Ludwigsburg. Viele Kommunen haben mit dem Rückgang der Einwohnerzahl zu kämpfen. Ein Instrument, um neue Bürger zu gewinnen und auch binden zu können, ist deren Beratung. Doch diese stößt vielerorts an Grenzen. An der Hochschule Ludwigsburg untersucht man, wie diese verbessert werden kann.
Staatsanzeiger: Wie serviceorientiert sind die Kommunen in Sachen Neubürgerberatung?
Birgit Schenk: Eine Beratung für Neubürger haben die meisten Kommunen noch nicht im Blick. Das liegt unter anderem daran, dass das nicht in das originäre Aufgabenfeld der Kommunen fällt. Neubürgerberatung ist keine Pflicht-, sondern eine Zusatzaufgabe, der sich die Kommunen annehmen können. Dadurch gibt es in der einen Kommune ein bisschen mehr und in der anderen ein bisschen weniger.
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sollte man den Kommunen aber doch dazu raten, neue Bürger umfassend und serviceorientiert zu beraten?
Ja und nein. Man muss das schon realistisch sehen. Warum ziehe ich in eine Stadt? Für eine Region entscheidet man sich häufig aufgrund eines Arbeitsplatzes, eine Stadt dagegen sucht man schon gezielter aus. Da spielen zum Beispiel Parameter wie Distanz zum Arbeitsplatz und das Angebot an Schulen eine Rolle. Erst dann schaut man, was die Stadt sonst noch zu bieten hat. Über die Neubürgerberatung könnte aber so manches Angebot einer Kommune bekannt gemacht werden. Diese Chance lassen viele Kommunen ungenutzt.
Kann die Neubürgerberatung durch Web 2.0 verbessert werden?
Das Ergebnis unserer Forschung ist, dass sich das nicht anbietet. Ich würde das Kommunen als ergänzende Maßnahme zur Beratung empfehlen, also zur Vor- und Nachbereitung. Aber in der Beratung an sich ist Web 2.0 kaum geeignet.
Sie haben herausgefunden, dass sich ein Wiki zur Weitergabe von Informationen eignet.
Ja. Wenn die Kommune das allerdings in der Beratung einsetzen würde, stößt sie recht schnell an Grenzen. Denn der Bürger vertraut den Informationen, die von einer Kommune kommen zu fast 100 Prozent. Das heißt, wenn ich mich als Beraterin einer Kommune auf ein Wiki stütze, müsste das was darin steht, 100 prozentig korrekt sein. Wenn daran aber auch Bürger beteiligt werden sollen, kann man das Instrument dann schon nicht mehr einsetzen. Die Kommunen haben eine Verpflichtung: Alles was sie an Informationen weitergeben, muss korrekt und rechtssicher sein. Sonst kann eine Klage folgen. Deshalb müsste ein Wiki von der Kommune selbst aufgebaut und gepflegt werden. Und diesen Aufwand können die Kommunen zusätzlich kaum stemmen.
Wie ist der Stand der Dinge im aktuellen Forschungsprojekt „IT-gestützte Neubürgerberatung“?
Wir, die Universität Zürich mit dem Team um Prof. Dr. Gerhard Schwabe und mein HVF-Team, haben die Pilottests sehr erfolgreich durchgeführt. Getestet haben wir das entsprechende Programm mit zwölf Beratern der Stadt Mannheim. Diese waren hochbegeistert von dem System. Auch die Bürger waren begeistert. Nun warten wir darauf, dass die Stadt Mannheim den nächsten Schritt – in die Pilotierung – geht. Dann kann man schauen, wie die Beratungen in die bestehenden Strukturen integriert werden können. Diese muss man leicht verändern. Denn das geht nicht ohne Weiteres im normalen Tagesgeschäft, in dem in erster Linie Anliegen der Bürger abgearbeitet werden müssen. Eine normale Beratung dauert bis zu zehn Minuten. Eine umfassende Beratung dauert bis zu 30 Minuten. Wir wollen dann im laufenden Betrieb testen, wie die IT-gestützte Beratung beim Bürger ankommt und genutzt wird.
Wie sieht so eine Beratung aus?
Ein Programm unterstützt den Berater durch den gesamten Beratungsprozess hindurch. Zu jeder einzelnen Beratungsphase bietet das System Hilfestellung. Mitarbeiter bekommen Hinweise zum Ablauf und dazu, was für den Bürger relevant ist. Zum Beispiel kann sich der Mitarbeiter bei der Anliegenerhebung an einer Schlagwortwolke orientieren, die ihm Aspekte vorschlägt. Diese muss er dann aber auf die Lebenssituationen des Bürgers übertragen. Zu jedem Thema sind Informationen hinterlegt. Doch der Mitarbeiter wird dabei lediglich vom System gestützt, nicht dominiert. Der Bürger kann das alles an einem großen Touchscreen mit verfolgen. Das hilft gleichzeitig bei der Vermittlung und man nimmt den Bürger mit. Zum Beratungsabschluss wird das Prozessergebnis in einem Dokument festgehalten. Damit der Bürger etwas in der Hand hat. Das vermeidet Mehrfachfragen und stellt eine Zeitersparnis dar. Sowohl für die Bürger als auch für die Kommune.
Bis wann sind Ergebnisse zu erwarten?
Die Pilotphase könnte ab September starten. Teilergebnisse werden in Kürze vorgestellt. Der Endbericht wird bis spätestens Ende nächsten Jahres vorliegen.
Studierende der Hochschulen für öffentliche Verwaltung Kehl und Ludwigsburg berichten über ihr Praktikum im Rahmen des Praxisjahrs im Vertiefungsschwerpunkt Kommunalpolitik/ Führung im öffentlichen Sektor beim Staatsanzeiger.
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