"Wir wollen ja das Verhältnis zu unseren Beamten nicht noch weiter verschlechtern"

19.07.2013 
Redaktion
 
Interview mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Foto: LMZ/Archiv

Schon heute sind  25 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst  55 Jahre und älter. In ein paar Jahren könnten komplette Abteilungen geschlossen werden, wenn heute nicht gegengesteuert wird. Nachwuchs tut Not, die Stimmung ist schlecht. Ist es da nicht kontraproduktiv, wenn die Eingangsbesoldung der Beamten um vier Prozent gesenkt wird? 

Die Einstiegsgehälter sind nicht das Problem. Nach drei Jahren steigt das Gehalt ja an. Wirkliche Probleme  gibt es etwa bei den jungen, noch nicht fest angestellten Lehrern, die in den Sommerferien nicht bezahlt werden. Oder bei jungen Absolventen, die Praktikumsrunden ohne Ende leisten müssen.  Die Zunahme ungesicherter bis hin zu prekären Beschäftigungsverhältnissen erschwert die Familiengründung.

Das Problem liegt nicht darin, dass  man jetzt als Beamter am Anfang eine Gehaltsstufe niedriger eingestuft wird. Niemand macht das gerne, aber irgendwie müssen wir auch am Personalkörper etwas machen. Man kann am Personal vorbei nicht den Haushalt sanieren, das geht einfach nicht. Das sind weit über 40 Prozent des Haushalts.

Sie sagen, der Haushalt kann nicht an den Beamten vorbei saniert werden. Doch was wollen sie tun, damit nicht so viel Frust bei den Beamten entsteht?

Ich kann letztlich nur an ihre Vernunft und Voraussicht appellieren. Wir müssen ja auch an die Beamten der Zukunft denken. Pensionen und Renten laufen immer weiter auseinander. Das können wir uns auf Dauer nicht leisten. Wir können nicht solange warten, bis wir richtig brutale Einschnitte machen müssen, weil es anders gar nicht mehr geht.

Wir müssen  nachhaltig und auch langfristig denken. Wir wollen ja auch noch Beamte einstellen und bezahlen können, wenn die Schuldenbremse greift. Ich muss die Pensionen auch noch in 20 Jahren bezahlen können, daran soll der Beamtenbund auch denken. Die denken immer,  ich habe etwas gegen sie. Das stimmt nicht, ich denke nur langfristig.

Wir sind verfassungsmäßig so eingeschnürt durch den Artikel 33, Abs. 5, der sagt: der Öffentliche Dienst ist nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zu organisieren. Diese stammen aus der Bismarckzeit und der Weimarer Republik und sind meiner Ansicht nach nicht mehr zeitgemäß.

Müsste man nicht noch stärker an die Pensionen herangehen?

Das läuft in der Tat dramatisch auseinander. Die Beamtenschaft müsste erkennen, dass sie in außerordentlicher Weise sehr gut gestellt ist. Dafür kann man auch mal Einbußen bei der Übertragung von Tarifrunden in Kauf nehmen.

Müssten sie da nicht noch konsequenter sein?

Es ist ja bekannt, dass ich eigentlich eine Nullrunde wollte. Die wäre auch haushaltspolitisch notwendig gewesen. Wir merken einfach: Die Vorgängerregierungen haben das schleifen lassen. Wir können nicht so viel auf einmal machen. Wir wollen ja das Verhältnis zu unseren Beamten nicht noch weiter verschlechtern.

Wir schätzen unsere Beamtenschaft. Seit ich regiere schätze ich sie noch mehr als vorher. Das sind hochmotivierte, leistungsbereite Menschen, die ich um mich herum habe. Und eine gute Demokratie funktioniert überhaupt nur mit einer loyalen und gesetzestreuen Beamtenschaft. Die haben wir, und das ist zu würdigen.

Sind eigentlich noch so viele Verbeamtungen erforderlich?
Angestellte sind teurer, aber die eigentliche Rechnung für Beamte kriegen sie erst nach deren aktiver Zeit. Das System grundsätzlich zu verändern, das bekommen sie nur im Geleitzug aller Länder hin. Die ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis hat das einmal versucht und musste dann wieder zurückrudern. Das sind auch Zwänge, die uns Fesseln anlegen. Allerdings gibt es keinen sachlichen Grund, warum ein Lehrer oder Professor Beamter sein muss.

