Streife vom Revier gerade als Erstes …

Das wird immer so sein … An dem Gedankengang wird deutlich, welch Unfug in Bezug auf die Umsetzung der Polizeireform gesprochen wird. Die ersten sind immer die aus den Revieren. Wer sonst? Unsere 146 Reviere, die sind immer am nächsten dran, egal was passiert: Ob Verkehrsunfall, Schießerei, Schlägerei, Hausstreitigkeit, Vergewaltigung oder Wohnungseinbruch.

Ja, aber bräuchten sie dann – mit Blick auf die Terrorgefahr - nicht auch Fortbildungen?

Natürlich brauchen sie Fortbildung. Die findet auch statt. Zum Beispiel haben wir lange gebraucht, um alle Polizisten in Amoklagen zu schulen. Wir haben entsprechende Elemente in die Ausbildung einfließen lassen. Auch in die Ausstattung wurde investiert. Mein Anspruch ist immer: Wir prüfen, was wir brauchen und dann sehen wir zu, dass es schnell umgesetzt wird. Die Amokausstattung hat ein wesentlich höheres Schutzniveau: Auf jedem Fahrzeug befinden sich Helme, Nackenschutz, Tiefschutz, Schild. Das hat sonst in dem Umfang bundesweit niemand. Das hilft natürlich gegen eine Panzerfaust nicht. Aber für Terrorangriffe, wie in Paris, können wir die Reviere gar nicht ausstatten. Was die Ausbildung angeht: Das braucht seine Zeit. Die Erfahrungen eines Einzelnen, aus anderen Bundesländern, aus anderen europäischen Ländern müssen einfließen. Es muss ein Ausbildungskonzept gemacht werden, dass dann in die Polizeiausbildung einfließt.

Sollte es zu einem Anschlag kommen, gibt es für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben – etwa Feuerwehr und Rettungsdienst - ein Gesamtkonzept?

Bei so einer Lage hat einmal die Feuerwehr gar nichts verloren vor Ort. Ich bin ja selber Feuerwehrmann. Logischerweise wird die Feuerwehr  auch alarmiert, beispielsweise um Absperrmaßnahmen vorzunehmen. Das kann dann die Polizei nicht auch noch. Aber das ist üblicher Standard. Die BOS-Bereiche arbeiten in unserem Land gut zusammen, da gibt es in vielen Bereichen standardisierte Abläufe. Nehmen Sie einfach mal den Bombenfund kürzlich in Heilbronn. Das ist doch völlig klar, wenn der Kampfmittelräumdienst anrückt, dann wird auch die Feuerwehr alarmiert.

Da braucht man kein eigenes Konzept?

Ich bin zwar der Chef der Polizei, ich bin aber nicht der bessere Polizeiführer.  Die wichtigste Handlungsanweisung in dem Fall wäre einfach, erst einmal die Polizei machen lassen.

Könnte man die Ausrüstung der Polizei dafür noch optimieren?

Unsere Polizei ist eine Bürgerpolizei. Keine martialisch auftretende. Nein es sind praktische Dinge, die da eine Rolle spielen. Es wird ja auch diskutiert, ob die Polizei noch einen Taser braucht, einen Elektroschock. Irgendwann muss man sich auch fragen, wo man das alles tragen will. Natürlich beschäftigt sich, gerade auch unsere SEKs und MEKs, damit, wie die Täter in Paris vorgegangen sind, was sie an Bewaffnung hatten. Das spielt natürlich eine Rolle. Auch in Ausbildungskonzeptionen wird das einfließen. Das ist vorrangig. Was die Reviere angeht: Das ist nun wirklich meilenweit von deren Alltagsgeschäft entfernt. Nicht jeder Polizist muss für eine solche Einsatzlage qualifiziert sein.


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