Stuttgart. „Der Bundesrat sollte als Ort lebendiger sachorientierter Diskussionen stärker in der Öffentlichkeit hervortreten“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bei seiner Antrittsrede als Bundesratspräsident an diesem Freitag. Kretschmann, der selbst ein überzeugter Föderalist ist, will sich während seines Bundesratspräsidentschaft dafür einsetzen, den Föderalismus populärer zu machen. Der Föderalismus habe sich bewährt, so Kretschmann, doch es sei notwendig, die Abläufe im Bundesrat transparenter zu machen. „Dafür muss man den Föderalismus nicht neu erfinden, aber vielleicht an manchen Stellen neu gestalten“, so Kretschmann.
Was Kretschmann damit meint, wird bei dem Besuch einer Bundesratssitzung schnell deutlich. Denn wer die Sitzungen verfolgt, kann schnell den Überblick verlieren. Mit lediglich 35 Punkten auf der Tagesordnung war die Sitzung an diesem Freitag extrem kurz. Doppelt so viele Tagesordnungspunkte sind die Regel. Entsprechend schnell wird über die einzelnen Punkte verhandelt und abgestimmt. Und manch einer wundert sich, wieso bei einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen lediglich eine der sechs anwesenden Personen die Hand hebt bei der Abstimmung. Für den Auseinstehenden ist nicht ersichtlich, dass eine Person für alle Stimmen eines Bundeslands – diese sind nach Größe verteilt – steht. Auch werden lediglich Ja-Stimmen gezählt. Zwischen Enthaltungen – was meist bei Uneinigkeit in einer Koalition in einem Bundesland vorkommt – und Nein-Stimmen wird nicht unterschieden.
Veränderungen in diesem Bereich will Kretschmann während seiner Präsidentschaft anstoßen. Der Ministerpräsident weiß sehr wohl, dass in einem Jahr Bundesratspräsidentschaft – noch dazu vor der Bundesratswahl – Veränderungen nicht einfach umzusetzen sind. „Ich kann sicher vieles Vorbereiten, was meine Nachfolger dann nach der Bundestagswahl umsetzen“, sagt Kretschmann , der einer der wenigen Bundesratspräsidenten ist, der bei seiner Antrittsrede ein klares Ziel für seine Präsidentschaft formuliert hat.
Kretschmann hat die Bundesratspräsidentschaft zum 1. November turnusgemäß von seinem Vorgänger, dem bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) übernommen. Die jährlich wechselnde Präsidentschaft richtet sich von der Reihenfolge her nach der Einwohnerzahl der Bundesländer. Den Anfang macht stets Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Als letztes Land ist Bremen an der Reihe.
Nach Ansicht Kretschmann, sollten sich die Länder auch aktiver mit eigenen Vorstößen ins Gesetzgebungsverfahren einbringen und das Feld nicht Bundesregierung und Bundesrat überlassen. Derzeit kämen lediglich 11 Prozent der Gesetzesvorschläge aus dem Bundesrat. Er machte aber auch deutlich, dass die föderale Ordnung nicht in Stein gemeißelt sei. Im Lichte der politischen, wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit könnten sich Verschiebungen ergeben, die eine Weiterentwicklung des föderalen Systems erforderlich machten. „Wenn uns dies gelingt, dann werden wir auch die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gewinnen können. Und wir werden sie vielleicht sogar für den Föderalismus begeistern können“, sagte Kretschmann.
Denn: „Föderalismus heißt auch Bürgernähe“, sagte Kretschmann. Nur in einem föderalen System könnten politische Entscheidungen nah bei den Menschen getroffen werden, so werde die Bürgerschaft in die Willensbildung einbezogen. „Bürgernähe beruht vor allem auf Subsidiarität, das heißt einem Denken «von unten nach oben»“, machte Kretschmann deutlich. Zudem bedeute Föderalismus, „dass wir unsere regionale, politische und kulturelle Vielfalt bewahren“, so der Bundesratspräsident.
Die politische Agenda während Kretschmanns Amtszeit könnte durchaus für Konfliktstoff sorgen, sowohl zwischen Ländern und Bund als auch zwischen den Ländern untereinander. So stehen etwa die Energiewende und die Suche nach einem Atommüllendlager an. Kretschmann forderte deshalb die Politiker aller Couleur auf, bei der Endlagerfrage unabhängig von Wahlterminen zu einem Konsens zu kommen. Die Energiewende bezeichnete er als Jahrhundertaufgabe, die bloß zu bewältigen sei, wenn sich alle der gemeinsamen Verantwortung bewusst seien.
Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) bat die Länderkammer um Unterstützung für anstehende Gesetzesvorhaben. Etwa bei Energiewende, Finanzmarktregulierung und Überwindung der Krise im Euroraum an. Am Gelingen der Energiewende werde die Politik gemeinsam gemessen, sie sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so Pofalla. Bund und Länder müssten hier jeweils ihren Beitrag leisten - und auch bei der Finanzierung. Damit spielte er auf die Steuererleichterungen für energetische Sanierungen an. Dieses Gesetz liegt derzeit im Vermittlungsausschuss. Baden-Württemberg hat einen Kompromissvorschlag gemacht.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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