Stuttgart. Der Landtag ruft Parteien und freie Wählervereinigungen, die kommunalen Spitzenverbände sowie Land- und Kreistage dazu auf, sich im Hinblick auf die Kommunalwahl in Baden-Württemberg im Jahr 2014 geeignete Maßnahmen überlegen, um den Anteil von Frauen in den Gemeinderäten und in der Kommunalpolitik deutlich zu erhöhen. Dieser Antrag der SPD-Fraktion wurde am Mittwoch mit der Stimmenmehrheit der grün-roten Regierungsfraktionen beschlossen.
Jetzt haben es die Frauen in Baden-Württemberg schriftlich: Die Kommunalpolitik im Südwesten ist fest in Männerhand. Wenn es vor Ort um Kindergärten, Schulen, Betreuungskonzepte und soziale Einrichtungen, Nahverkehr, Einkaufsmöglichkeiten, Ansiedlungen von Einzelhandel und Gewerbe geht, um Themen also, die vor allem auch viele Frauen betreffen, entscheiden fast ausschließlich Männer.
Dies geht aus der rund 60 Seiten umfassenden ausführlichen Antwort der Landesregierung auf eine große Anfrage der SPD-Fraktion zum Anteil von Frauen in Gemeinderäten und Kreistagen in Baden-Württemberg hervor, die am Mittwoch im Landtag debattiert wurde. Demnach liegt Baden-Württemberg derzeit mit einem Frauenanteil von 22 Prozent in den Gemeinderäten und von 16 Prozent in den Kreistagen am Ende eines Vergleichs unter den Bundesländern. In 38 Gemeinderäten und Kreistagen des Landes sitzt sogar keine einzige Frau. Auffallend: Mit zunehmender Gemeindegröße steigt der Frauenanteil in den Gremien; gleichzeitig ist er in Ballungsräumen tendenziell höher als im ländlichen Raum.
„Baden-Württemberg ist für Frauen kommunalpolitisches Niemandsland“, stellte die SPD-Abgeordnete Sabine Wölfle dazu fest und präsentierte den Abgeordneten eine Landkarte von Baden-Württemberg mit 38 roten Stecknadeln - an diesen Orten, auffallend vielen im Landkreis Biberach, sind Männer in den kommunalpolitischen Gremien unter sich. „Das wollen wir nach der Kommunalwahl 2014 nicht mehr sehen“, sagte Wölfle. Die SPD-Fraktion hatte mit der Anfrage nicht nur einen detaillierten Vergleich und eine Analyse der kommunalpolitischen Beteiligung von Frauen erbeten, sondern auch nach möglichen Ursachen für den seit 25 Jahren nur schleppenden Anstieg der Zahl weiblicher Mandatsträger um 12,5 Prozent gefragt und geeigneten Maßnahmen, um den Frauenanteil zu erhöhen. Für Wölfe lässt der Bericht der Landesregierung nur einen Schluss zu: Nicht die Frauen müssten sich weiterentwickeln, sondern die Parteien müssten es, die im 21. Jahrhundert noch eine frauenfreie Wahlliste aufstellten. „Frauen haben ein Recht auf Partizipation. “ Die SPD-Abgeordnete forderte von den männlichen Mandatsträgern, sich zu öffnen , und rief die kommunalen Landesverbände zur Mitarbeit auf, um Frauen zur Kandidatur zu bewegen.
Unterstützung bekam die SPD-Politikerin für ihr Anliegen aus allen Fraktionen -wenngleich mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen. „Der Männeranteil in den Gremien liegt bei über 70 Prozent“, bilanzierte Charlotte Schneidewind-Hartnagel von den Grünen, „stellen Sie sich doch einmal vor, es wäre anders herum.“ Baden-Württemberg solle das erste Bundesland werden, das eine geschlechtergerechte Aufstellung der Wahllisten fordere.
„Diese Zahlen sind deprimierend“, sagte auch Friedlinde Gurr-Hirsch (CDU). Die Steigerung in den letzten Jahren könne nicht zufrieden stellen. Eine Quotierung sei nicht der richtige Weg, aber dennoch müssten die Parteien dafür sorgen, dass es genügend Frauen auf den Wahllisten gebe. „Noch 14 Monate bleiben uns“, mahnte Gurr-Hirsch, schlug aber noch ganz andere Töne an: „Andererseits muss man den Frauen, die mangelnde Unterstützung wie zum Beispiel bei der Kinderbetreuung beklagen, sagen: Das Leben ist kein Ponyhof. In einer Fraktion muss man kämpfen.“ Eine Bevormundung durch Quoten oder eine Beschlussempfehlung durch den Landtag lehnte Gurr-Hirsch strikt ab. „Ich bin für einen höheren Frauenanteil und werde mich dafür einsetzen – aber nicht für zentralistische Maßnahmen.“
Auch Jochen Haußmann bedauerte für die FDP den zu geringen Frauenanteil in den Gremien. „Das ist auch für uns ein wichtiges Thema. Aber: Der Wähler wählt. Darauf darf kein Einfluss genommen werden.“ Unterstützung und Konzepte, um Frauen bei einer Kandidatur zu unterstützen, könnten von den Kommunen kommen. „Dazu braucht es keine Verordnung aus dem Landtag.“
Für Innenminister Reinhold Gall (SPD) zeigt der umfassende Bericht den großen Handlungsbedarf auf. „Es gibt viele Handlungsmöglichkeiten. Aber es kommt darauf an, was unternommen wird“, sagte Gall und forderte ebenfalls die Parteien dazu auf, sich des Themas anzunehmen. „Wer soll es denn sonst machen?“ Eine Möglichkeit sei eine paritätische Aufstellung der Listen bei den Kommunalwahlen. „Ich bin für eine Quotierung auf unserer Liste, aber auch dafür, andere Hindernisse zu beseitigen.“ Zudem müssen nach „best practice“-Beispielen in anderen Ländern gefahndet werden. „Wie haben die es geschafft? Bislang haben unsere Maßnahmen jedenfalls nicht den gewünschten Erfolg.“
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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