Um der Schuldenbremse im Grundgesetz gerecht zu werden, müssten bis 2020 nahezu 30 000 der gut 208 000 Stellen gestrichen werden, sagt der Präsident des Rechnungshofs. Ist es nicht eine Ohrfeige für die Landesregierung, dass der Rechnungshof nun eine Enquetekommission des Landtags fordert?

Solche reinen Rechenoperationen bringen nichts. Rechnen können wir auch. Wir wissen selber, wie viele Stellen wir theoretisch streichen müssten. Ich wäre dankbar, wenn das mit einer Aufgabenkritik verbunden wäre. Wir bekommen durch die EU immer mehr aufgebürdet, Beispiel Verbraucherschutz, Beispiel Tierschutz. Das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung wird ebenfalls immer größer. Gerichtsurteile zwingen uns dazu, noch mehr Kontrolle und Differenzierung zu machen. All das erfordert an sich noch mehr Personal. Insofern ist der Trend genau gegenläufig.

Sicherlich müssen und werden wir weitere Stellen einsparen. Aber wie wir das jedenfalls bis 2020 in der Größenordnung machen sollen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Schließlich soll das Land ja noch ordentlich regiert werden. Und Sie sehen ja, welcher Gegenwind uns schon bei der Streichung von 11 600 Lehrerstellen entgegen bläst.

Sie haben sich in der ersten Föderalismuskommission für eine  weitgehende Veränderung des Beamtenstatus eingesetzt. Was sollte geändert werden?

Wenn es nach mir ginge, würde der Artikel 33 Absatz 5 abgeschafft. Das besondere Dienst- und  Treueverhältnis des Artikel 33 Absatz  4, das reicht ja schon. Dann könnten wir die Spielräume, auf eine moderne Gesellschaft bezogen, neu zu bestimmen. Wir müssen von dem reinen Alimentationsprinzip herunterkommen, hin zu Regelungen, wie sie im sonstigen Arbeitsleben eigentlich üblich sind: das man nach Funktion bezahlt  wird und nicht einfach nach Status, dass man Leitungsfunktionen wie zum Beispiel  Schulleiter auf Zeit vergibt. Statusfragen bei Pensionen wären auch neu zu regeln. Da gibt es meiner Ansicht nach viele völlig überkommene Gepflogenheiten.

Aber ich muss mich auch an Verfassungsartikel halten, die mir nicht passen. Und wir machen auch bei den Beamten, insofern können diese ganz  beruhigt sein, nur Dinge, die uns die Verfassung möglich macht.

Welche Sünden sind Ihrer Meinung nach in der Politik verzeihlich - und welche unter keinen Umständen?

Es gehört zum Charme der Demokratie, dass in ihr die menschliche Tugend des Verzeihens praktiziert wird, ohne die wir gar nicht leben könnten - denn wir können ja die Vergangenheit nicht ändern. In der Demokratie kann man alles verzeihen, ja man muss sogar verzeihen.

Ich nenne mal ein Beispiel. Selbst der verfassungswidrige Kauf der EnBW durch meinen Vorgänger Stefan Mappus, den muss ich politisch verzeihen, weil der Vertrag trotzdem gültig ist. Das heißt, ich bin Erbe einer zwar verfassungswidrigen, aber trotzdem rechtskräftigen Entscheidung in einer gigantischen Höhe von fünf Milliarden Euro. Politisch-persönlich muss man das Mappus nicht verzeihen. Er hat einen schweren Fehler gemacht. Ich muss es annehmen und schauen, dass ich das Beste daraus mache.

Demokratie ist eigentlich die Gesellschaftsform, in der die menschliche Tugend des Verzeihens zur Konstitution der Verfassung gehört. Selbst aus meiner Sicht so falsche Handlungen wie der Einstieg in die Atomenergie. Wir merken das jetzt bei der Endlagerdiskussion. Wir müssen Entscheidungen treffen, die einen Zeitraum von einer Millionen Jahre umfassen. Das übersteigt das menschliche Maß ja in jeder Hinsicht. Weniger pathetisch gesagt: Man erbt immer Gutes und Schlechtes und damit muss man umgehen.


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