"Die Gleichbehandlung ist für mich ein Heiligtum"

12.07.2013 
Von: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer
 
Redaktion
 
Interview mit Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger
Klaus Pflieger. Foto: privat

Klaus Pflieger. Foto: privat

Stuttgart. Der scheidende Generalstaatanwalt Klaus Pflieger war bei vielen Ermittlungen und Prozessen dabei, die die Republik bewegten: Von der Todesnacht von Stammheim 1977 über die RAF-Prozesse bis zu den Verfahren wegen dem Mordanschlag von Mölln und dem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge. Im Gespräch mit Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer unterstreicht er die Bedeutung einer „vollkommen wertfreien Strafverfolgung“, äußert sich dazu, was anders und was gleich ist, wenn Prominente vor Gericht stehen - und was den Staatsanwaltsberuf heutzutage attraktiver denn je macht.

Der Rechungshof verlangt, in der Landesverwaltung 30 000 Stellen zu streichen. Könnte die des Generalstaatsanwalts eine davon sein?

Ganz sicher nicht. Ein Generalstaatsanwalt ist nötig, um die Weichen der Strafverfolgung innerhalb der Justiz zu stellen.

Inwiefern?

Wir haben den großen Vorteil, in Baden-Württemberg eine wirklich unabhängige Staatsanwaltschaft zu haben. Der damalige Justizminister Ulrich Goll hat vor etwa zehn Jahren die sogenannten Absichtsberichte abgeschafft. Das heißt, die Politik mischt sich in unsere Entscheidungen überhaupt nicht mehr ein, sondern erfährt erst im Nachhinein, ob wir ein Verfahren eingeleitet haben, ob wir einen Haftbefehl beantragt haben, ob wir Anklage erhoben haben. Das ist eine Ausnahme bundesweit und macht uns unabhängig.

Und der Generalstaatsanwalt ist und versteht sich als Garant dieser Unabhängigkeit?

Und er ist derjenige, der den Kopf hinhält für Entscheidungen. Wenn etwas schiefgeht, hat er das, weil er in der Hierarchie ganz oben steht, zu verantworten. Unsere Staatsanwaltschaften sind hierarchisch aufgebaut und müssen das auch sein. Wir haben viel Verantwortung nach unten verlagert und eine fast richterähnliche Unabhängigkeit in den einzelnen Staatsanwaltschaften. Wir sitzen aber im selben Boot, was auch heißt: Ihre Fehler muss ich auslöffeln. Wir Staatsanwälte müssen dafür sorgen, dass es in unserem Land eine vollkommen wertfreie Strafverfolgung gibt, unabhängig von den Personen. Damit machen wir uns nicht nur Freunde, etwa in der Wirtschaft oder in der Politik. Denken Sie an das Beispiel Würth. Da hat es einen Aufschrei gegeben, weil jemand, der sich so verdient gemacht hat, ein Mäzen in Sachen Kunst und als Unternehmer einer der größten Steuerzahler im Land, strafrechtlich belangt wurde. Die Verurteilung hat gezeigt: Das war der einzig richtig Weg. Wenn wir davon abkommen, wenn wir manche Leute anders behandeln als den üblichen Durchschnittsadressaten, dann hätte unser Staat insgesamt verloren. Diese Gleichbehandlung, das Legalitätsprinzip, ist für mich ein Heiligtum.

Stichwort Öffentlichkeit: Da gibt es ja sehr viele Facetten. Zum Beispiel die Flut von Fernseh-Serien, die ein bestimmtes Bild des Berufsstandes zeichnen, ein aggressives, parteiisches, sehr offensives.

Der Staatsanwalt ist im Fernsehen tatsächlich sehr oft der mit dem Schaum vor dem Mund. Das ist aber der Typ des Strafverfolgers aus den USA, das ist nicht der unsere. Nur leider prägt der Eindruck, den die Medien täglich erzeugen, sehr. Ich habe viel Öffentlichkeitsarbeit betrieben, um dem entgegenzuwirken. In den allermeisten Gesprächen läuft man aber gegen eine Wand, wenn man verdeutlichen will, dass wir - anders als der amerikanische Staatsanwalt - in Deutschland ebenso wie die Richter zur Objektivität verpflichtet sind. Gerade junge Leute, die Jura studieren, zieht genau das zur Staatsanwaltschaft. Der breiten Öffentlichkeit ist das aber praktisch nicht zu vermitteln.

Wie ist es mit dem Unterschied zwischen Schein und Sein beim Thema Kriminalitätsentwicklung?

