Freiburg. Seit 2003 ist Dieter Karlin, ein promovierter Jurist, Direktor des Regionalverbands Südlicher Oberrhein. Über die Alleinstellungsmerkmale der tourismusstarken "Wohlfühlregion", den Bau der Rheintalbahn und die Vorreiterrolle des Regionalverbands in der Energie- und Klimaschutzpolitik sprach er mit Christoph Müller.
Gibt es für Sie Alleinstellungsmerkmale der Region?
Wir sind die Wohlfühlregion in der geographischen Mitte der Trinationalen Metropolregion Oberrhein. Die Verflechtungen über die Staatsgrenzen nach Frankreich und in die Schweiz verleihen unserer Region ein internationales Flair - sowohl wirtschaftlich und kulturell als auch kulinarisch. Die Region ist auch europäische Verkehrsdrehscheibe. Straße und Schiene müssen leistungsfähig sein - aber auch menschen- und umweltverträglich gestaltet werden und zwar so, dass die Region selbst einen Mehrwert davon hat. Dies gilt auch für die Rheintalbahn. Dazu gehört die Erkenntnis, dass in einem dicht besiedelten Raum wie dem Oberrhein Lärm eine besondere Relevanz hat. Drei Viertel aller Bürger fühlen sich in Deutschland durch Lärm gestört. Im Bereich Lärmschutz haben wir durch beharrliches Arbeiten mit vielen Akteuren unserer Region Erfolge zu verzeichnen. Rechtliche Rahmenbedingungen werden aufgrund unserer Initiative auf Bundesebene endlich hinterfragt. Rechtsnormen werden geändert. Der sogenannte Schienenbonus fällt, wie wir es seit Jahren gefordert haben.
Wie könnte der angesprochene Mehrwert der Rheintalbahn für die Region denn aussehen?
Etwa darin, das dritte und vierte Gleis der Rheintalbahn für ein regionales Güterzentrum zu nutzen. Auch die Deutsche Bahn würde lieber heute als morgen beispielsweise den Verladepunkt der „Rollenden Landstraße“ von Freiburg möglichst weit nach Norden verlegen, um die Güter von der Autobahn auf die Schiene zu bringen. Die Diskussion darüber hat gerade begonnen. Entstanden ist sie im Zusammenhang mit dem Tunnel in Offenburg und der Frage, ob der Güterbahnhof in Offenburg noch nötig ist. Wir erwarten, dass die DB konkret prüft, ob auf dem Industriepark in Lahr ein neues Güterverteilzentrum errichtet werden kann, mit einem möglichen Mehrwert für die Region und für die Bahn.
Hand aufs Herz: Ab wann wird der Bahnverkehr auch über das dritte und vierte Gleis rollen?
Für den Raum Freiburg erscheint das Jahr 2020 realistisch. Zwischen Riegel und Offenburg wird es deutlich nach 2020 sein. Das ist schon vom Planungsprozess her nicht anders denkbar. Zunächst ist der Rechtstitel erforderlich. Danach muss die Bahn eine Ausführungsplanung machen. Anschließend folgt die europaweite Ausschreibung. Das dauert auch wieder mindestens ein Jahr. Alle Experten rechnen danach mit einer Bauzeit von weiteren vier bis sieben Jahren. Das summiert sich.
Was ist das dringendste Vorhaben, abgesehen von der Rheintalbahn?
Im Augenblick stehen wir mitten in der der Gesamt-Fortschreibung unseres Regionalplans. Der derzeit gültige ist nach 17 Jahren einfach veraltet. Viele Themen sind da wichtig: die Rohstoffsicherung etwa und der Hochwasserschutz. Und selbstverständlich die Erneuerbaren Energien insgesamt. Mit der Windenergie waren wir sehr früh dran, haben aber schon 2003 oder 2004 gesagt, dass die Windenergie ja nur ein Teil der Erneuerbaren ist. Es wäre eine völlige Verengung des Blickwinkels, wenn sich die Region als der maßgebliche Planungsträger mit den anderen Formen der Energie und der Energieeffizienz nicht befassen würde. Da kam es uns entgegen, dass seit 2001 die Regionalverbände sich auch mittels sogenannter informeller Entwicklungskonzepte des Themas annehmen können. Der Regionalverband Südlicher Oberrhein versteht sich als regionaler Plan- und Impulsgeber.
