"Wir brauchen eine bessere Akzeptanz-, Verständnis- und Fürsorgekultur"

16.04.2018 
Redaktion
 
Interview: Polizeiausbildung
Foto: dpa

Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, sorgt sich um die Ausbildung von Polizisten in Baden-Württemberg. Rahmenbedingungen müssten verbessert werden, er sieht noch viel Entwicklungspotenzial. Dennoch hält er den Polizeiberuf für sehr attraktiv. 

Staatsanzeiger: Herr Kusterer, laut Innenministerium springen 6,5 Prozent der Azubis ab. Woran liegt das?

Ralf Kusterer: Das wird leider nicht gezielt erfasst. Dabei könnte eine Umfrage unter all denjenigen, die ihre Ausbildung nicht zu Ende bringen wichtige Informationen liefern. Nur so lassen sich Maßnahmen ergreifen, um diese Anzahl zu senken oder die Zufriedenheit gezielt zu erhöhen. Davon abgesehen, sagen uns Polizeilehrer, dass die Leistungsbereitschaft deutlich abgenommen hat.

Das heißt?

Ausbilder kritisieren, dass Berufseinsteiger durch Prüfungen rasseln würden, wenn man Maßstäbe wie vor zehn Jahren anlegen würde. Eine Rolle spielt wohl auch, dass das Praktikum auf Kosten der Theorie, von sechs Monaten auf 12 erhöht wurde. Damit wird ein Teil der Ausbildung ins Praktikum verlagert oder entfällt. Prüfungen müssen innerhalb von 4 Wochen wiederholt werden. Im Sport schaffen das einige nicht. Sie müssen gehen, auch bei guten Theorienoten.  

Berufseinsteiger sind also bereits in der Einstiegsphase hohen Belastungen ausgesetzt.

Für Berufseinsteiger kann man nur hoffen, dass sie nach der Ausbildung von erfahrenen Kollegen an  die Hand genommen werden. Das wird durch die Pensionierungswelle immer schwieriger. Wir hören, dass immer wieder jüngere Kollege an Burnouts oder Posttraumatischen Belastungsstörungen erkranken. Eine Erfassung gibt es nicht. Das betriebliche Gesundheitssystem berücksichtigt kaum psychologische Aspekte des Berufs. Wir brauchen landesweit mehr Psychologen, die sie professionell im Berufsalltag begleiten und Hilfestellungen bei der Bewältigung von Krisen geben. So lassen sich auch Erkenntnisse und Erfahrungen sammeln, von denen Prävention und Gesundheitsmanagement nachhaltig profitieren.

Was sie sagen verwundert, denn die Politik stimmt seit Jahren das hohe Lied auf die Prävention im Dienstalltag an. Da ist von Kameradschaft, sensibilisierte Führungskräfte und Einsatznachbesprechungen die Rede.

Da wird manches schöngeredet. Die sozialen Kontakte in der Dienstgruppe gehen zunehmend verloren. Wer nach dem Dienst zusammensitzt, einen Kaffee trinkt und die Schicht revuepassieren lässt, verarbeitet Erlebnisse. Leider ist das heute immer weniger der Fall. Der Zusammenhalt und das Vertrauen unter den Kollegen lassen sich so nicht fördern. Dabei sind das Team und der Umgang miteinander ein wichtiger Faktor für die Psychohygiene. Eigentlich müsste das Dienstzeit sein.

Hat die 2012 angestoßene Strukturreform diese Entwicklung verschärft?

Mit der Polizeireform hat sich einiges verändert. Die Krankenstände dürften landesweit zugenommen haben. In manchen Dienststellen sind über 10 bis 15 Prozent krank. In großen Polizeipräsidien fehlen so täglich über 200 Polizeibeschäftigte. Kommen sie aus dem Krankenstand zurück, fallen jene aus, die Tätigkeiten übernommen haben. Das ist ein Teufelskreis. Seit Jahren leben wir mit wechselnden Führungsstrukturen. Führungskräfte - viele im höheren Dienst - sind nur wenige Jahre an einer Dienststelle. Frage ist, welchen direkten, nachhaltigen Kontakt und welche Vertrauensbasis zu den Beschäftigten aufbaut werden können. Wir brauchen eine bessere Akzeptanz-, Verständnis- und Fürsorgekultur, damit sich die Kollegen an ihrem Arbeitsplatz aufgehoben fühlen. Das ist ein wichtiger Aspekt, wenn wir über Belastungen und Prävention sprechen.

