Der Wechsel nach dem Wechsel

07.05.2016 
Redaktion
 
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Leinfelden/Echterdingen/Ludwigsburg. Nach der CDU hat am Samstag auch der größere Koalitionspartner den Weg für eine neue Landesregierung frei gemacht.  Beim Parteitag der Grünen in Leinfelden-Echterdingen votierten 202 der 221 Delegierten bei 14 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen für den Koalitionsvertrag. „Wir haben keinen Rückwärtsgang eingelegt“, lobte die künftige Finanzministerin Edith Sitzmann viele Details, darunter das neue fünfjährige Bleiberecht für Flüchtlinge in Ausbildung und im Anschluss in Arbeit.

Mehr Symbol geht kaum: Die Grünen feiern sich und ihren Erfolg vom 13. März im Wahlkreis von Winfried Kretschmann. Hier hat der Ministerpräsident die Partei mitbegründet, hier hat er vor acht Wochen zum ersten Mal das Direktmandat gewonnen, mit 35 Prozent, einem Plus von neun Punkten. Er selber schlägt den Bogen: „1980 sind wir mit 5,3 Prozent in den Landtag eingezogen.“ Der Wermutstropfen damals sei gewesen, „die CDU war mit 53 Prozent zehn Mal so stark“.

Und er verteidigte noch einmal die Grundsatz-Entscheidung, mit der Union Verhandlungen aufzunehmen. In einer derart schwierigen Situation wie nach dieser Wahl ohne Mehrheiten für die klassischen Lager, habe sich zeigen müssen „welche Parteien bereit sind, ihre eigenen Wünsche und Befindlichkeiten zurückzustellen". Die FDP habe sich dieser Verantwortungsübernahme verweigert und ziehe es vor, "in der Opposition weiter rumzumäkeln anstatt Politik in der Regierung zu gestalten“.

Auf den Tag genau vor fünf Jahren hatten die Grünen, damals in Stuttgart, ihren Koalitionsvertrag mit der SPD („Der Wechsel beginnt“) präsentiert. Die Stimmung war überschwänglich, am Ende flogen Sonnenblumen. Die Landesdelegiertenkonferenz war diesmal eher geprägt vom Bemühen, die eigenen Verhandlungserfolge herauszustreichen. Auch der alte und neue Regierungschef pries die Koalitionsvereinbarung mit der Union als „wesentlich besser, als ich dies noch vor ein paar Wochen für möglich gehalten habe“.

Am Freitag bei der CDU in Ludwigsburg hatte es viel Kritik an den Grünen gegeben, der Landesvorsitzende Thomas Strobl arbeitete sich regelrecht ab am neuen Partner. In Leinfelden-Echterdingen konterte Kretschmann souverän mit lobenden Worten: „Wir haben beide mit Respekt voreinander gerungen, in dem Bewusstsein, dass auch der andere Recht haben könnte, und mit dem festen Willen etwas Tragfähiges hinzubekommen, das unser Land voranbringt.“

Grundsatzkritik wurde in der gut zweistündigen Debatte kaum laut. Für die einzige Protestaktion sorgten Vertreter der Grünen Jugend, die, mit Plakaten ausgestattet, auf der Bühne verschiedene Zugeständnisse an die CDU rügte. Ein Redner grämte sich, zumal nach der Festsetzung von rund 700 Gegendemonstranten vor einer Woche beim AfD-Parteitag durch die Polizei, dass die anonymisierte Kennzeichnungspflicht bei Großeinsätzen wieder nicht durchgesetzt werden konnte. Leonie Wolf, eine der beiden Vorsitzenden der Nachwuchsorganisation, kritisierte, dass das Asyl- "ein CDU-Kapitel geworden" sei. Die Rhetorik sei teilweise „unerträglich“, etwa wenn Menschen mit Androhungen zur Integration gezwungen werden sollten.

An einer anderen Stelle gab’s dann doch noch Lob von ihr. Die CDU hatte sich bekanntlich gelobt dafür, das Wort Gender aus dem Vertrag herausverhandelt zu haben. Dabei gehe doch gar nicht um das Wort, so die Vorsitzende der Grünen Jugend, sondern um die Inhalte, „und die stimmen“. Auch Stuttgarts OB Fritz Kuhn kündigte an – „Wording hin oder her“ – die „Politik des Gehörtwerdens“ auch weiterhin so zu nennen, auch wenn dem Koalitionspartner dieser Begriff nicht gefalle.

Bonde nimmt Abschied von der ersten Reihe

Zwei Auftritte sorgten für Aufsehen, unabhängig von der Bewertung der Ergebnisse. Tübingens OB Boris Palmer trat auf im rotgepunkteten Trikot des Siegers der Bergwertung der Tour de France, um für Grün-Schwarz zu werben. Und Alexander Bonde nahm nach dem Bekanntwerden seiner Affäre mit einer Grünen „für die nächsten Jahre“ den Abschied aus der ersten Reihe, um sich den Basisvertretern zugleich anzudienen: „Ob ihr mich braucht und wo ihr mich braucht, das müsst ihr entscheiden, aber wenn ihr mich braucht, bin ich da.“

Noch unmissverständlicher der Botschaft von "Wir sind Helden", die die Parteitagsregie als Schlusspunkt, zur Untermalung des Aufmarschs der neuen großen Fraktion, allen Anwesenden mit auf den Heimweg in die Nachmittagssonne geben wollten: "Gekommen, um zu bleiben, wir gehen hier nicht mehr weg."