Ganz ähnlich. Die harten Fakten sprechen eine andere Sprache als die oberflächliche Wahrnehmung. Wir haben, seit ich 1995 Leiter der Staatsanwaltschaft in Stuttgart wurde, einen Rückgang der Kriminalität um weit mehr als zehn Prozent und speziell bei Kapitalverbrechen, also bei Mord und Totschlag, fast eine Halbierung. Der subjektive Eindruck ist aber: Die Welt wird jeden Tag schlimmer. Woran, wenn ich das sagen darf, auch die Medien nicht ganz unschuldig sind, mit ihrem Hang zu „bad news“ als den interessanteren Nachrichten …

… zum Beispiel? 

Die jüngsten Statistiken. Die Zahlen bei allen Straftaten sind erneut zurückgegangen. Mit einer einzigen Ausnahme, nämlich bei den Wohnungseinbrüchen. Wie lautet dann die Überschrift über den Bericht zur Gesamtentwicklung? Natürlich:  Wohnungseinbrüche haben zugenommen. Dagegen anzuarbeiten, das ist ein ewiger Kampf. Die Kriminalität sinkt - und die Kriminalitätsangst steigt. Das ist unbefriedigend. Ich will niemandem eine heile Welt vorgaukeln. Ich will nur, dass die Realität gesehen wird.

Sie haben die Verfahren mit Prominenten bereits angesprochen. Was läuft da anders? 

 Prominente Namen beeinflussen unsere Arbeit von außen her. Der öffentliche Druck, die Medien sind da hinter her. Gerade auch, weil immer wieder versucht wird, Stimmungen zu erzeugen. Da kommen wir um die Stichworte Sensationsberichterstattung und Skandalisierung nicht herum.

Das kennen Sie seit den 1980er-Jahren, als Sie als Bundesanwalt in Stammheim tätig waren bei Prozessen gegen RAF-Mitglieder. 

Viele, auch sehr prominente Namen haben uns im Prozess gegen Peter-Jürgen Boock herunterzuschreiben versucht. Das war keine einfache Situation, aber wir haben darin auch die Herausforderung gesehen, beim Thema Objektivität noch schärfer hinzusehen. Inzwischen sind wir mit ganz anderen Mechanismen konfrontiert. Mit prozessbegleitender Öffentlichkeitarbeit, wie der Begriff aus dem Amerikanischen übersetzt heißt, versuchen Verteidiger, Einfluss auf die Öffentlichkeit zugunsten des Mandanten zu nehmen und Angriffe auf den Mandaten abzuwehren. Da müssen Staatsanwälte überlegen, ob und wie sie dagegenhalten. Das sind wir der Öffentlichkeit schuldig. Und dann gilt auch: Gerade wenn Strafverfahren über die Medien laufen, ist schnelles Recht gutes Recht.

Wie steht es um die Verfahrensdauer im Normalfall?

Wir haben die durchschnittliche Verfahrensdauer von 70 auf 45 Tage reduziert. Das ist ein Wert an sich. Haftfälle müssen noch schneller bearbeitet werden. Jemand bekommt die Freiheit genommen. Das ist ein Eingriff, und diesen Eingriff müssen wir auf das Notwendigste begrenzen.

Kann Schnelligkeit auf Kosten der Gründlichkeit gehen?

Das darf sie nicht. Deshalb haben wir unsere Abläufe, die Herangehensweise und die gesamte Atmosphäre verändert. Wir setzen wirtschaftsähnliche, auf unser System zugeschnittene Elemente ein. Mit meines Erachtens phantastischen Ergebnissen, auch was die Stimmung in den Staatsanwaltschaften anbelangt. Niemand soll stupide vor sich hinarbeiten. Und der Chef muss Widerspruch ertragen. Ich gehe so weit zu sagen: Wir müssen Mitarbeiter mit „Hofnarren-Status“ haben, die wissen, sie können ihre Meinung sagen, ohne dafür benachteiligt zu werden, was nicht immer einfach ist in hierarchischen Behörden. Aber das hat große Auswirkungen, nicht nur auf den Alltag, sondern auch auf den Ruf der Staatsanwaltschaft. Als ich junger Assessor war, wollten alle Richter werden. Heute sind Staatsanwaltschaften eine sehr gute Adresse für den Nachwuchs, und das freut mich. Die Mitarbeiterzufriedenheit ist sehr hoch, was übrigens auch mit dem sehr aktuellen Stichwort „Frauenförderung“ zu tun hat: Wir haben schon Ende der 1990er-Jahre eine Kindertagesstätte eingerichtet und waren lange Zeit auf diesem Gebiet die einzige Einrichtung der Justiz im ganzen Bundesgebiet. Das war eine meiner wichtigsten Entscheidungen als Leiter der Staatsanwaltschaft Stuttgart - und ein Signal, auf das ich heute noch angesprochen werde.


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