Geißler: Stuttgart 21 wird gebaut

30.11.2010 
Redaktion
 
Eine wichtige Entscheidung über die Zukunft des Stuttgarter Hauptbahnhofs hat heute Heiner Geißler gefällt: Es wird gebaut, aber mit Auflagen. Foto: Stuttgart 21

Stuttgart. Heiner Geißler hat sich in seinem Stuttgart 21-Schlichterspruch für einen Weiterbau des Projekts ausgesprochen, aber deutliche Verbesserungen gefordert. Ein Abbruch der Bauarbeiten wäre nach seiner Ansicht zu teuer. Ein landesweiter Volksentscheid sei rechtlich nicht möglich, sagte Geißler am Dienstag in Stuttgart.

Nach seinen Angaben verpflichtet sich die Bahn zu einem «Stresstest». Bei dieser Simulation muss die Bahn nachweisen, dass ein Durchgangsbahnhof in der Spitzenstunde um 30 Prozent leistungsfähiger sei als der bestehende Kopfbahnhof. Ansonsten muss die Bahn unter anderem zwei weitere unterirdische Gleise bauen.

Grüne und SPD fordern weiterhin einen Volksentscheid über das Projekt. «Stuttgart 21 ist nach wie vor kein gutes Projekt», sagte der Grünen-Fraktionschef im Landtag, Winfried Kretschmann: «Im Fall eines Regierungswechsels werden wir eine Bürgerbefragung oder einen Volksentscheid einleiten.» Darüber seien sich Grüne und SPD einig. Immerhin seien aber durch die Schlichtung erhebliche Nachbesserungen erreicht worden.

Die Bahn kündigte an, die Bauarbeiten wieder aufzunehmen. Zuvor würden die Ergebnisse der Schlichtung sorgfältig analysiert, sagte Bahnvorstand Volker Kefer.

Die beim Bau freiwerdenden Gleisflächen müssen nach den Worten Geißlers einer möglichen Grundstücksspekulation entzogen werden. Die Areale sollten einer Stiftung überschrieben werden. Darüber seien sich Gegner und Befürworter einig. Notwendig sei eine Frischluftschneise für die in einem Talkessel liegende Landeshauptstadt. Bei der Nutzung der Flächen müssten Ökologie, Familien-, Behinderten- und Kinderfreundlichkeit beachtet werden.

Gegner und Befürworter des Projekts haben sich nach Geißlers Angaben auf einen Kompromiss im Streit um die Abholzung der Bäume im Schlossgarten geeinigt. Künftig sollen möglichst keine Bäume mehr gefällt werden. Falls dies noch nötig sei, müssten die Bäume verpflanzt werden, sagte Geißler.

Er wertete die Schlichtung als Erfolg: Dass sich Bürgerinitiativen, Minister und Bahnvorstande an einen Tisch setzten, «das war vor Monaten noch undenkbar». Es habe ein «faires Gegenüber» gegeben. Dass der Faktencheck gelang, sei «fast ein Wunder». Der ehemalige CDU-Generalsekretär sprach von «moderner Aufklärung», die es schon vor Jahren hätte geben müssen. Das Ergebnis nannte er «Stuttgart 21 plus».

Bei der oppositionellen Landtags-SPD stieß der Schlichterspruch auf Kritik. «Es ist unverständlich, dass Geißler bei Stuttgart 21 einen Volksentscheid ablehnt, obwohl er eigentlich mehr Bürgerbeteiligung bei Großprojekten fordert», sagte Vizefraktionschef Nils Schmid.

Ministerpräsident Stefan Mappus und Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner (beide CDU) zeigten sich dagegen erleichtert. «Es ist ein guter Tag für Baden-Württemberg», sagte Mappus. Gönner erklärte, sie freue sich darüber, dass Geißler sich «so klar für den Weiterbau» ausgesprochen habe.

Der Streit um das Milliardenprojekt tobt seit Monaten. Weil die Kosten immer weiter stiegen, zogen immer mehr Gegner gegen Stuttgart 21 auf die Straße. Erster großer Aufreger waren die Abrissarbeiten am Nordflügel des Bahnhofs im Herbst. «Der Spalt ging quer durch die gesamte Stadtbevölkerung», sagte Geißler. Als dann im Schlossgarten die ersten Bäume gefällt wurden, eskalierte das Geschehen. Bilder von einem harten Polizeieinsatz gegen Demonstranten mit weit mehr als 100 Verletzten gingen am 30. September um die Welt. Wenige Tage später regte Ministerpräsident Mappus in einer Regierungserklärung die Schlichtung unter Geißlers Leitung vor.

Bei Stuttgart 21 soll der Kopfbahnhof für von der Bahn geschätzte 4,1 Milliarden Euro unter die Erde verlegt und an eine ICE- Neubautrasse nach Ulm verbunden werden, die laut Bahn weitere 2,9 Milliarden Euro kosten soll. Gutachter der Gegner errechnen wesentlich höhere Kosten in insgesamt zweistelliger Milliardenhöhe.

Am Dienstagmorgen hatten Befürworter und Gegner des Bahnprojekts in ihren Plädoyers zum Abschluss der Schlichtung noch einmal eindringlich für ihre Positionen geworben. Ministerpräsident Mappus sagte, die Tieferlegung des Hauptbahnhofs sei für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes enorm wichtig. «Wir können es uns nicht leisten, dass der Zugverkehr Baden-Württemberg links liegen lässt.» Die Chancen der Stadt Stuttgart durch die freiwerdenden Gleisflächen in der Innenstadt verglich Mappus mit den Chancen Berlins durch die ehemaligen Mauerflächen.

Für die Gegnerseite warnte Stuttgarts Grünen-Fraktionschef Werner Wölfle vor einem unveränderten Fortgang der Bauarbeiten am Bahnprojekt: «Angesichts der Fakten, der Mängel, der Risiken, der unzureichenden Finanzierung kann es kein Weiterbauen wie bisher geplant geben.»

Die Bahn versprach, künftig bei großen Vorhaben stärker den Austausch mit den Bürgern suchen. «Wir glauben, dass ein gesellschaftlicher Grundkonsens für Großprojekte nötig ist. Wir werden uns stärker öffnen und wollen deutlich mehr Transparenz», sagte Bahnvorstand Kefer.

Sinnbildlich für Geißlers besondere Art, die Schlichtung zu leiten, war seine besonders herzliche Begrüßung von BahnchefRüdiger Grube: «Es ist gut, dass Sie sich für das Ergebnis der Schlichtung interessieren», sagte Geißler. Und dann legte der 80-Jährige los, nach dem Motto «Was ich Ihnen schon immer mal sagen wollte»: Der Kaffee in den ICE-Zügen sei von «zu verbessernder Qualität», die Hotline der Bahn sei «ein echtes Ärgernis», die Kartenautomaten ebenso. Einzig für die Servicecenter hatte er Lob: Diese funktionierten, «weil man sich dort mit Menschen unterhalten kann»


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