Mit nur 17 Gegenstimmen hatten sich die 325 CDU-Delegierten am Freitag in Ludwigsburg für eine Landesregierung geführt von den Grünen ausgesprochen. Zuvor hatte CDU-Landeschef Thomas Strobl nicht nur engagiert für die neue Koalition „auf Augenhöhe“ und die Zusammenarbeit von zwei „praktisch gleichstarken Partner“ geworben. Sondern die Basis hat die Möglichkeit zur Aussprache auch in einer für den Landesverband bisher unbekannten Art und Weise genutzt. Strobl reagierte auf die zweieinhalbstündige Debatte regelrecht beseelt: Sie lasse „mein Herz voller Freude sein“.

Wolfs Zukunft weiter offen

Die Frage aller Fragen rund um die neuen Machtverhältnisse in der Spitze der Südwest-CDU blieb auch in Ludwigsburg unbeantwortet. Guido Wolf beantwortete die Frage nach seiner Zukunft abermals nicht. In seiner Rede kündigte an, entweder in die Regierung zu gehen, Fraktionschef zu bleiben oder einfacher Abgeordneter zu werden. Die inhaltlichen Würfel allerdings sind gefallen. So eindeutig, wie das viele Kritiker der neuen Regierungskonstellation wohl nicht erwartet haben. Aber Strobl war auch besonders kämpferisch aufgetreten, er warb für die eigenen Erfolge („Wer hat es durchgesetzt? Die CDU hat es durchgesetzt!“), warnte vor der AfD, schimpfte auf die SPD, lästerte sogar über den neuen Partner, um die Reihen zu schließen, über die von den Grünen durchgesetzten Radschnellwege.

Der Applaus nach dem ersten Auftritt ist laut, aber nicht lang. Dann allerdings wird schnell klar, wie sich die Mehrheitsverhältnisse gestalten. 37 Diskutanten, Promis und einfache Mitglieder, Bundesgrößen, Senioren und JU sorgten für eine Debatte, wie sie bei der CDU bisher unüblich war bei einem Landesparteitag. Viele warben für Zustimmung, nur einige wenige problematisierten den Schulkompromiss oder die Besetzung der Ministerien, das Familienbild der Grünen oder die nicht eingehaltenen Wahlversprechen gegenüber den Beamten. „Wir sind hier vor der Halle mit einem Pfeifkonzert empfangen worden“, so ein Delegierter, „und jeder einzelne Pfiff gebührte uns.“

In der Manier von Erwin Teufel reagierte der Parteichef detailliert auf fast jeden Kritikpunkt. Da ist er schon lockerer, im Wissen, wie glatt die Abstimmung glatt laufen wird“. Besonders hebt Strobl das Lob einiger für die breite Mitgliederbeteiligung hervor - allen voran jenes der Europaabgeordneten Inge Gräßle, die den Koalitionsvertrag als „den demokratischsten Vertrag aller Zeiten“ gerühmt hatte.

Manche keineswegs unwichtige Unschärfen fallen da unter den Tisch: So lobte Strobl gleich mehrfach den sogenannten Kinderbildungspass, obwohl er weiß, dass der, wie ein Redner erklärt, „so ziemlich genau das Gegenteil von dem ist, was wir mit dem Betreuungsgeld erreichen wollten“.

Noch vor zwei Wochen hatte der Merkel-Vize den Plan, Inhalte und Ministernamen gemeinsam vorzulegen. Nicht zuletzt der Haltung Wolfs wegen ist er aber noch nicht fertig mit seinem Tableau. Dazu drängen die Frauen weiter auf „etwa die Hälfte der Kabinettsposten“. Manche Mitglieder zeigten sich immerhin unentschieden zwischen „Neugierde und Zufriedenheit“, wie eine Christdemokratin bei der Gulaschsuppe im Foyer sagt. Denn: „Wären die Namen genannt worden, hätten wir über diese gute Debatte nicht mehr geredet.“ Und Strobls Herz nicht derart voller Freude gewesen.

Zitate vom CDU-Sonderparteitag

„Die AfD liebt die Politikverdrossenheit. Eine solche Partei wollen wir schrumpfen, wir wollen sie kleinschrumpfen“

Thomas Strobl, CDU-Landeschef

„Ein Wort Gender, das die Grünen auf jeder Seite gern dreimal geschrieben hätten, werden Sie auf keiner einzelnen Seite finden.“

Thomas Strobl, CDU-Landeschef

 „Wir müssen mit der Erblast eines sozialdemokratischen Finanzministers leben. Die Sozis können halt nicht umgehen mit Geld.“

Thomas Strobl, CDU-Landeschef

 „Ja, wir haben Probleme im urbanen Bereich, aber wir dürfen das Kind nicht mit dem Badewasser ausgießen. Niemand muss sich in der CDU dafür entschuldigen, dass er aus dem ländlichen Raum stammt und traditionelle Werte vertritt.“

Guido Wolf, CDU-Fraktionschef 

„Wenn wir die Gallionsfigur der Grünen zum Sonnenkönig krönen und Kretschmann die Schleppe tragen, dann machen wir aus einer Zehn-Prozent-Partei bundesweit eine Volkspartei.“

Wolfgang von Stetten, Landesvorsitzender der Senioren-Union


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