Ist es da nicht kontraproduktiv, dass die Ausbildungsstätten so weit entfernt sind?

Ja, denn neben Kollegen und Führung sind Familie und Freunde wichtig. Die Ausbildung findet in Bruchsal, Lahr oder Biberach statt. So ergeben sich zwangsläufig teils große Entfernungen zum Wohnort. Bisherige Freundschaften können in vielen Fällen nicht mehr gepflegt werden und verkümmern. Gleichzeitig fehlt der enge Kontakt zur Familie, die gerade bei psychischen Belastungen eine große Hilfe ist.

Was sie sagen spricht nicht gerade für die Attraktivität des Berufs.

Wir haben in den Reihen der Polizei sicherlich Entwicklungspotenziale und Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Das heißt aber nicht, dass der Beruf unattraktiv ist. Ganz im Gegenteil. Aber wenn wir junge Menschen von diesem tollen Beruf begeistern wollen und wenn wir gleichzeitig offen damit umgehen müssen, dass dies ein Beruf mit Gefahren ist, dann müssen wir auf deren Bedürfnisse hören und ein Netz spannen, dass sie durch den Beruf trägt. Das gilt in der Ausbildung und danach.   

Eingangs sprachen sie von Defiziten bei der Leistungsbereitschaft. Braucht es beim Berufseinstig eine höhere Eingangsqualifikation?

Das ist davon abhängig, in welchen Laufbahnen wir Ausbildungsplätze anbieten. Das ist eine politische Definition. Die CDU wollte, dass Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss die Chance bei der Polizei bekommen. Diese Möglichkeit wird aber zunehmend von Bewerbern mit Abitur und Fachhochschulreife unterlaufen, weil sie die Einstellungsvoraussetzungen für den gehobenen Dienst nicht erfüllen und über den mittleren Dienst einsteigen. Heute haben wir im mittleren Dienst über 70 Prozent Abiturienten. Ich habe den Eindruck, der CDU ging es darum eine „kostengünstigere Laufbahn“ zu behalten. Und jetzt geht es darum mit einer kürzeren Ausbildung schneller die Stellen zu besetzen.

Eigentlich will jeder Polizist im gehobenen Dienst in den Ruhestand gehen. Dazu braucht es ein Studium, ergo fehlen in den Dienststellen erneut jede Menge Leute.

Etwa 250 Beamte im mittleren Dienst werden jährlich nach einer Aufstiegsprüfung zum Studium an der Polizeihochschule zugelassen. Die Gesamtausbildungszeit bei einem Beamten der die Ausbildung zum mittleren Dienst bereits absolviert hat, beträgt damit 60 Monate, während die Ausbildung zum Polizeikommissar-Anwärter nur 45 Monate dauert. Die Ausbildung dauert 15 Monate länger und diese Kollegen fehlen in diesen 15 Monaten in der operativen Arbeit. Wenn dazu immer weniger Stellen besetzt sind als man bräuchte und Pensionierungen, Elternzeiten, Krankenstände oder Wiedereingliederungen dazukommen, sind die Grenzen des Leistbaren erreicht. Das Personal fehlt an allen Ecken und Enden und sogar notwendige Fortbildungsmaßnahmen erfolgen nicht, weil Kollegen nicht entbehrlich sind.

Was fordern Sie daher?

Es müssen mehr Polizeikommissar-Anwärter eingestellt werden. Betriebswirtschaftlich ist das der sinnvollste Weg. Für die Aufstiegsbeamten im mittleren Dienst muss es aber weiterhin Aufstiegsmöglichkeiten geben. Allerdings reicht nach Auffassung der Deutschen Polizeigewerkschaft dafür ein verkürztes Bachelorstudium, das die praktischen Erfahrungen und Kenntnisse besser berücksichtigt. Eine Verkürzung um bis zu sechs Monate ist sicherlich realisierbar. Leider wird darüber nur geredet und das viel zu lange. Ich bin mir sicher, dass der Rechnungshof unsere Meinung teilt. 


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