Sie sehen die Region auch in einer Vorreiterrolle bei der Klimaschutzpolitik. Woran machen Sie diese fest?
Bereits im März 2007 hat sich unser Verband eigene regionalpolitische Energieziele gesetzt. Das von uns mit der Handwerkskammer initiierte Bündnis "Klimapartner am Oberrhein" soll ein wichtiger Baustein für deren Umsetzung sein. Wenn sie regionale Wertschöpfung und Klimaschutz zusammenbringen wollen, brauchen sie ein breites Bündnis. Im Jahr 2009 wurde diese Struktur als europäisches Projekt TRION auf den gesamten Oberrheinraum übertragen. Ist diese strategische Partnerschaft mit der Handwerkskammer eine Besonderheit des Südlichen Oberrheins? Ja, sicherlich. Seit 2008 wurde ich zu zahlreichen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet eingeladen, um darüber zu berichten. Das gleiche gilt für den Geschäftsführer der Handwerkskammer.
Aus der Rolle als Trendsetter bei der Energiewende sind wir allerdings schon lange herausgewachsen. Spätestens seit Fukushima besteht über die Energiewende Konsens in der Gesellschaft. Als Impulsgeber in der Breite müssen wir uns nicht mehr so stark engagieren. Was die Windenergie angeht, haben die Regionalverbände jetzt zwar ein Stück weit bei der Planungskompetenz "verloren". Gleichzeitig hat aber der Landtag Mitte Februar im Staatshaushaltsplan den Regionalverbänden von 2012 bis 2014 jährlich 200 000 Euro zur Verfügung gestellt, um die Aufgabe als regionale Kompetenzzentren Windkraftplanung zu leisten. Diese nun mit den Gemeinden gemeinsam zu organisieren, das ist eine spannende Sache.
Anpassung an die Folgen des Klimawandels tut not. Was steht da an erster Stelle?
Der Hochwasserschutz, ganz eindeutig. Stichwort integriertes Rheinprogramm. Daneben muss der Schutz an den Zulaufflüssen forciert werden. Der bedeutendste davon ist die Kinzig. Wichtig ist aber auch Anpassungsstrategien zu entwickeln und beispielsweise, die kleinklimatologischen Gesichtspunkte mit zu berücksichtigen. Schon 2007 haben die Universität Basel und die FU Berlin eine regionale Klimastudie für uns erarbeitet. Diese hat gezeigt, dass vor allem Kaltluftzonen erhalten werden müssen, damit die menschliche Gesundheit nicht geschädigt wird. Über den Regionalplan können solche Flächen für eine künftige Siedlungsentwicklung freigehalten werden. Der extreme Hitze-Sommer 2003 ist bei vielen schon vergessen - bei uns nicht.
Themawechsel: "Metropole" ist ein Begriff, den man im Süden Deutschlands mit München oder Stuttgart verbindet - künftig aber, wenn es nach ihnen geht, auch mit dem Oberrhein ...
Der Ansatz der Europäischen Metropolregionen ist ein Konzept der Raumordnung. Mitte der 1990er-Jahre wurde bundesweit das Konzept der Metropolregionen entwickelt. In Deutschland wurden damals sieben Metropolregionen anerkannt. Das Konzept der europäischen Metropolregionen wird im raumordnerischen Leitbild des Bundes und der Länder abgebildet. Als dies 2005 fortgeschrieben werden sollte, haben wir, die Regionalverbände Mittlerer und Südlicher Oberrhein gesagt: Moment! Der Oberrhein erfüllt ja alle Kriterien. Auf diesem Weg sind wir jetzt. Das Thema ist unwiderruflich auf der politischen Agenda. Das Projekt dazu wird vom Bund und anderen unterstützt. Wir wollen, dass solche metropolitanen Grenzregionen auch stärker ins europäische Bewusstsein rücken. Neben dem Oberrhein sind dies noch die Region Saar-Lux, Aachen und der Bodenseeraum. Das zeigt: Auch einem von der politischen Bedeutung her eher bescheidenen Regionalverband ist es möglich, wichtige gesellschaftliche Anliegen öffentlich zu thematisieren und Bewegung in die (Bundes-)Politik zu bringen.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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